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Lit.CologneEdna O‘ Brien stellt aktuellen Roman „Das Mädchen“ vor

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Dem Thema weiblicher Selbstbefreiung ist Edna O’Brien treu geblieben.

  1. Mit fast unglaublicher Einfühlungskraft erzählt die 89-jährige Autorin das Drama eines mehrfachen Martyriums.
  2. „Das Mädchen“ ist eine unvergessliche Titelheldin, eine Kämpferin.
  3. Die Autorin hat sogar selbst vor Ort recherchiert.

Köln – Eigentlich suchen die marodierenden Männer ja Jungen, die sie als Soldaten versklaven können, oder wenigstens Benzin und Waffen. Insofern ist ihr Überfall auf das nigerianische Dorf ein Fehlschlag. Bis einer grinsend meint: „Mädchen tun’s doch auch.“ Mit diesem Satz endet die Kindheit von Maryam und ihren Leidensgenossinnen, die von den Boko-Haram-Schergen verschleppt werden.

Bald finden sie sich in einem morastigen Lager wieder, wo ihnen die Männer Koran-Suren eintrichtern, von islamischer Reinheit schwadronieren und ihre Gefangenen dann massenhaft vergewaltigen. „Ich war einmal ein Mädchen, aber ich bin es nicht mehr“, sagt Maryam gleich zu Beginn von Edna O’Briens erschütterndem Roman. „Bin voller getrocknetem, verkrus tetem Blut, und mein Kleid ist zerfetzt.“

Drama eines mehrfachen Martyriums

Mit fast unglaublicher Einfühlungskraft erzählt die 89-jährige Autorin das Drama eines mehrfachen Martyriums, denn dem fortwährenden brutalen Missbrauch folgt fast zwangsläufig eine Schwangerschaft, dann die Flucht mit dem Baby durch Urwälder und Sandstürme, das alles bei Hungerqualen und ständiger Todesangst.

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„Das Mädchen“ ist eine unvergessliche Titelheldin, die ihr Schicksal lieber tapfer konstatiert und zu ändern versucht, als es weinerlich zu beklagen. Eine Kämpferin. „Ich schwor mir, mich zu einem harten Knoten zu machen, einer tief in der Erde vergrabenen Knolle“, an der sich die männlichen Raubtiere die Zähne ausbeißen sollten.

Gesamtbild einer verlorenen Generation

Dank raffinierter Schnitte in die Chronologie und eingestreuter Berichte anderer Gefangener montiert die irische Schriftstellerin die Stationen des Leidenswegs zum Gesamtbild einer verlorenen Generation. Und neben die schonungslos, dabei nie sensationsheischend beschriebenen Torturen stellt Edna O‘Brien die wilden, wirren Träume der Geschundenen. Wobei sich in Maryams Angstvisionen auch Rachefantasien mischen: „Ich koche meine Peiniger in schwarzen Töpfen.“

Die Autorin hat selbst vor Ort recherchiert, in Dörfern und Klöstern, die für manche der zurückgekehrten Mädchen zur Zuflucht wurden. Denn auch Maryam erwartet nach ihrer Flucht durch das geschundene Land ein vergiftetes Happy End. Für ihre Familie und die anderen Bewohner ist sie die aussätzige „Dschihadi-Frau“, die mit dem Baby „schlechtes Blut“ in die Gemeinschaft bringt und das Kind auf „christlichen Rat“ abgeben soll.

Weibliche Selbstbefreiung

Schon in ihrem Romandebüt „Die Fünfzehnjährigen“ (1960) sowie den Folgebänden der „Country-Girls-Trilogie“ hatte die Autorin heftig an den Gittern einer rückständigen Moral gerüttelt, was zunächst zum Verbot dieser berühmt-berüchtigten Bücher führte. Dem Thema weiblicher Selbstbefreiung ist sie treu geblieben.

Letztlich erleidet Maryam einen vollständigen Heimatverlust, der sie nach all den vorangegangenen Demütigungen brechen könnte. Doch genau das geschieht nicht, und am Ende gibt es sogar eine Art Erlösung, einen sicheren Ort. Goldene Abenddämmerung erhellt schließlich das Schlafzimmer. „In diesem Moment ungetrübter Hoffnung,  ungetrübten Glücks war mir, als dränge dieses Licht bis in die dunkelsten Schichten des Landes.“ Ein überwältigendes Buch.

Edna O’Brien: Das Mädchen. Roman, aus dem Englischen von Kathrin Razum. Hoffmann und Campe, 253 S., 23 Euro. Die Autorin liest am 14.3. um 18 Uhr in der Stadthalle Köln-Mülheim. Es gibt noch Karten.