Das Wallraf-Richartz-Museum macht in „Museum der Museen“ eine Wanderung durch 500 Jahre Kunst- und Ausstellungsgeschichte.
Neue Schau in KölnWallraf-Richartz-Museum bietet eine Zeitreise durch die Kunst des Sehens
Die Koralle schützt angeblich vor dem bösen Blick. Auch wenn sie in der Nachbarschaft zum anatomischen Miniaturmodell einer Schwangeren aus dem 17. Jahrhundert vielleicht nur zufällig in der Vitrine liegen mag, dürfte der Zufall zumindest eines beim Betrachter der kleinen „Kunst- und Wunderkammer“ zutage gebracht haben: Seine Freude an der visuellen Assoziation, der Verknüpfung ist geweckt.
„Kunst und Wunderkammer“
Die „Kunst und Wunderkammer“ war die Frühform des Museums. Damit lädt das Wallraf-Richartz gleich zu Anfang seiner neuen Ausstellung „Museum der Museen“ zu einer Betrachtungsweise ein, die ganz schön elitär war: Fürsten und wohlhabende Bürger sammelten Kostbarkeiten, Raritäten und Exotisches, um sich damit zu distinguieren. Und sei es dadurch, dass man sich ein ausgestopftes Krokodil leisten konnte.Nicht jeder durfte sich das anschauen, allenfalls geladene Gäste kamen in die Kammer und waren nicht selten erschlagen von der Gesamtschau. Irgendwann wurden die Sammlungen einfach zu groß. Damit ergab sich das Problem, wie man das Tohuwabohu ordnen sollte. Es gliederte sich erst einmal in Naturalien- und Antikensammlungen und Gemäldegalerien.
Dieser Tradition wiederum war Kölns berühmter Sohn Ferdinand Franz Wallraf noch verbunden, dessen 200. Todestag in diesem Jahr Anlass für die kurzweilige Ausstellung ist. Gilt er doch als Vater aller Museen der Stadt. Beiträge der Kölner Sammlungen ziehen sich daher wie ein roter Faden durch die Schau.
Den Impuls für den Titel und das Konzept gab Kunsthistoriker Wulf Herzogenrath, einstiger Direktor des Kölnischen Kunstvereins. Anne Buschhoff, Leiterin des Graphischen Sammlung des WRM, setzte die Idee um. Über 500 Jahre reicht diese Kunstgeschichte durch sieben Kapitel, die den Blick schärfen für die Herangehensweisen der Ausstellungsmacher und Künstler und ganz besonders für die Art, wie sich der Betrachter den Sujets nähert.
„Wir wollen zeigen, dass man von einer Museumswelt in die nächste wandeln kann“, sagt Direktor Marcus Dekiert. Die Zeitreise reicht vom 16. Jahrhundert mit den Wunderkammern über barocke Hängungen in fürstlichen Schlössern, dem 19. Jahrhundert als Zeit der Inszenierung bis zur anschließenden Besinnung auf das Einzelwerk.
„Das 20. Jahrhundert war eine Spielwiese für Museen und Künstler“, so Dekiert. WRM-Direktor Alfred Hagelstange (1874 – 1914) setzte sich für progressive Hängung ein und öffnete das Haus den Malern des Realismus und der Klassischen Moderne. Im Raum für die Gegenwart bewegt man sich in einem Museumszirkus nach John Cage.
Der Komponist und Konzeptkünstler ließ einst den Zufall kuratieren, und das WRM machte es jetzt genauso. Die anderen Kölner Museen und Sammlungen stellten ein Werk zur Verfügung. Die Mitarbeitenden des Kolumba losten es zum Beispiel bei der Weihnachtsfeier aus. Anne Buschhoffs Sohn kreierte ein Computer-Programm zur Auswahl der Objekte, von denen 30 während der Ausstellung wechseln. Der Rest allerdings muss während der ganzen Zeit im Depot bleiben, darunter auch ein echter Picasso.
Viel zu wissen und schön zu arrangieren, das war Cage zu eintönig. Das Publikum sollte selbst sehen, was im Fundus ist. Eine Beschriftung fehlt absichtlich, allerdings gibt es an den Wänden Blätter, die aufklären. Dem Alltag und der Emotion im Kunstraum widmet sich das „Musée de Wallraf“ und geht auf die 1979 im Kölnischen Kunstverein von Daniel Spoerri realisierte Schau „Musée sentimental“ zurück.
Mit dem Schweizer arbeitete damals die Museologin Marie-Louise von Plessen zusammen, die sich beim Pressetermin an ihre Angst erinnerte, die sie „als Protestantin aus dem Norden im Heiligen Köln hegte“. Einfache Alltagsgegenstände, Einzelobjekte wie Konrad Adenauers Aktentasche oder Heinrich Bölls Bleistift wurden in den Vordergrund gehoben. Die identitätsstiftenden Erinnerungsstücke kamen in der Domstadt gut an, und laut Marie-Louise von Plessen staunte selbst Künstler Nam Yune Paik damals nicht schlecht, wie viel gelacht wurde.Es war eine neue Art Wunderkammer entstanden. Die Frage, wie das Museum der Zukunft ausschauen könnte, hat man sich schon früher gestellt. So zeichnete Albert Robida 1883 in Paris die „Straßenbahn des Louvre“. Auf einem Bimmelbähnchen fahren Kunstinteressierte durch die Gemäldesammlung. Heute können die User weltweit die virtuellen Zwillinge der Museen besuchen.
Im letzten Raum der Schau hat Ingo Günther mit seinem „Museumsnavigator“ eine interkontinentale Kunstreise mit Hilfe der KI arrangiert. Dort kommt auch Adenauers Aktentasche vor. Doch kurz bevor man wieder geht, blickt man nach allem Science-Fiction-Geflimmer noch einmal tief dem Porträt von Max Liebermann in die Augen und freut sich am Analogen.
Bis 9. Februar, Di bis So 10 – 18 Uhr, Obenmarspforten.