„Les Troyens“Glanzvoller Auftakt eines neuen Kapitels der Kölner Operngeschichte
Köln – Auf einem großen runden Sushi-Laufband lässt Regisseur Johannes Erath in der mit Spannung erwarteten ersten Inszenierung in der Ägide des neuen Kölner Opernintendanten Hein Mulders die Überraschungen des Abends auffahren. Das Berlioz-Vermächtnis „Les Troyens“ schafft sich so ein Ostinato an Bewegung in einer Operninszenierung ohne wirkliche Bühne – die an diesem Abend niemand vermisst.
Troja und Karthago, die beiden Spielorte der Handlung, bleiben dankenswerterweise von jeder Art Theaterblut verschont, obwohl die Kämpfe lebhaft gefochten werden. Und für die Hauptakteure dieser Oper ist die eigentliche Bühnenmitte reserviert: Dort füllt das Gürzenich-Orchester ein vom Laufband umrundetes Becken, nur die sechs Harfen besitzen ein eigenes ausgelagertes Terrain und bilden mit einer Chorempore um das riesige Fragment einer antiken Monumentalstatue den rückwärtigen Abschluss.
„Die Trojaner“ outet sich als echte Chor-Oper
Dieses Konzept realisiert den Ansatz der Regie: Die Einzel- und Paarschicksale werden frontal als Kammerspiel präsentiert, das Orchester erzeugt Assoziationen und große Bilder, und „Die Trojaner“ outet sich als echte Chor-Oper. Das bildet auch die Handlung ab, die mit einem Festbild beginnt zur Feier des Abzugs der verhassten Griechen, übrig bleibt nur das berühmte trojanische Pferd.
Hector Berlioz, der auch das Libretto verantwortet, dampft die große Szene ein in die intime Begegnung mit der Seherin Kassandra. Sie kann selbst ihren Geliebten Chorèbe nicht von ihrer Voraussage des Untergangs Trojas überzeugen. Dagegen gehorcht Aeneas, Sohn der Venus, dem Befehl des toten Troja-Helden Hektor, die Stadt zu verlassen und ein neues Reich in Italien zu gründen. Kassandra und die tapferen Troja-Frauen entziehen sich der drohenden Sklaverei durch Freitod, auf den Lippen den Ruf „Italien“.
Jetzt schließt sich eigentlich ein Bildwechsel an, denn die suchenden Trojaner erreichen Afrikas Karthago, Neuland der jungen Witwe Dido. Erath dreht die Volkskleidung von schwarz auf weiß, präsentiert historische Bademoden (Kostüm und Bühne: Heike Scheele) im Rimini-Feeling. Und wieder feiern die Massen, diesmal Wohlstand und Glück mit Dido. Diese liegt allerdings lieber angeschickert in der Wanne, denn zu ihrem Glück fehlt ein Mann. Und da trifft Aeneas ein, der als Feldherr ihr Herz erobert. Doch diese Liebe wird am Ruf der Götter scheitern: Italien. Dido richtet sich selbst und sieht ihren Rächer der Zukunft voraus: Hannibal ante portas.
Ensemble packt permanent energiegeladen zu
Erath verleiht den omnipräsenten Göttern, die eigentlich nur durch die Gesänge geistern, leibhaftige Gestalt. Auch sie werden am laufenden Band serviert. Da François-Xavier Roth die gesamte originale Partitur, Ballettmusiken inklusive, auf die Bühne bringt, benötigt die Regie zusätzliche Bilder. Diese erzeugen im zweiten Teil der satten vier Stunden zwar leichte Ermattungserscheinungen, bilden aber Erholungsphasen für das Publikum, denn das Ensemble packt permanent energiegeladen zu – von allen Seiten.
Als Kassandra überzeugte Isabelle Druet, die mit der Titelrolle in „Béatrice und Bénédict“ ihr Hausdebüt ablegte. Mit samtigem Bariton agierte das Hausgewächs Insik Choi als Chorèbe. Der sizilianische Tenor Enea Scala ist als trojanischer Kriegsheld Aeneas rein körperlich zu Rollen-Hühnen wie John Vickers oder Gary Lakes ein Leichtgewicht. Was ihn eint sind die herausgepfefferten geröhrten Spitzentöne. Die Stimme ist in Koloratur und scharfer Kontur auf Zack, und sie hält der höllischen Partie sicher Stand bis ins Finale. Auch sein berühmtes Duett mit einem völlig ungedeckten Gipfel-C war den Opernfans einige Bravi wert – natürlich dank der großartigen Partnerin Veronica Simeoni, die ihrer Didon Liebe und Hass zu gleichen Teilen verlieh. Erwähnt sei für die vielen kleinen Rollen Young Woo Kim für sein Lied des Hylas: tenoraler Balsam auch wegen des hitverdächtigen Melos.
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Grandiose Höhepunkte musikalischer und szenischer Inszenierung garantierte das rauschhafte Spiel mit Klängen aus dem Off, seien es die anrollenden Stimmen des Chores von allen Seiten, der wiederkehrende Einsatz mehrerer Fernorchester mit wechselnder Ausrichtung oder die gelungenen Tuttistellen frontal. Das war praktisch Dolby-Surround, wie man ihn aus Kinos kennt – im Staatenhaus live erzeugt. Chor und Zusatzchor hatte Chordirektor Rustam Samedov sehr perfekt einstudiert, sonst hätte die Koordination nicht geklappt. Kapellmeister Roth war sichtbar in seinem Element, er wogte in den Klängen, da bereitete bereits das Zusehen Spaß. Dieses bei der Premiere bejubelte Fest für Auge und Ohr bietet Besonderes und damit einen gelungenen Neustart.