Mit Hemingway in „Harrys Bar“ versackenHanns-Josef Ortheils neuer Venedig-Roman
- Der gebürtige Kölner Hanns-Josef Ortheil nimmt eine heikle Lebensphasedes großen Ernest Hemingway unter die Lupe.
- Der Roman „Der von den Löwen träumte“ ist stark autobiografisch geprägt.
- Aber dazu kommt natürlich noch eine erotische Brandbeschleunigerin...
Köln – Als er 1948 mit seiner vierten Frau Mary Welsh und großer Ruhmesbugwelle nach Venedig kommt, ist Ernest Hemingway tatsächlich „so krank wie noch in seinem Leben'“. Schreib- und Ehekrise, die noch nicht verwundenen Kriegstraumata und viel zu viel Alkohol.
Der gebürtige Kölner Hanns-Josef Ortheil nimmt diese heikle Lebensphase seines großen amerikanischen Kollegen nun in seinem Roman „Der von den Löwen träumte“ unter die Lupe. Zunächst logiert der aus dem Tritt geratene Starautor im Hotel Gritti, lernt über den Journalisten Sergio Carini dessen Sohn Paolo kennen, der nichts anderes sein will als Lagunenfischer. Fischfang und Löwenjagd gehören auch zum Lebenselixier des Schriftstellers, der zwar ausgiebig in „Harrys Bar“ an San Marco versackt, dann aber in der Locanda Cipriani auf der kleinen Insel Torcello wieder zu scheiben beginnt.
Geschichte bekommt eine erotischen Brandbeschleunigerin
Doch dem autobiografisch getönten Roman um den Kriegsveteranen Richard Cantwell fehlt etwas – bis Hemingway die 19-jährige Adelstochter Adriana Ivancich trifft. Sie wird gewissermaßen zur erotischen Brandbeschleunigerin der Geschichte. Ob „Papas“ Beziehung zur 30 Jahre jüngeren Schönheit platonisch blieb, wird durchaus ergebnisoffen diskutiert, Ortheil jedenfalls lässt die Schlafzimmertüren geschlossen.
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Überhaupt kommt sein Roman allzu samtpfotig daher. Während Steffen Kopetzky in „Propaganda“ ein schillerndes Porträt des vom Kriegsheldenanspruch überforderten US-Autors zeichnet, wird hier fast immer sotto voce erzählt. „Die furchtbaren Schlachten im deutschen Westen“ heißt es arg pauschal, wenn doch Hemingways Dämonen toben müssten. Man ist angeblich so nah am seelisch angeknacksten Macho, seiner eifersüchtigen Gattin sowie der jungen Nebenfrau - und blickt doch kaum je wirklich in die Köpfe der Figuren.
Altmodisches Hemingway-Bild und Reiseführer-Atmosphäre
Gewiss, Ortheil („Paris links der Seine“, „Die Mittelmeerreise“) fächelt viel Venedig-Flair in sein Buch, das durchaus auch als Reiseführer zu sonst übersehenen Nebenschauplätzen taugt. So gut ihm aber das Porträt der auf Burano lebenden Familie Carini glückt, so bräsig fällt letztlich sein Hemingway- Bild aus. Was auch an steifleinenen inneren Monologen wie diesem liegt: „Venedig wird dir die schönen Schreibmanöver wieder beibringen, die in den Kriegsjahren von anderen Manövern zerstört worden sind.“
Hanns-Josef Ortheil lehrt in Hildesheim Kreatives Schreiben und war wohl vor allem an den inneren Mechanismen des Arbeitsprozesses interessiert. Er lässt Paolo schon früh erkennen, dass Hemingways allzu simpel von Adriana befeuerter Venedig-Schlüsselroman „Über den Fluss und in die Wälder“ durchfallen wird. Und inspiriert ihn dann selbst zum sehr viel kürzeren und stärkeren Buch „Der alte Mann und das Meer“, das 1954 auch die Nobelpreis-Jury überzeugt.
So werden wir Zeuge einer letztlich heilsamen Krise, die gewiss sorgsam recherchiert ist, literarisch aber eher auf Sparflamme köchelt.
Hanns-Josef Ortheil: Der von den Löwen träumte. Roman, Luchterhand, 350 S., 22 Euro. Der Autor liest auf der lit.Cologne spezial am 17.10., 18 Uhr im WDR-Funkhaus.