„Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi“ heißt es im September im Theater am Tanzbrunnen. Der Politiker im Gespräch mit der Rundschau.
Lesung im Tanzbrunnen in Köln„Wir müssen den rechtlichen Rahmen für die sozialen Medien finden“
In Kurzinterviews über die erste Liebe, Kanzleialltag, Bürgergeld oder zivilen Ungehorsam äußert sich Gregor Gysi auch zur Weltlage. Jan Sting sprach mit dem Politiker der Partei Die Linke, Rechtsanwalt und Autor über Hass im Netz und Neue Medien.
Es gab mal Zeiten, da verschwanden ganze Ochsen für die Currywurst der VW-Kantine in Wolfsburg. Dann wurde sie verbannt und wieder zurückgeholt. Was verbinden Sie mit dem „Kraftriegel“ der Nation?
In Berlin standen eigentlich immer die Bockwurst und die Boulette im Mittelpunkt. Dann machten langsam die Wiener etwas Konkurrenz. Und plötzlich kam die Currywurst und hat das Feld erobert. Beim 1. FC Union esse ich sie immer in der Pause, um mich zu stärken. Weil ich in der ersten Halbzeit oft schon die Nerven verloren habe.
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Sie haben als junger Mann den Beruf des Rinderzüchters gelernt. Was hat ihnen als Anwalt und Politiker dabei geholfen?
Na vieles. Erstens kann ich melken, was ganz wichtig ist. Zweitens kann ich künstlich besamen. Sie waren noch nicht Mitglied des Bundestags, sonst würden Sie verstehen, was ich meine. Drittens kann ich ausmisten. Das ist besonders wichtig. Und viertens kann ich mit Hornochsen umgehen. Alles das ist dafür phantastisch.
In den Interviews zum Buch mit Hans-Dieter Schütt geht es nicht nur um die Currywurst. Wie war es, mit Fragen von den Frauen bis zur Parteirettung bombardiert zu werden? Sie geben viel Persönliches preis.
Ja, ich bin durchaus persönlich, aber nie privat. Man erfährt, dass ich zweimal geschieden bin. Aber nicht warum.
Brüllaffe Marlon und Flusspferd Debby sind Ihre Patenkinder. Sehen Sie die ab und zu?
Ich habe extra ein Patenkind aus dem Tierpark und eines aus dem Zoo in Berlin genommen. Beides hat mit dem früheren Ost- und Westberlin zu tun, das war mir politisch wichtig. Ich zahle für die beiden auch. Und mein Flusspferd, hat inzwischen ein Baby bekommen. Und das rote Brülläffchen – wer soll das schon erziehen können, wenn nicht ich? Einmal im Jahr besuche ich die beiden.
Ihre Mutter leitete die ostdeutsche Filiale des internationalen Theaterinstituts. Ihre Schwester ist Schauspielerin. Sie selbst haben im Admiralspalast in der „Rocky Horror Show“ den Erzähler gespielt. Wäre Schauspieler etwas für sie gewesen?
Das ist nicht mein Beruf. Aber ich erzähle mal die Geschichte, wie sie war. Da kam jemand zu mir und fragte, ob ich bereit wäre, in einem Musical als Erzähler aufzutreten. Ich dachte an so etwas wie Anatevka. Das könnte ich mal machen. Dann kam der Vertrag, und ich habe überhaupt nicht reingeschaut und einfach unterschrieben. Für einen Rechtsanwalt unmöglich. Ich war moralisch, juristisch und auch politisch gebunden und war an drei Abenden dabei. Eine Frau schrie immer „Nach Hause, nach Hause“. Da habe ich geantwortet. „Zu Dir oder zu mir?“
Sie erklären in dem Buch „Ich lasse mich nicht reizen“, an anderer Stelle „Ich hasse nicht zurück“. Wie schaffen Sie das?
