Zum NiederknienOper „Li-Tai-Pe“ ist eine spannende Wiederentdeckung
Bonn – Vor etwas mehr als einem Jahrhundert ergriff Europa eine Welle der Begeisterung für die chinesische Kultur. Der Lyrikband „Die chinesische Flöte“ des Dichters Hans Bethge erlebte eine Traumauflage von mehr als 100 000 Exemplaren, sieben der Gedichte daraus verwendete Gustav Mahler für sein „Lied von der Erde“ – darunter auch Nachdichtungen des Dichters Li Bai, der auch unter dem Namen Li Tai Pe bekannt war. Bethge charakterisierte den um 700 nach Christus geborenen Dichter so: „Li Tai Pe war eine Natur, die auf Freiheit und Unruhe gestellt war, er war ein Abenteurer und Trinker.“
Auf einen Blick
Das Stück: Fast 25 Jahre lang war Clemens von Franckensteins „Li-Tai-Pe“ von 1920 ein Bühnenhit. Das 258 Seiten dicke Programmbuch bietet spannende Hintergründe.
Die Inszenierung: Adriana Altaras’ einfallsreiche Regie erweckt das Stück zu prallem Leben.
Die Musik: Sänger und Orchester scheinen jede Note der Ausgrabung des findigen Operndirektors Andreas K.W. Meyer zu genießen. (ht)
Dies sind nun auch ganz zentrale Eigenschaften der Persönlichkeit des Titelhelden aus Clemens von Franckensteins Oper „Li-Tai-Pe“, die 1920 in Hamburg uraufgeführt wurde und danach bis zur kriegsbedingten Schließung der Theater im Jahr 1944 in mehr als 40 Neuinszenierungen an großen und kleinen Häusern im Lande zu erleben war.
Ein Hit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs
Die Bonner Oper darf sich nun sehr glücklich schätzen, den Tenor Mirko Roschkowski für die Wiederentdeckung der seit 78 Jahren von den Bühnen verschwundenen einstigen Erfolgsoper gewonnen zu haben. Mit schelmischer Hingabe erweckt er den Verse, Wein und Frauen liebenden Helden zum Bühnenleben und singt die durchaus anspruchsvolle Partie mit Witz, gibt den lyrischen Momenten Raum und weiß auch dramatische Spitzentöne souverän zu stemmen.
Die Geschichte, die der durch Eugen d’Alberts Oper „Tiefland“ bekannte Librettist Rudolph Lothar eingerichtet hat, fesselt in drei eher kurzen Akten weniger durch zugespitzte Konflikte oder gar eine tragische Fallhöhe, als durch eine gewisse humoristische Leichtigkeit. Der wie immer angetrunkene Dichter Li-Tai-Pe ist einer von drei Bewerbern, die mit ihrem sprachlichen Talent der Angebeteten des Kaisers den Hof machen sollen. Natürlich schlägt Li-Tai-Pe seine Konkurrenten leicht aus dem Feld.
Regisseurin Adriana Altaras und Team erzählen die Geschichte erfrischend geradlinig
Dabei handelt es sich um zwei kaiserliche Beamte, die sich nach der erfahrenen Demütigung rächen wollen und eine fiese Intrige aushecken: Da es heiße, dass keine Frau Li-Tai-Pe widerstehen könne, wollen sie dem Kaiser weismachen, auch die Prinzessin sei dem Dichter verfallen. Natürlich scheitert der Plan kläglich. Denn die Höflinge sind glücklicherweise nicht so diabolisch und brillant wie Jago und der Kaiser nicht so leichtgläubig wie Othello. Rettung kommt durch die geistesgegenwärtige Yang-Gui-Fe, die die Dichtkunst und vor allem auch den Dichter liebt. Dass sie zu ganz großen Gefühlen fähig ist, zeigt besonders schön ihre von der Sopranistin Anna Princeva gesungenen große Arie im ersten Akt. Zum Niederknien!
Regisseurin Adriana Altaras und ihr aus Christoph Schubiger (Bühne) und Nina Lepilina (Kostüme) bestehendes Team erzählen die Geschichte erfrischend geradlinig und in prallen, farbenfrohen Bildern, die das alte China ebenso zum Recht verhelfen wie die hektische Betriebsamkeit moderner Zeiten. Dabei haben sie auch keine Angst davor, China-Klischees, für die etwa vier zänkische Mandarine stehen, lustvoll zu ironisieren.
Der erste Akt wirkt wie ein Wimmelbild, später sieht die Bühne mal aus wie im Plenarsaal des Zentralrats der Kommunistischen Partei Chinas. Und am Ende zieht eine fein gezeichnete Landschaft mit Boot die Blicke an. Mit welcher Liebe zum Detail hier gearbeitet wird, zeigt allein der Umstand, dass sie fürs Gefolge der Prinzessin sogar, wie in der Partitur gefordert, drei Mandolinenspielerinnen organisiert haben.
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Die Musik zum Stück ist überaus reizvoll. Franckenstein kennt sich im postwagnerischen spätromantischen Stil aus und versteht ihn elegant mit anderen Einflüssen zu einer eigenen musikalischen Sprache zu formen, die ein beachtliches klangliches Raffinement aufweist. Fernöstlich anmutende Exotismen werden allerdings nur sparsam eingesetzt. Das Beethoven Orchester macht dies alles unter der Leitung von Kapellmeister Hermes Helfricht wunderbar hörbar. Man spielt mit Leidenschaft im Graben und gelegentlich auch auf der Bühne. Auch Chor und Extrachor der Oper (Einstudierung: Marco Medved) bewältigen ihren fordernden Einsatz auf großartige Weise.
Neben den beiden Hauptpartien glänzen Bariton Joachim Goltz als Kaiser und Sopranistin Ava Gesell als Prinzessin. Johannes Mertes und Tobias Schabel geben den höfischen Intriganten Kao-Li-Tse und Yang-Kwei-Tschung eine hinreißend komische Note. Auch das übrige Ensemble überzeugt auf ganzer Linie. Das Publikum reagierte bei der Premiere sehr begeistert auf die geglückte Wiederentdeckung. Nicht die erste im Rahmen der verdienstvollen Reihe Fokus „33“.
135 Minuten (inkl. Pause).wieder am 4., 11., 19. und 24. Juni.