Stimmgewaltig und kampflustig: Sängerin und Enfant terrible Nina Hagen feiert ihren 70. Geburtstag
Porträt zum 70. GeburtstagNina Hagen ist für immer unbeschreiblich weiblich

Immer ziemlich schrill: Nina Hagen.
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„Ich glotz TV“: Mit was für einem Wahnsinns-Schrei hat sich diese Frau 1978 in die Bundesrepublik katapultiert. „Ich kann mich gar nicht entscheiden, ist alles so schön bunt hier.“ Da ist Nina Hagen gerade einmal zwei Jahre im Westen, ausgewiesen aus der DDR, wo sie gegen den Rausschmiss ihres Stiefvaters Wolf Biermann – wie viele andere Künstler – protestiert hatte.
Der Song, dessen schrille Dissonanzen sich sofort ins Kleinhirn schrauben, ist eine Coverversion der durchgeknallten kalifornischen Band The Tubes, „White Punks on Dope“. Ja, und so wird Nina Hagen, die „staatlich geprüfte Schlagersängerin“ des Arbeiter- und Bauernstaats, zur Stimme des deutschen Punk.
Am 11. März wird die in Ost-Berlin geborene Sängerin, Songschreiberin und Bühnen-Aktivistin 70 Jahre alt. Immer noch sind ihre Haare mal schwarz, mal blond, mal lila, mal kurz und mal lang, ihr Make-up karnevalesk, ihr Outfit irgendwo angesiedelt zwischen Latzhose, Grunge und Glamour. Und immer noch ist sie auf diese komische kleinmädchenhafte Art unangepasst, laut und schräg: Pippi Langstrumpf mit sozialem Sendungsbewusstsein.
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Das erste Album der Nina Hagen Band schlägt ein wie eine Bombe. In den 1970er und 80er Jahren, als der Feminismus militant trommelt, wird Hagen so etwas wie eine Frontfrau, die sich gegen das bürgerliche Familienideal („Unbeschreiblich weiblich“) und Männerherrschaft auflehnt.
Die Zeile „Vor dem ersten Kinderschrei’n muss ich mich erstmal selbst befrei’n“ wird zum Leitmotiv einer heftig aufbegehrenden Frauengeneration.
Ihr privates Leben wird entsprechend unkonventionell verlaufen mit kurzfristigen Künstlerehen. London, Kalifornien, New York, Indien und zeitweise Japan: Hagen sieht sich als Weltbürgerin. Und Nina ist auf allen Kanälen: In regionalen wie überregionalen und internationalen Medien weltweit, in Musikzeitschriften und immer wieder in der „Bravo“, dem Kultblatt der Teenies.
Ihr zweites Album ohne Begleitband, „Angstlos“, produziert von Giorgio Moroder 1983, soll zum erfolgreichsten ihrer Karriere werden. Obwohl ihre Musik nie populär im Sinn von massentauglich wird, entpuppt sich Nina Hagen als eine Art Chamäleon des Showbusiness, ein gerngesehener Gast auf deutschen Bühnen, im Film und im Fernsehen.
Sie dreht Kinokomödien wie die „Sieben Zwerge“, legt Gastauftritte mit Udo Lindenberg, Herman Brood oder Rosenstolz hin, tourt mit Max Raabe in der „Dreigroschenoper“. Sie jodelt mit Florian Silbereisen beim „Frühlingsfest der Volksmusik“, singt mit Heino im Duett, spielt Trude Herr, tritt in TV-Shows, Quizsendungen und Talkshows auf oder macht Reklame für Ikea.
Sie ist vor nichts fies, wie es scheint, und bleibt sich doch in ihrer Rauschnäuzigkeit stets treu.
Immer wieder kommt es zu Eklats bei politischen Debatten, denn Hagen engagiert sich für Psychiatrieopfer ebenso wie gegen die Corona-Maßnahmen, berichtet von Begegnungen mit Ufos oder nennt die Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth bei „Maischberger“ eine „blöde Kuh“.
Sie stänkert, schneidet Grimassen, macht Faxen und schwadroniert gleichzeitig über ihre ganz eigenen Weisheiten des Lebens. Ihre Sinnsuche schwankt zwischen esoterischem Schwurbel, kindlicher Religiosität und politischer Naivität.
Das bringt der kulturell gebildeten Frau den Ruf ein, sich als Kunstfigur zu inszenieren. Was echt ist und was Masche, darüber gehen die Meinungen bis heute auseinander.
Kein Zweifel: Nina Hagen ist das, was man eine Rampensau nennt. Man muss sie auf der Bühne sehen, um sie als Kunstprodukt zu verstehen.
Ihre Stimme ist legendär. Sie umfasst vier Oktaven, vom kellertiefen Gurgeln bis zum kreischenden Falsett, nicht wirklich schön, aber unverkennbar. Sie reicht vom Liebreiz einer singenden Säge bis zum sanften Schnurren einer Hollywood-Diva in ihren Aufnahmen von Swing-Klassikern mit dem Capital Dance Orchestra.
Und die Körpersprache? Mal hässlich, mal anmutig, je nach Anlass.
Musikalisch kehrt sie mit den Jahren immer wieder zurück zu den Wurzeln ihrer Jugend in der DDR. In einem ebenso ambitionierten wie populären Brecht-Programm „zur Klampfe“ spiegelt sich ihre Liebe zum Berliner Ensemble. Sie interpretiert Schlagerhits wie „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ im Stil einer großen Diva.
Mit ihrer Mutter Eva-Maria Hagen und ihrer Tochter Cosma Shiva (die Schauspielerin ist) singt sie Lieder, und das klingt plötzlich ganz „normal“. Und dann: 2022 erscheint „Unity“, ihr erstes Album seit elf Jahren. Da ist sie dann doch wieder die Widerborstige. Unberechenbar auch mit fast 70.