Da gibt es eine einfache Methode. Wenn jemand hasst, neigt man dazu, zurückzuhassen. Man muss sich aber überlegen, warum der einen hasst. Und dann sagt man sich „Der hat ja von dir nur das gelesen, der glaubt jenes, er ist derartig einseitig informiert. In dem Moment, wo man sich das erklärt, beurteilt man ihn etwas milder.
Sie nehmen vermehrt Hass, gerade in sozialen Medien wahr. Immer wieder werden Politiker attackiert. Was raten Sie jungen Menschen?
Ich glaube, dass wir den rechtlichen Rahmen für die sozialen Medien finden müssen. Früher hatten wir bei Zeitungen, Fernsehen, Rundfunk das mit Widerruf, Gegendarstellung und Unterlassung. Das haben wir bei den sozialen Medien nicht. Das Recht hinkt immer hinterher. Wenn wir da einen Rahmen haben und die Fragen klären, was darf anonym sein, was nicht – insbesondere, wenn Hass gepredigt wird, dann kann man etwas dagegen unternehmen. Das sind aber alles Fragen, die ich gar nicht endgültig beantworten will.
Aber man sollte sie anstoßen.
Die sozialen Medien sind auch eine demokratische Bereicherung, aber eine wirklich unabhängige Einrichtung, wo man sich erkundigen kann, was wahr ist und was nicht, gibt es nicht. Und das zweite ist eben der Hass, der da verbreitet wird und der Rassismus und Antisemitismus. Es müssen Grenzen gesetzt werden.
Was hat sich Ihrer Ansicht nach in den letzten Jahren in unserer Gesellschaft am stärksten verändert?
Die Abneigung eines wachsenden Teils der Bevölkerung gegenüber der etablierten Politik von der CSU bis einschließlich der Linken. Sie trauen ihnen nicht mehr über den Weg. Bei der letzten Bundestagswahl waren das 38,5 Prozent der Bevölkerung, 20 Prozent gehen gar nicht wählen, ein Prozent wählt absichtlich ungültig, 8,7 Prozent wählen kleine Parteien. Sie wissen genau, dass diese nicht einziehen werden, aber sie wollen ihre Abneigung gegenüber den etablierten Parteien zum Ausdruck bringen. Und die Wahl der AfD ist ja auch ein Ausdruck dafür, sie nimmt ja nicht ab, sondern zu.
Was schlagen Sie vor?
Wir müssen darüber nachdenken, was wir falsch machen, was dazu führt, dass die AfD gewählt wird.
In Ihrem Buch ist zu lesen, dass sie von der Wirtschaft zu Vorträgen eingeladen werden. Da ist für Sie wahrscheinlich ungewohnt.
Ja. Vor allen Dingen lädt mich immer häufiger auch die evangelische und die katholische Kirche ein. Erst dachte ich, es ist deren Personalmangel. Aber es war wegen meines Satzes, dass ich nicht an Gott glaube, aber eine gottlose Gesellschaft fürchte, womit ich eine religionsfreie Gesellschaft meinte, die ich fürchte. Wenn wir nicht die zehn Gebote der christlichen Kirche hätten und die Bergpredigt, dann hätten wir überhaupt keine allgemeinverbindliche Moral.
Im Theater am Tanzbrunnen ist Gregor Gysi am 2. September, 20 Uhr, in der von Hans-Dieter Schütt moderierten Lesung „Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi“ zu hören. Einen Tag später liest er zu gleicher Zeit im Robert-Schumann-Saal des Kunstpalasts in Düsseldorf. Karten gibt an den bekannten Vorverkaufsstellen und bei Eventin.
Der Journalist Hans-Dieter Schütt war von 1984 bis 1989 Chefredakteur des FDJ-Zentralorgans Junge Welt und von 1992 bis 2012 Feuilletonredakteur beim Neuen Deutschland.
„Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi“ von Gregor Gysi und Hans-Dieter Schütt, Aufbau, 301 S., 22 Euro.