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Inklusives TheaterprojektBonner Schauspielhaus zeigt „Der Schimmelreiter“

Lesezeit 3 Minuten

Inszenierten Momente emotionaler Spannung: Bühnenprofis und junge Laiendarsteller im Bonner Schauspielhaus.

Bonn – Das Meer tobt unter dem fahlen Mondlicht. Über dem Watt wütet der Sturm. Ängstlich kauert eine Gruppe von Dorfbewohnern in Regenmänteln vor dem drohenden Unheil. Manche glauben, einen geheimnisvollen Mann mit wehendem Mantel auf einem klapprigen weißen Pferd gesehen zu haben, der lautlos über den Deich ritt.

Theodor Storms kurz vor seinem Tod 1888 erschienene große Novelle „Der Schimmelreiter“ erzählt die Geschichte vom Deichgrafen Hauke Haien, der mit einem neu konstruierten Deich seine Heimat an der nordfriesischen Küste schützen wollte und tragisch scheiterte.

Friedels drittes partizipatives Projekt

Mit 18 Bonner Jugendlichen und drei Ensemble-Mitgliedern (Christian Czeremnych, Annika Schilling, David Hugo Schmitz) hat der Regisseur Dominic Friedel die Geschichte nun auf die große Bühne im Schauspielhaus gebracht. Es ist sein drittes partizipatives Projekt am Theater Bonn, zum ersten Mal sind auch junge Menschen mit Behinderungen beteiligt. Es ist ein Theaterereignis voller spielerischer Energie, gedanklicher Tiefenschärfe und expressiver Bildkraft.

Julian Marbach hat dafür ein großartiges Bühnenbild entworfen aus riesigen, gegeneinander verschobenen Platten, die wie wuchtige Felsen aufragen und farbig schillernd den unsicheren Boden kennzeichnen. Melodisch sanfte Klänge und Heavy-Metal-Gewummer liefern den Soundtrack zwischen düsterer Romantik und nüchternem Realismus. Wie aus der Zeit gefallen wirken auch die farbenfrohen, originell verzierten Kostüme von Maria Strauch.

Eigene Gedanken, neue Texte

Die jungen Schauspieler haben sich zu Storms Text ihre eigenen Gedanken gemacht und selbst neue Texte dazu verfasst. Es geht um Glauben und Wissen, die Verbreitung sagenhafter Welterklärungen und neuer Narrative, apokalyptische Fantasien und konkrete Utopien angesichts des Klimawandels. „Wir werden die Gewesen sein, die den Planeten mit ihrer Gier zerstört haben.“

Auf einen Blick

Das Stück: Theodor Storms alte Novelle angereichert mit vielfältigen jungen Reflexionen über die mögliche Zukunft unseres Planeten.

Die Inszenierung: Bildstark mit tollen Bühneneffekten und wunderbar sensiblen Momenten.

Die Schauspieler: Die Profis und das junge Ensemble spielen perfekt auf Augenhöhe und schaffen ein atmosphärisch dichtes Theatererlebnis.

Nächste Vorstellungen am 30. Mai und 11. Juni jeweils um 19.30 Uhr, Tickets bei allen Vorverkaufsstellen.

Wer war dieser Hauke Haien? Das junge Ensemble lotet ohne feste Rollenzuschreibungen die vielen Facetten dieser geheimnisvollen Figur aus. Immer wieder schaffen sie dabei Momente voller emotionaler Spannung.

Dass der junge Hauke jähzornig den verfressenen weißen Kater der alten Trin Jans erwürgt, ist kein gutes Omen. Dass er später ein gelbes Hündchen vor der rituellen Opferung durch die Deicharbeiter rettet, wird nur sein geistig behindertes Töchterchen Wienke erfreuen. Das Kind wird zur leisen Beobachterin der weiteren Vorgänge, naiv zufrieden an der starken Hand des Vaters. Ungemein berührend sind das zarte Liebesglück des Paares Elke und Hauke und ihre Hochzeitsfeier.

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Ohne Angst vor ernstem Pathos und kritischem Witz gelingt es der Inszenierung, die eigenwillige Poesie und Magie der Erzählung nicht nur zu bewahren, sondern vielschichtig weiterzudenken. Wunderbar sensibel ist das Zusammenspiel der Bühnenprofis mit ihren jungen Kolleginnen und Kollegen. Es braust und wetterleuchtet spektakulär, bis nach pausenlosen 90 Minuten eine Weltkugel aus verschlungenen Lichtschläuchen leuchtend zum Bühnenhimmel schwebt. Fulminanter Premieren-Applaus.