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Crime CologneRaymond Chandlers Marlowe-Romane in neuer Übersetzung

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Das Traumpaar des Film noir: Lauren Bacall und Humphrey Bogart in der Ver­fil­mung von "The Big Sleep".

Köln – „Heute Abend bist du kein Mensch, Marlowe.“ Das sagt sich der Privatdetektiv in Kapitel 13 von Raymond Chandlers Roman „Die kleine Schwester“ immer wieder. Ein Mantra auf einer Handvoll Seiten, die doch eines langen Tages Reise in die Nacht schildern. Der Mann ist ausgelaugt, von seiner zickigen Klientin, von Kaliforniens „Fassaden mit nichts dahinter“, den „schmierigen Hamburger-Läden, die im Neongewitter wie Paläste erstrahlen“.

„Vielleicht bin ich ein Batzen Ektoplasma mit der Lizenz zum Schnüffeln“

Los Angeles riecht für ihn abgestanden wie ein ungelüftetes Zimmer, und er selbst – ist eben heute kein Mensch. „War ich nie, werde ich vielleicht nie sein. Vielleicht bin ich ein Batzen Ektoplasma mit der Lizenz zum Schnüffeln. Vielleicht werden wir alle so in dieser kalten dämmrigen Welt, in der immer das Falsche geschieht und nie das Rechte.“

Michael Connelly, ein heutiger Kollege des 1959 gestorbenen Quäkersohns, liest sich dieses Kapitel jedes Mal durch, wenn er einen eigenen Krimi beginnt. Denn „auf vier Seiten lehrt Chandler Leser und Autoren, was es heißt, für die Ewigkeit zu schreiben“. Das Zitat stammt aus Connellys Nachwort zu „Die kleine Schwester“ (1949), das nun Robin Detjes Neuübersetzung ziert.

„Moneten“ und „Schießeisen“

Diogenes hatte die Marlowe-Romane schon in den 1970er Jahren in seiner gelb-schwarzen Taschenbuchreihe publiziert. Damals hielt man „Moneten“ und „Schießeisen“ noch für gossengeprüften Gangsterjargon, jetzt wirken die Texte moderner und härter getaktet. Dies kommt den messerscharfen Milieuskizzen zwischen Protzvillen und Nahkampf-Kaschemmen ebenso zugute wie dem knochentrockenen Dialogwitz. Eine effektive Frischzellenkur also, die der Zürcher Verlag allen sieben Fällen des Privatdetektivs gönnt.

Den Auftakt machte Chandlers berühmtes Debüt „Der große Schlaf“ (1939) in der Neuübersetzung von Frank Heibert, zu der Donna Leon das Nachwort beisteuerte. Für sie schickte Chandler „die heile Welt von Agatha Christies Krimis“, wo Verbrechen als Ausnahme galt, buchstäblich „zur Hölle“.

Ein Ritter im Trenchcoat

An Happy Ends glaubte der 1888 in Chicago geborene Autor sowieso nicht. Erst als er seinen bestens dotierten Job in der Ölindustrie wegen Alkoholproblemen verlor, begann er zu schreiben und gab seinem Helden eine bittere Lehre mit: „Leben bedeutet heute einen Klaps auf die Schulter, morgen einen Tritt in die Zähne.“

Verlagsprojekt

Bislang liegen als Diogenes-Neuübersetzungen von Raymond Chandlers (Foto) „Der große Schlaf“ (22 Euro), „Die kleine Schwester“ (24 Euro) und „Die Lady im See“ (22 Euro) vor.

Am 26. Oktober erscheint „Das hohe Fenster“ (24 Euro) in Ulrich Blumenbachs Übertragung mit einem Nachwort von Margaret Atwood.

Die fehlenden drei Marlowe-Romane „Playback“, „Lebwohl, mein Liebling“ und „Der lange Abschied“ folgen im Jahresrhythmus. (Wi.)

Marlowe ist denn auch Punchingball für Cops, Gangster und verlogene Auftraggeber. Allerdings können die für 40 Dollar am Tag (plus Spesen) nur seine Dienste, nicht aber sein Gewissen mieten. Ein Ritter im Trenchcoat also, der moralisch bankrotten Millionären ebenso trotzt wie geckenhaften Gangstern – und der gefallene Engel wie Carmen und Vivian Sternwood (aus „The Big Sleep“) vor dem Sturz ins Bodenlose retten will.Der sarkastische Moralist wurde die Galionsfigur von Hollywoods „Schwarzer Serie“, die Spannung mit existenzialistischer Düsternis grundierte. Und in Howard Hawks’ „Tote schlafen fest“ avancierte Humphrey Bogart zum Ideal-Marlowe mit rauer Schale und melancholischem Kern.

Chandler verkrachte sich mit Hitchcock

Chandler selbst verkaufte sich dann für Höchstgagen als Drehbuchautor an die Traumfabrik, wo er etwa im kreativen Dauerstreit mit Billy Wilder das Skript für „Frau ohne Gewissen“ schrieb oder sich hoffnungslos mit Alfred Hitchcock verkrachte. Was von der Filmbranche zu halten war, verrät Marlowe in „Die kleine Schwester“: „Großartig, was Hollywood aus einem Niemand macht. Aus einer texanischen Drive-in-Kellnerin mit der Bildung einer Comicstrip-Figur macht es eine Kurtisane von internationalem Rang, sechs Mal mit Millionären verheiratet und so blasiert und dekadent, dass sie schließlich aus Lust am Nervenkitzel einen Möbelpacker im verschwitzten Unterhemd verführt.“

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Nach einer 80 Jahre alten Erkenntnis klingt dies mit Blick auf die aktuelle Unterhaltungsindustrie nicht unbedingt. Überhaupt wirkt das Werk dieses Schriftstellers trotz des Zeitkolorits der Großen Depression in den Neuübersetzungen so unverbraucht, dass man sich auf den Chandler-Abend bei der Crime Cologne schon freuen darf.

„A Fistful of Chandler“ heißt die Hommage auf dem Kölner Festival am 27.9. um 20 Uhr im Subway, Aachener Str. 82-84. Der deutsche Krimiautor Friedrich Ani geht mit Marcus Müntefering der Frage nach, warum „Der große Schlaf“ immer noch als Goldstandard des Genres gilt. www.crime-cologne.com