AboAbonnieren

Düstere InszenierungTheater im Bauturm zeigt „Die Orestie“ im Stream

Lesezeit 3 Minuten

Köln – Bald wird der Hausherr nach getaner Arbeit erschöpft zurückkehren, da soll er ein gemütliches Heim vorfinden und eine aufmerksame Gattin. Aber war da nicht noch was? Ach ja, die üble Vorgeschichte des Atriden-Gechlechts mit Kindesmord, Kannibalismus, Ehebruch und Blutschande zum Beispiel. Klytaimestra hat sich ja auch vorgenommen, ihren Agamemnon gleich nach seiner Rückkehr von der zehnjährigen Dienstreise nach Troja umzubringen. Sie begründet das recht sachlich: Schließlich habe der Gatte die gemeinsame Tochter Iphigenia den Göttern geopfert, um günstige Winde für die Überfahrt zu sichern.

Große Textteile gestrichen

Wie schon die ganz in schwarz gehaltenen Kostüme und die düstere Bühne ankündigen, lauern die Dämonen stets knapp unter der Oberfläche. Auch wenn eine Gesellschaft erkennbar die Nase voll hat von schicksalhaften, heroischen Taten. In Kathrin Mayrs Inszenierung von Aischylos „Orestie“ am Theater im Bauturm, die am Samstag als Live-Stream Premiere hatte, betrifft das Orest noch mehr als seine Mutter Klytaimestra: Zwischen Zweifeln und lautstarken Selbstanfeuerungen hin- und hergerissen, coacht sich der sensible Zimperling nur unzureichend für den Muttermord, der ihm nun abverlangt ist.

Im ständigen Körpereinsatz und der differenzierten Mimik Mario Neumanns sind Orests Befindlichkeitsschwankungen ganz nach außen gekehrt, während Fiona Metscher sehr reduziert agiert. Ihre Gefühle gibt sie lediglich durch Nuancen in der Stimmführung oder des Blicks preis, was nicht weniger beunruhigend wirkt. Obwohl große Teile des Texts gestrichen wurden – darunter die Figur der Elektra und die meisten Passagen des Chors – müssen beide Schauspieler zusätzlich verschiedene andere Rollen übernehmen und überzeugen dabei auch mit vorsichtigen Updates. So erinnert der vulgär-keifende Duktus einer Rachegöttin, die Orest nach vollbrachter Bluttat peinigt, an Shitstorms aus dem Internet, und Apoll wirkt wie ein schmieriger Kleinkrimineller, der seinen gutgläubigen Kumpel Orest zum Mord überredet.

Die Götter kommen im Bauturm gar nicht gut weg. Henning Nierstenhöfer, der als Live-Musiker in den ersten beiden Teilen archaisch-bedrohliche Posaunenklänge beigesteuert hat, muss zuletzt als Athena nach einer Gerichtsverhandlung über Orests Schicksal entscheiden und spielt die Dea ex Machina betont unverbindlich-distanziert. Jawohl, Orest soll leben, schließlich müsse man Rücksicht auf die Wünsche des Volks nehmen, begründet sie ihren Entschluss zu banal-plätschernden Keyboard-Klängen. Und für die verprellten Rachegöttinnen gibt’s zur Entschädigung Ehre und Anerkennung: Gewiefte Politik inklusive großzügiger Anwendung von Schmiermitteln, wo es Aischylos um nicht weniger als die Verteidigung einer bürgerlichen Gerichtsbarkeit gegen das ältere Prinzip der Blutrache ging – um einen Grundpfeiler moderner Staatlichkeit also.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die zuvor chaotisch über die Bühne verteilten Raben lauschen derweil sauber angeordnet Athenas Worten – sind sie Zeichen der Weisheit oder als Vorboten kommenden Unheils? Dann werden Politik- und Rechtswissenschaftler eingeblendet, die zu bedenken geben, dass Rechtsprechung nie frei von den Interessen bestimmter Gruppen ist. Gerhard Baum warnt dennoch davor, Politiker und das demokratische System zu verachten – bis alles in einer einzigen Kakophonie endet.

Ein bisschen dick aufgetragen wirkt der Schluss der ansonsten gelungenen Inszenierung auch, weil die Bedenken hinsichtlich Aischylos„ „göttlicher“ Lösung und der daraus folgende Hinweis auf den unsicheren Grund demokratischer Gemeinwesen nicht ganz neu sind. Aktuell ist das leider trotzdem.

90 Minuten, für den 6., 7., 8., 22. und 23. Mai sind analoge Aufführungen geplant. Ob diese durchführbar sind, wird rechtzeitig online bekannt gegeben. www.theaterimbauturm.de