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Lit.Cologne in KölnRichard David Precht und Harald Welzer über ihre Medienschelte

Lesezeit 3 Minuten
Precht LitCologne

Harald Welzer (l.) und Richard David Precht diskutieren über die Medien.

Köln – Die Kölner Flora ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Einige Besucher halten das aktuelle Buch von Richard David Precht und Harald Welzer „Die vierte Gewalt – wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“ fest in ihren Händen. Und als dann um kurz nach halb acht die zwei wohl derzeit heißdiskutiertesten Autoren der Nation zusammen mit Moderator Lothar Schröder – Leiter der Kulturredaktion der Rheinischen Post – im Rahmen der lit.Cologne Spezial die Bühne betreten, ist eine gewisse Anspannung im Saal nicht wegzudiskutieren.

Precht und Welzer: Zwei Opfer eines Shitstorms

Schröder greift die Stimmung sofort auf, spricht den Shitstorm an, den Precht und Welzer in den letzten Monaten haben über sich ergehen lassen müssen. Und als hätte Schröder in ein Wespennest gepackt, spricht der Soziologe Welzer von dem gesellschaftlichen Phänomen des Fertigmachens und davon, dass er nicht als Wissenschaftler, jedoch als Bürger monatelang gekränkt und diffamiert worden sei. Dabei wird er laut. Die Kränkung nimmt man ihm ab. Hintergrund: Zusammen mit anderen Intellektuellen hat Welzer im Mai in einem Offenen Brief den sofortigen Waffenstillstand im Ukrainekonflikt und Friedensverhandlungen gefordert. Die Reaktionen auf diesen Brief waren immens. Vor allem immens aggressiv gegenüber Welzer, Precht und Co.

Nicht aggressiv, aber entschieden redet sich Precht dann in Rage, bringt den Begriff der Krisen-Resilienz in die Diskussion mit ein. Denn: Die bräuchte es in Zukunft, so seine Vermutung. Krisen werden extremer, und sie werden auch nicht so schnell verschwinden, glaubt er. Schneller jedoch als uns lieb ist, verschwände stattdessen eine sinnvolle und respektvolle Debatten-Kultur. Und die liege ihm am Herzen. Energisch und klar betont kommt dann noch der Satz über seine Lippen: „Die Ausgrenzung anderer Meinungen ist sehr gefährlich.“

Precht zeigt Mitleid mit Olaf Scholz

Precht macht im Verlaufe der Veranstaltung keinen Hehl daraus, wer ihm in den letzten Monaten wirklich leidgetan habe: Olaf Scholz. Der sei in einer Kultur des Soforts – ein In-Sich-gehen, Luftholen oder gar Nachdenken ist in Zeiten, in denen jeder zu allem direkt nicht nur eine Antwort, sondern darüber hinaus auch eine entsprechende Handlung parat haben müsse – schlecht dran, meint der gebürtige Solinger.

Fortan folgt eine Nachhilfestunde in Sachen Demokratie. Welzer holt weit aus, staatsphilosophisch schwärmt er von „der einzigen Form“, die sich am besten Veränderungen anpassen könne. Demokratie treibe den zivilisatorischen Prozess gut voran, und das schneller, als jedwede Diktatur, erzählt er. Von wegen, Demokratie sei langsam: Diese These ist vom Tisch.

Und dann lässt er es nochmal so richtig krachen, denn nachvollziehen könne er es nicht, wenn Menschen im Rahmen der Verleihung des Friedenspreises für den ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan in der Frankfurter Paulskirche minutenlang applaudieren. Die Perspektive der Angegriffenen sei schließlich eine andere, als die einer dritten Partei. Ein Raunen geht durch das Publikum. Welzer wirkt genervt. Schröder sprachlos.

Der perfekte Zeitpunkt, um am Ende des Abends noch einmal auf die Leitmedien und ihre Rolle einzugehen: Die sogenannte vierte Gewalt sei nicht per se zu kritisieren, wehrt sich Precht. Er wolle ausschließlich ihr verändertes Selbst-Verständnis kritisieren. Denn: Sie vernachlässige in den letzten Jahren immer stärker ihre eigentliche Kontrollfunktion der Politik, viel schlimmer noch: Sie wolle selber Politik betreiben, meint er. Und: Er konstatiere. Mehr nicht. Für einen konstruktiven Dialog sei er stets zu haben.