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„Wirtschaftsmotor Nummer eins“Das bieten die Passionsfestspiele in Oberammergau

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Einzug in Jerusalem: Frederik Mayet ist einer der beiden Jesus-Darsteller.

Oberammergau – „Ich werde das nicht mehr erleben.“ Aber konsequent ausschließen will Oberspielleiter Christian Stückl nicht, dass Jesus von einer Frau gespielt wird oder Maria von einem Mann. „Man soll nie nie sagen.“ Aber wenn die Passionsspiele in Oberammergau mit zweijähriger Verspätung am 14. Mai ihre diesjährige Premiere feiern, wird zumindest in Sachen Rollenverteilung noch alles beim Alten bleiben.

Verschiebung kennt man vor Ort: „Vor genau 100 Jahren, 1920, musste das Passionsspiel aufgrund der Spanischen Grippe abgesagt werden – und man hat 1922 nachgespielt“, erzählt Stückl bei einer großen Pressekonferenz. Aber die Idee, einfach alles „einzumotten und wieder heraus zu holen“, habe nicht geklappt. „Copy/paste funktioniert bei der Passion nicht“. Zumindest seien von den 42 Hauptdarstellern 39 bei der Stange geblieben. Bei den Nebendarstellern mussten viele neubesetzt werden, auch die Zahl der Statisten habe sich verringert. Die Proben starteten praktisch wieder bei Null.

„Der Wirtschaftsmotor Nummer eins“

Kein Wunder, hier spielt fast das ganze Dorf mit, Lebensplanungen ändern sich, auch wenn es Ehrensache ist, sich bei den seit 1634 alle zehn Jahre stattfindenden Aufführungen zu engagieren. Jedoch nicht nur das: Sie sind laut Bürgermeister Andreas Rödl „der Wirtschaftsmotor Nummer eins, die Gemeinde lebt für die Passion und durch die Passion!“

Anknüpfen konnten Stückl und sein Team allerdings bei den vor 2020 begonnen Planungen, dem Stück eine Frischzellenkur zu verpassen. Man habe sich an Text, Musik und Bühnenbild „rangemacht“.

Erzählt wird nach wie vor die Geschichte von Jesus’ Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Doch statt wie früher die biblischen Motive zu illustrieren, hat Bühnenbildner Stefan Hageneiner eine „Tempelanlage“ geschaffen, in der alle Szene spielen – dabei ziehe sich eine „dystopisch-düstere Atmosphäre“ durch die Aufführung.

Das Jesus-Bild ist im ständigen Wandel

Da es keinen Autor gibt, hat Christian Stückl, der zum vierten Mal Regie führt, relativ freie Hand bei der Bearbeitung, stellt aber fest: „Das eigene Bild von Jesus verändert sich ständig.“ Der theologische Diskurs sei gar nicht so wichtig, „sondern klar zu machen, was der Wille Gottes ist“. Nach 2015 sei ihm aufgefallen, wie häufig die Worte Flüchtlinge oder Arme in der Bibel vorkämen – und wie nahe Jesus sich an den Rändern der Gesellschaft aufhalte. „Wir erzählen immer noch die Leidensgeschichte Jesu, aber mir ist die Lebensgeschichte sehr wichtiger: Was wollte dieser Mensch?“

Karten und Übernachtung

Am 14.Mai ist die Premiere, ab der kommenden Woche gibt es öffentliche Proben. Es gibt noch Karten – die Auslastung momentan 75 Prozent der 103 Vorstellungen bis Oktober. Seit dem Krieg in der Ukraine seien 20 000 Tickets zurückgegeben worden. Dennoch reisen Zuschauer von allen Kontinenten in die kleine bayerische Gemeinde.

Und die Organisation im Vorfeld läuft perfekt: Über die Homepage passionsspiele-oberammergau.de kann man nicht nur seine Karten buchen. Dort werden auch Pakete angeboten, die eine oder zwei Übernachtungen sowie Verpflegung vor Ort (zwischen den beiden Teilen gibt es eine dreistündige Pause) in verschiedenen Preisklassen anbieten. (HLL)

Am Herzen liegt Stückl, dass die Vorwürfe des Anti-Semitismus, die es vor allem in den 50er und 60 Jahren gab, ausgeräumt werden. Es sei kein christlich-jüdischer, sondern ein inner-jüdischer Konflikt gewesen. „Jesus hat zu keinem Zeitpunkt seines Lebens vorgehabt, eine katholische Kirche zu gründen!“

Die Frage nach dem Glauben stellt sich bei den Darstellern schon lange nicht mehr: Es käme ihm darauf an, „dass jemand gut Theaterspielen kann, was er glaubt, ist mir völlig egal“, so Stückl. „Bis 1990 war es so, dass man Mitglied der katholischen oder evangelischen Kirche sein musste.“ Doch selbst für den ersten „evangelischen Jesus“ wurde Stückl noch angegangen.

Seit 2000 darf jeder mitspielen, egal, ob in der Kirche oder nicht oder einer anderen Religion angehörend. In diesem Jahr übernehmen etwa zwei Muslime tragende Rollen – Abdullah Kenan Karaca etwa ist als Nikodemus zu sehen, und gleichzeitig fungiert er zweiter Spielleiter.

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Stückl selbst ist „katholisch sozialisiert“ und noch Kirchenmitglied. „Aber ich habe in der letzten Zeit schon sehr große Schwierigkeiten.“ Mittlerweile sehe er es so: „Da ist die Kirche, hier sind wir, die machen ihre Sache, und wir machen unsere Sache“, gibt er unumwunden zu. „Und wenn es um den wirklich Glaube geht, da geht es mir wie vielen Menschen: Mal glaube ich mehr, mal glaube ich weniger. Wir würden gerne die Frage beantworten, dass es einen Gott gibt, der uns die Auferstehung bringt. Aber am nächsten Tag denkst du, vielleicht doch einfach nur die Kiste zu...“