Koloniale VergangenheitInitiative „Decolonize Cologne“ erhält Kölner Kulturpreis
Köln – Manchmal erschließt sich der Themenbezug sofort, dann wieder bedarf es einer Erklärung. „Hierher führt unsere Tour auch“, erzählt Azziza Malanda beim Interview in der Südstadt-Gastronomie „Frau Mahér“. Die Erläuterung folgt gleich darauf: Sowohl in den Räumen des Restaurants als auch der gegenüberliegenden kleinen „Caffé Bar“ befanden sich einst Kolonialwarenläden.
Seit 2018 bietet die promovierte Historikerin gemeinsam mit Merle Bode kolonialkritische Führungen durch ihr Viertel an, anfangs noch in Kooperation mit dem Kölner Frauengeschichtsverein. Fast gleichzeitig etablierte Bebero Lehmann ein entsprechendes Angebot in Nippes.
Schnell wurde man aufeinander aufmerksam und schloss sich zur Initiative „Decolonize Cologne“ zusammen, die mittlerweile auf ein sechsköpfiges – ausschließlich weibliches – Team angewachsen ist. Die feministische Perspektive spielt zwar eine Rolle, was aber nicht heißt, dass männliche Mitstreiter nicht willkommen sind.
Durchs Nippeser „Afrika-Viertel“
Am 30. Mai wird „Decolonize Cologne“ mit dem Kölner Kulturpreis ausgezeichnet in der Sparte „Junge Initiativen“. Eine schöne Überraschung, mit der, so Malanda, niemand gerechnet habe.
In der Herangehensweise unterscheiden die Führungen sich ein wenig – und zeigen gerade dadurch, wie vielschichtig das Thema ist. Im Zentrum des Nippeser Rundgangs steht das dortige „Afrika-Viertel“. Entstanden in den 1930er Jahren, sollte es an die Kolonialisierung Afrikas erinnern. Und so tragen die Straßen dort Namen wie Kamerun, Tanga und Togo – eine ist nach Gustav Nachtigal benannt. Der ehemalige „Reichskommissar für Deutsch-Westafrika“ ist in Nippes mittlerweile der einzig verbliebene Namensgeber. Die Carl-Peters- und die Adolf-Lüderitz-Straße wurden bereits 1991 auf öffentlichen Druck in Usambara- und Namibiastraße umbenannt.
In der Südstadt sind die Spuren der kolonialen Vergangenheit über das ganze Viertel verteilt. Wie gesagt: Nicht immer erschließt sich der Zusammenhang auf den ersten Blick. Dann wiederum gibt es Stationen wie den Anno-Riegel. Zwischen den Wohnhäusern auf dem ehemaligen Stollwerck-Gelände stehen dort – wie Skulpturen – Reste der Fabrik, in der einst die berühmte Schokolade produziert wurde.
Kölner Stollwerck beschäftigte viele Menschen aus anderen Ländern zu schlechten Bedingungen
Der Themenbezug ist hier sogar ein doppelter: Zum einen wurden Kakao und andere Rohstoffe aus den Kolonialgebieten importiert. Zum anderen waren auch für Stollwerck Männer und Frauen aus anderen Ländern beschäftigt – oft zu deutlich schlechteren Bedingungen als ihre deutschen Kollegen.
Spenden willkommen
Seit 2020 ist die Decolonize Cologne dem Verein Decolonize! e.V. angegliedert. Über das dortige Spendenkonto kann man die Arbeit der Initiative – auf Wunsch gegen Spendenquittung – unterstützen. www.decolonize-cologne.de
„Das hörte mit dem Ende der Kolonialzeit ja nicht auf, sondern wiederholte sich in den 50er und 60er Jahren mit den sogenannten Gastarbeitern“, so Malanda. „Auch das ist Ziel unserer Führungen: Wir wollen zeigen, dass koloniale Strukturen und rassistische Denkmuster oft bis in die Gegenwart reichen.“
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Dass dieses Bewusstsein bei vielen Menschen erst geschaffen werden muss, ist ihr bewusst. Bei ihr sei das gar nicht anders gewesen, räumt sie ein – trotz der Tatsache, dass ihr Vater aus einer ehemaligen französischen Kolonie stammt. So richtig sei ihr kritisches Bewusstsein erst erwacht, als sie in England studierte und dort erstmals mit dem Thema Postkolonialismus in Berührung kam. Zurück in Köln, besuchte sie gezielt Seminare zu deutscher Kolonialgeschichte. „Es ist schon Wahnsinn“, sinniert sie, „wie privilegiert man sein muss, um an dieses Hintergrundwissen heranzukommen.“
Die Führungen sind vorrangig für Erwachsene konzipiert. Nachdem aber immer wieder Anfragen von Schulen kamen, arbeitet das Team zurzeit an einem Workshopangebot, das sich an Schüler ab der neunten Klasse richtet. Auch über weitere Stadtführungen, etwa in Ehrenfeld, wird nachgedacht. Dazu bedarf es aber finanzieller und personeller Unterstützung. Bisher arbeiten Malanda, Bode, Lehmann und ihre Mitstreiterinnen ausschließlich ehrenamtlich – und an ihrem persönlichen Limit.