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Museum KunstpalastSchau in Düsseldorf zeigt Fotos aus dem Alltag des Ostens

Lesezeit 3 Minuten
9_Evelyn Richter_Berlin, 23. D

Berlin, 23. Dezember, 1989

Düsseldorf – Josef Stalin stand nur vorübergehend auf dem Sockel. Aber als Evelyn Richter Anfang der 1950er Jahre die Statue auf dem Leipziger Karl-Marx-Platz fotografierte, wirkte sie überlebensgroß. Müde Menschen machen gerade eine Pause am Rande einer politischen Kundgebung. Der Betrachter ahnt schon, dass sich Euphorie und Patriotismus in Grenzen halten. Kurz darauf wurde das Denkmal für den sowjetischen Diktator angesichts der fortschreitenden Kritik an dessen Verbrechen wieder abgebaut.

Chronistin des Ost-Alltags

„Evelyn Richter verstand ihr künstlerisch dokumentarisches Werk in Opposition zu den politisch gewollten Bildern der DDR“, erklärt Linda Conze, Kuratorin und Leiterin der Sammlung Fotografie im Kunstpalast Düsseldorf. Als erstes Museum in Westdeutschland widmet er der im vergangenen Jahr im Alter von 91 Jahren verstorbenen Fotografin nun eine Retrospektive. 2020 erhielt die Chronistin des DDR-Alltags für ihr Lebenswerk den erstmals verliehenen Bernd-und-Hilla-Becher-Preis der Landeshauptstadt.

Ihre dokumentarische Arbeit ist facettenreich und reicht von ungemein feinsinnigen Porträts über vom Krieg zerstörte Stadtlandschaften im Osten Deutschlands. In verschiedenen Jahrzehnten warf Richter auf Reisen durch den gesamten Ostblock immer wieder einen Blick auf Moskau mit pompösen Paraden, genauso wie auf innige Kunstbetrachter der Tretjakow-Galerie.

3_Moskau, 1957

Moskau, 1957

Straßen und Plätze der Sowjetunion werden auf den Bildern einmal als Bühne für politische Aufführungen dargestellt, aber auch der Alltag spielt sich dort ab. Es sind immer wieder die nebensächlichen Beobachtungen, mit der Richter allem Martialischen die Schärfe zu nehmen versteht. In Prag lichtete sie 1976 spielende Kinder zwischen abgedeckten Panzern ab.

Bände spricht auch der schnöde Softeisverkaufsstand in der DDR mit Wellblechdach, der vor uniformen Plattenbauten steht. Die Szene offenbart die ganze Not des Wohnungsbaus der 1970er Jahre. Erich Honecker legte ein staatliches Programm auf, bei dem Hochhäuser auf der grünen Wiese zwar für Komfort mit Aufzug, Heizung und Warmwasser standen, doch gleichsam unwirtliche Orteabbildeten.

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 Tretjakow-Galerie, Moskau, 1957 Silbergelatineabzug

Eisdielen waren ein beliebter Treffpunkt für alle Bevölkerungsschichten, doch Richter zeigt auf dem menschenleeren Bildausschnitt nur die Verkäuferin, die erwartungsvoll in die Kamera lächelt – offenbar in der Hoffnung, es mit einer Kundin zu tun zu haben.

Ein eigenes Kapitel sind die Künstlerporträts. Größen wie den aus Odessa gebürtigen Violinvirtuosen David Oistrach begleitete sie während der Proben oder im Konzert. Die Bilder finden sich auf manchem Plattencover wieder. Otto Dix ist 1964 beim Lithographieren im Atelier zu sehen.

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Raffiniert wirkt die Ansicht aus der Thomaskirche in Leipzig. Es ist eines der wenigen Fotos, auf dem die Fotografin mit der Kamera selbst zu sehen ist. Sie fotografiert in den Spiegel des Organisten. Hinter ihr ist das Gewandhausorchester Leipzig zu sehen, über dem Spiegel ragen die Orgelpfeifen in die Höhe.

Die aus Bautzen stammende Evelyn Richter entwickelte früh Interesse an Experimenten der Avantgarde, um 1950 entstand eine schon kubistisch anmutende Arbeit über die Frauenkirche in Dresden. Das Bild bearbeitete sie mit Chemikalien, die sich auf dem Fotopapier wie Feuerzungen bewegen.

Ergreifend sind ihre Bilderzyklen wie „Entwicklungswunder Mensch“, darin zeigt sie Kinder als ausgeprägte Persönlichkeiten. In „Arbeit“ sind zumal Frauenporträts von der Chirurgin bis zur Schichtarbeiterin an der Druckmaschine zu sehen.

Studien betrieb sie auf ihren vielen Bahnreisen unter dem Titel „Unterwegs“. Sie fotografierte Menschen im Zug, dösend, lesend, sinnierend, wartend mit Bierflasche oder einfach nur der Aktentasche. Bilder, die in mancher Hinsicht auch im Westen hätten entstanden sein können – berührend die große Freude in den Gesichtern angesichts des Falls der Mauer.

Bis 8. Januar, Di bis So 11 – 18 Uhr, Ehrenhof 4-5, Düsseldorf.