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Netflix-SerieWas die neue Staffel von „Bridgerton“ wirklich taugt

Lesezeit 4 Minuten
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Ruth Gemmell als Lady Violet Bridgerton 

Ein Pflaster muss man mit einem Ruck entfernen. Es tut zwar weh, aber der Schmerz währt nur kurz. Also, eins, zwei, autsch: Die neue, zweite Staffel von „Bridgerton“ kommt ohne Regé-Jean Page aus, der als Duke of Hastings nicht nur das Herz der ältesten Bridgerton-Tochter Daphne eroberte, sondern dank seiner Optik sicherlich auch zum überragenden Erfolg von Staffel 1 beitrug. Der auf den Büchern von Julia Quinn basierende Regency-Reigen verschaffte Netflix zu Beginn des letzten Jahres den weltweit größten Serienerfolg – bis „Squid Game“ kam.

Bevor der Aufreger aus Korea fortgesetzt wird (die Rückkehr von Jung Ho-yeon wurde schon angedeutet), tummeln sich Lady Violet (Ruth Gemmell) und ihr mal mehr, mal weniger heiratswilliger Nachwuchs auf ihrem Schlachtfeld, dem Parkett der Londoner Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts – und das ist arg glatt, jeder Ausrutscher, der nicht unter den Aubusson-Teppich gekehrt werden kann, zieht eine gesellschaftliche Ächtung nach sich.

Gefürchtete Klatschbase

Fallen, in die die Bridgertons und ihre Erzkonkurrenten, die Featheringtons, tappen können gibt es reichlich – und noch mehr Geheimnisse, die es gilt vor allem vor der geheimnisvollen Lady Whistledown und ihren gefürchteten Pamphleten geheim zu halten. Am Ende der ersten Staffel wurde zumindest für die Zuschauer deren Identität gelüftet, nun kann man ihr dabei zuschauen, wie sie beim Versuch, unerkannt zu bleiben, sich immer weiter verstrickt.Und wie auch bei Jane Austen, bei der sich Julia Quinn ausgiebig in Sachen Inspiration bedient, ist die Ehe für junge Damen der höheren Gesellschaft praktisch die einzige Form, finanziell abgesichert zu sein, vor allem wenn es wie bei den Featheringtons keinen männlichen Nachkommen gibt und ein entfernter männlicher und selbstredend unsympathischer Cousin das Erbe antritt.

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Nicola Coughlan als Penelope Featherington 

Auch Lady Mary Sharma (Shelley Conn) und ihre beiden Töchter Kate (Simone Ashley) und Edwina (Charithra Chandran) sind aus Indien zurück nach London gekommen, um zumindest für letztere einen Bräutigam zu ergattern. Bei Kate sieht die Sache anders aus: Sie hat sich für ein Leben ohne Mann entschieden, will nach der erfolgreichen Vermählung der Schwester als Gouvernante arbeiten. Aber schon wenn sie das allererste Mal auf Anthony (Jonathan Bailey), den ältesten Bridgerton-Bruder, trifft, lässt hier nicht nur namentlich Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ grüßen.

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Regé-Jean Page als Simon Basset und Phoebe Dynevor als Daphne Bridgerton

Natürlich ist die Serie in erster Linie kunterbunte, üppig ausgestattete und auf Happy End getrimmte Alltagsflucht. Die Kronleuchter strahlen mit Kandelabern um die Wette, die Stoffe der Kostüme sind derart vielfältig und farbenfroh, dass das Auge bisweilen überfordert wird. Das „colorblind“ Casting, das in der ersten Staffel noch für Aufsehen sorgte, ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit: Scheinbar gibt es keine Grenzen, keine Unterscheidung durch Hautfarben mehr.

Alte Bekannte

Immer wieder das selbe Spiel: Da sitzt man vor dem Fernseher und fragt sich, aus welchem Film, aus welcher Serie kenne ich sie oder ihn? Bei „Bridgerton“ sind das oft ebenfalls Netflix-Produktionen.

Bei Simone Ashley („Kate“) ist es ganz einfach: Seit drei Staffeln spielt sie Olivia in „Sex Education“. Eher kniffelig: Adjoa Andoh, die scharfzüngige Lady Danbury, taucht auch in „The Witcher“ auf.

Nicola Coughlan, als Penelope ein patentes Mauerblümchen mit Verstand, spielt seit 2018 in „Derry Girls“ mit. Ruth Gemmell, die Mutter des Bridgerton-Clans, hatte ihren Durchbruch schon 1997 in der Verfilmung von Nick Hornbys Fußballbuch „Fever Pitch“ an der Seite von Colin Firth.

Und wenn auch nicht „Bridgerton“, so bleibt Regé-Jean Page doch Netflix treu: Demnächst spielt er im Actionfilm „The Gray Man“. (HLL)

Wobei man bei einer genaueren Analyse möglicherweise zu dem Schluss kommt, dass die „people of color“, die (stumme) Bedienstete verkörpern, dunkler sind, als die Schauspielerinnen und Schauspieler, deren Charaktere dem Adel oder der Mittelklasse zuzuordnen sind – und meist gehört auch hier ein weißes Eltern- oder Großelternteil zum Stammbaum.

Einen nicht unerheblichen, aber letztlich dann doch nicht ausschlaggebenden Anteil haben die Themen Selbstermächtigung, Emanzipation und Klassenunterschiede. Neben der Schusswaffen-erprobten Kate darf Claudia Jessie als Eloise Bridgerton diesmal noch ausgelassener den Blaustrumpf mimen, während ein Drucker-Lehrling sie mit den Schriften der frühen Feministin Mary Wollstonecraft bekannt macht. Aber die Inhalte der „Verteidigung der Rechte der Frau“ werden eher angerissen, als dass sie Nachhall erzeugen. Am Ende sind alle wieder da, wo sie hingehören: Der junge Mann in der Druckerei und Eloise beim familiären Cricket-Match.

Wobei: Ein Ende dürfte nicht in Sicht sein, Julia Quinn hat noch jede Menge weitere Bücher rund um den Familienclan verfasst – und wer weiß, auf was für die amerikanische Vielschreiberin sonst noch so ausdenkt...