AboAbonnieren

Letzte Rolle des „König Lear"Martin Reinke verabschiedet sich nach 32 Jahren von Köln

Lesezeit 4 Minuten

Martin Reinke.

Köln – In seiner Karriere war er Mephisto und Faust, Danton, Richard III., Mackie Messer und viele, viele andere. Nur einer fehlte ihm aus dem Pantheon der Dramatik: Shakespeares „König Lear“. „Diese Figur würde ich doch gern einmal in Angriff nehmen“, sagte er dieser Zeitung vor sieben Jahren – und nun verabschiedet er sich mit dieser Rolle vom Kölner Publikum.

Zufall oder geglückte Planung? „Es war mein Wunsch, und das Haus hat es möglich gemacht.“ Bei dieser „Reise aus dem Nichts durch den Wahnsinn ins Nichts“ steigt man indirekt mit den größten Kollegen in den Ring. Spürt der 66-Jährige da ein besonderes Risiko? „Nein. Es gibt 100.000 Möglichkeiten, Hamlet zu spielen, aber für Sie persönlich gibt es nur eine. Die können Sie natürlich verfehlen. Davon abgesehen spielen Sie jede Rolle mit 50 anders als mit 80.“

Martin Reinke: Von Bremen nach Köln

In Köln inszeniert jener Regisseur, mit dem Reinke schon in „Endspiel“ oder „Tod eines Handlungsreisenden“ brillierte. „Rafael Sanchez hat diese wunderbare Gabe des Zulassens, der Kooperation und er akzeptiert meine Arbeitsweise. Ich bin ja jetzt 45 Jahre dabei, 20 Jahre Lehrling, 20 Jahre Geselle und seit fünf Jahren auf dem Weg, meinen Meister zu machen. Dazu gehört diese Methode: Ich komme auf die Leseproben, als hätte ich eine Wiederaufnahme. Ich bin, wie man sagt, studiert.“

Er hat den Text dann also innerlich durchdrungen, was nur gelingt, wenn man – gegen die Routine des Theaterbetriebs – sehr früh mit dem Regisseur über die Arbeit fantasiert. „Rafael Sanchez und Bastian Kraft ermöglichen das, und ich werde künftig alles absagen, was mir keinen Vorlauf von mindestens einem Jahr gibt. Ich halte nichts von Zweimonatsschwangerschaften.“

1990 kam der gebürtige Hamburger mit dem Intendanten Günter Krämer aus Bremen ins Kölner Ensemble, dessen Zentralgestalt er in den großen Goethe-, Shakespeare-, Schiller- oder Horváth-Inszenierungen wurde. Das änderte sich 2002 radikal. „Unter Marc Günther war ich eine Altlast, wurde gemieden, weil ich ihm gesagt habe, dass er ein guter Dramaturg, aber kein guter Intendant ist.“

Zweites Standbein am Wiener Burgtheater

Auch in der Zeit von Karin Beier, „mit der ich ja vor ihrer Kölner Intendanz sehr gut gearbeitet hatte“, fühlte er sich letztlich als „fünftes Rad am Wagen“, was sich unter Stefan Bachmann ebenfalls nicht unmittelbar geändert habe. „Aber so ist es eben, wenn man lange Protagonist an einem Haus war, muss man bei jedem Intendantenwechsel der neuen Mannschaft den Vortritt lassen.“

Als Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater aber hat Martin Reinke seit 1996 ein zweites Standbein. „Klar, schon der Tapetenwechsel ist wichtig, noch dazu an eine so wunderbare Adresse wie die Burg.“ Die Schattenseite: „Es gab Spielzeiten mit hundert Flügen zwischen beiden Städten. Sie spielen heute in Köln, proben morgen in Wien, um am Abend wieder in Köln zu spielen.“ Wirklich sesshaft wurde der verheiratete Vater dreier Kinder 1999 im Haus in Bergisch Gladbach, genauer: Paffrath.

„Jugendlicher Liebhaber und Inspizient“

Von 1977 bis 1979 hatte der Schauspieler sein erstes festes Engagement am Theater Heilbronn – laut Vertrag als „jugendlicher Liebhaber und Inspizient“. Spielte er nur eine kleine Rolle, musste er nebenbei die Aufführung überwachen. Als der Tonmeister erkrankte, mischte Martin Reinke nachts daheim die Bühnenmusik. Wer von der Spielfläche ab- und an der anderen Seite wieder auftreten wollte, musste ums Haus herumlaufen. Vorbei an der Kneipe „Eulenspiegel“, aus der sich bisweilen ein Gast auf die Bühne verirrte und mitten im Stück fragte: „Wo ist denn hier die Theke?“ (Wi.)

In welcher Intendanz seiner 32 Kölner Jahre hat er sich am wohlsten gefühlt? „Krämer, ganz klar. Wobei Wohlfühlen das falsche Wort ist. Niemand hat mich so gefördert, aber auch so gefordert wie er, da brauchte man seelische Muskulatur. Die zweite schöne Ägide ist für mich die von Stefan Bachmann. Ich habe nie jemanden kennengelernt, der einen so familiären, freundschaftlichen Austausch mit dem Ensemble pflegt.“

Martin Reinke hat seine berufliche Laufbahn gegen den Rat der Phoniater eingeschlagen, die Besonderheiten seiner Stimme aber mit Hilfe zweier Gesangslehrer in den Griff bekommen. Heute hört man seinen eigenwillig-markanten Sound sofort heraus.

Der gebürtige Hamburger sieht sich als Mund- und Handwerker, Akkordarbeiter, der in einer 70-Stunden-Woche kaum je die Muße hatte, den Kosmos der großen Autoren zu ermessen. Die Zeit nimmt er sich jetzt. „Wobei es für einen eigenen Kopf ein großes Opfer ist, immer nur die Gedanken anderer zum Klingen zu bringen.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Und ist nun nach 212 Premieren wirklich Schluss? „Es gibt die Verabredung für eine Neuproduktion pro Spielzeit in Wien, und ich werde hier nach dem Lear noch Reprisen spielen. Aber jetzt sollten die Kölner und ich erst einmal voneinander Abschied nehmen.“

Martin Reinke will seine „beglückende Beschäftigung mit Franz Kafka und Paul Celan“ fortsetzen, weiß aber auch: „Ein altes Zirkuspferd muss bewegt werden. Und wenn es noch einmal ein Angebot gäbe, im neuen Haus zu spielen, das akustisch großartig wird – wer weiß…“

„König Lear“ hat am 23.9., 19.30 Uhr, im Depot 1 Premiere.