Nach „Es“ und „Misery“Stephen King wird 75 und veröffentlicht ein Gruselmärchen
Es gibt Autoren, die sich darauf verlassen können, dass treue Leser jedes neue Buch kaufen, so lange nur ihr Name auf dem Cover steht – selbst wenn es sich bei dem Werk um die gefühlt hundertste Variante desselben Plots handelt. Stephen King ist so ein Fall: Sein jüngster Roman „Fairy Tale“ beinhaltet nichts, was noch nie da gewesen wäre. Trotzdem wird er wahrscheinlich auf der Bestsellerliste landen. Allerdings nicht nur, weil Stephen King eine große Fangemeinde hat, sondern auch, weil er selbst bekannten Stoff so erzählen kann, dass er immer noch fesselt. Am 21. September feiert er seinen 75. Geburtstag.
Stephen Edwin King, geboren 1947 in Portland (US-Bundesstaat Maine), steht in einer Reihe mit den Großen der amerikanischen Gruselliteratur. Seine Klassiker wie „Friedhof der Kuscheltiere“, „The Shining“ oder „Es“, in denen sich axtschwingende Mörder, kinderfressende Clowns und ähnliche Gestalten tummeln, jagen Lesern seit 1974 Schauer über den Rücken. Oft tragen Kings Werke autobiografische Züge: So spielen sie nicht selten in seinem Heimatstaat Maine; die Protagonisten haben mit Drogen- und Alkoholproblemen zu kämpfen; King selbst ist bekennendes Mitglied der Anonymen Alkoholiker. Oder sie sind Autoren mit akuter Schreibblockade.
Kings Debüt „Carrie“ landet seinerzeit noch im Manuskriptstadium im Mülleimer und wäre wohl nie veröffentlicht worden, hätte Ehefrau Tabitha ihren Mann nicht überredet, das Buch fertig zu schreiben und an einen Verlag zu schicken. „Carrie“ wird daraufhin tatsächlich zum Bestseller und Stephen King zum Vollzeit-Schriftsteller.
Auch in Stephen Kings neuestem Werk fließt jede Menge Blut
In „Fairy Tale“ schickt King nun Charlie Reade in eine apokalyptisch anmutende Märchenwelt, das Königreich Empis. Dort muss der 17-Jährige sich allerlei bösen Kreaturen stellen (unter anderem einer urzeitlichen Gottheit, die stark an H.P. Lovecrafts Cthulu erinnert), um das Land zu retten und nebenbei der hübschen Prinzessin auf den Thron zu verhelfen.
Trotz der Märchenverpackung rollen die Köpfe, und es fließt jede Menge Blut. „Die Leute fragen mich oft, warum ich so grausame Sachen schreibe. Ich antworte dann, dass ich das Herz eines kleinen Jungen habe und es in einem Glas auf meinen Schreibtisch steht“, soll King angeblich einmal gesagt haben.
Von der Seite auf die Leinwand
Viele Werke aus Kings Bibliografie wurden für Kino und Fernsehen verfilmt - mit unterschiedlichem Erfolg. Das Gefängnisdrama „Die Verurteilten“ (1994), das auf einer Novelle basiert, wurde für sieben Oscars nominiert und gilt als einer der besten Filme aller Zeiten. Die Adaption der Kurzgeschichte „Trucks“ (1986), bei der King selbst Regie führte, erwies sich dagegen als Flop.
Die Erlaubnis, seine Geschichten zu verfilmen, verkauft King oft an Studenten, damit sie mit dem Stoff das Filmemachen üben können – zum Preis von einem Dollar. King nennt diese Geschichten deshalb „Dollar Babies“. (crb)
Eine reine Horror-Geschichte ist „Fairy Tale“ allerdings nicht. Wie King schon früher bewiesen hat, kann er problemlos Ausflüge in andere Genres unternehmen: Ob Fantasy, Krimi oder Gefängnisdrama – der ehemalige Englischlehrer probiert alles aus. Eine Zeit lang veröffentlicht er seine Bücher unter einem Pseudonym, um zu testen, ob sie sich auch gut verkaufen, wenn nicht sein Name darauf steht. Als „Richard Bachman“ schrieb er sieben Romane, darunter die dystopischen Zukunftsvisionen „Todesmarsch“ (1979) und „Menschenjagd“(1982).
Parallelen zu anderen Werken Stephen Kings
„Fairy Tale“ vereint Einflüsse von Kings früheren literarischen Spielwiesen: Wenn Charlie mit seinen Leidensgenossen im Kerker des bösen Königs festsitzt und von geisterhaften Wärtern gepiesackt wird, denken King-Kenner wohl an den unschuldig inhaftierten Andy Dufresne aus der Novelle „Pin Up.“ Das Märchenreich Empis selbst erinnert an das Setting der Fantasy-Reihe „Der Dunkle Turm“.
Daneben gibt es, wie bei King üblich, kleine Verknüpfungen zum Rest seiner Bibliografie, die mittlerweile mehr als 60 Romane und 100 Kurzgeschichten umfasst. So vergleicht Charlie seinen Hund Radar scherzhaft mit dem tollwütigen Bernhardiner Cujo, dem Protagonisten des gleichnamigen Romans.
Also alles nur alte Kamellen bei King? Nicht unbedingt. Zwar braucht die Geschichte von „Fairy Tale“ einige Zeit, um richtig ins Rollen zu kommen – bevor Charlie Empis zum ersten Mal betritt, muss man etwa dreihundert Seiten mit Vorgeschichte umblättern – doch dann schafft King es, die Action zu entfesseln und mitzureißen.
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Auch wenn er schon bekannte Elemente vereint – wie den Grusel, wie den Protagonisten aus der amerikanischen Kleinstadt, der unerwartet zum Helden wird, den Kampf Gut gegen Böse – schreibt er sein düsteres Märchen so, dass man durchaus mitfiebern kann. Stephen King ist eben ein großartiger Geschichtenerzähler – weil er jede Story zu seiner eigenen macht.
Stephen King: Fairy Tale. Roman, deutsch von Bernhard Kleinschmidt. Heyne, 880 S., 28 Euro.