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„Die Oper ist tot – Es lebe die Oper“400 Jahre Musiktheater in Bundeskunsthalle Bonn

Lesezeit 5 Minuten

Pracht in Blau: Die schwedische Sopranistin Birgit Nilsson trug das Kostüm als Turandot an der Wiener Staatsoper.

Bonn – Die blaue fünf Meter lange, exotisch bestickte Schleppe, die Birgit Nilsson als Prinzessin Turandot  in einer Neuinszenierung von 1961 auf der Bühne der Wiener Staatsoper hinter sich herzog, könnte manch gekröntes Haupt auf dieser Welt vor Neid erblassen lassen.

In der Bonner Bundeskunsthalle ist sie der erste große Blickfang, der die Besucherinnen und Besucher magisch in die Ausstellung „Die Oper ist tot – Es lebe die Oper“ hineinzieht. Man geht auf die riesige Glasvitrine zu, die sie eigens für das Kostüm gebaut haben, schaut der Turandot-Figur über die Schulter und sieht, wie sich auf einer Videoleinwand der Vorhang öffnet und den Blick auf den Zuschauerraum eines leeren Opernhauses freigibt.

Die Maßlosigkeit, die der Gattung Oper seit jeher eigen ist, zieht sich als eines der Leitmotive durch die von Katharina Chrubasik und Alexander Meier-Dörzenbach kuratierte Ausstellung. Da geht es zum Beispiel um die Gründung der New Yorker Metropolitan Opera durch 22 gleichgesinnte millionenschwere Bürger der Stadt wie Rockefeller, Roosevelt und Vanderbilt und um die Etablierung des dortigen Starsystems.

Kostbarkeiten aus Stoff

Es geht um die Maschinerie der Vermarktung an der Mailänder Scala und Oper als höfische Repräsentationskunst in barocken Zeiten. 

In einer Ausstellung lässt sich der kulinarische Aspekt der Oper naturgemäß besonders griffig an den Kleidern der Heldinnen und Helden demonstrieren, wie etwa dem Kleid für die Titelheldin aus Giacomo Puccinis „Tosca“, mit dem Renata Tebaldi in Margarete Wallmanns legendärer Inszenierung an der Wiener Staatsoper von 1958 dem Fiesling Scarpia gegenübertrat. Die Produktion haben sie bis heute nicht vom Spielplan genommen.

Entsprechend häufig fand die von Nicola Benois entworfene textile Kostbarkeit – beziehungsweise eine ihrer sechs Kopien – Verwendung: Die Ausstellung listet 101 Sängerinnen auf, die sie in Wien getragen haben, von Birgit Nilsson und Montserrat Caballé bis hin zu Anja Harteros und Anna Netrebko. 

Einblicke in 400 Jahre Operngeschichte

Als die russische Sopranistin 2020 in dieser Partie auftrat, veredelte sie das Kostüm noch durch ein Diadem aus eigenem Bestand. Das Originalkostüm erlebt in Bonn übrigens seine Premiere als Ausstellungsstück. Ein echter Hingucker ist auch die originale Krone, mit der sich Maria Callas für ihre legendäre EMI-Aufnahme als Turandot ablichten ließ.

Doch erschöpft sich die Ausstellung nicht in einer reinen Materialschau. Sie gibt anhand von Gemälden, Plakaten, Comics, Karikaturen, Programmheften, Bühnenbau-Modellen und einer gut gemachten Audio-Begleitung Einblicke in 400 Jahre Operngeschichte, die Ende des 16. Jahrhunderts in Florenz am Hofe der Medici mit dem Versuch der Wiedergeburt der antiken Tragödie beginnt. Diese Zeit wird in der Ausstellung ebenso beleuchtet wie die Etablierung der ersten kommerziellen Opernhäuser in Venedig, wo allein zwischen 1637 und 1678 zehn Theater eröffnet wurden.

In London versuchte man ebenfalls, die Oper als Geschäft zu führen. Berühmtester Unternehmer war Georg Friedrich Händel.

Angesehene Stimmvirtuosen

Er komponierte nicht nur für das King’s Theatre am Haymarket, sondern kümmerte sich auch um den künstlerischen Betrieb, verpflichtete die Sängerinnen und Sänger, deren Allüren ihn allerdings gelegentlich verzweifeln ließen.

Der größte Opernstar jener Zeit, der Kastrat Farinelli, sang jedoch in London für Händels Konkurrenten Nicola Porpora.  Welches Ansehen Stimmvirtuosen wie Farinelli im 18. Jahrhundert genossen, zeigt ganz wunderbar ein großformatiges Gemälde von Jacopo Amigoni, auf dem der Kastrat in nobler Pose von der römischen Ruhmesgöttin Fama gekrönt wird.

In der kaleidoskopartigen Dramaturgie der Ausstellung rückt auch Paris als musikalische Hauptstadt ins Rampenlicht, wo Giacomo Meyerbeer die Grand Opéra als neues Genre etablierte. Architektonisches Sinnbild für die Blütezeit der Oper in Paris ist die 1875 eröffnete Opéra Garnier, die in der Ausstellung mit großformatigen Aufnahmen der Fotografin Candida Höfer gewürdigt wird. Der neobarocke Prunk des Hauses zeigt sehr anschaulich die gesellschaftliche Bedeutung eines Opernbesuchs in jener Zeit.

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Sehen-und-gesehen-Werden war damals fast so wichtig wie das Geschehen auf der Bühne und im Orchestergraben. In Wien, wo sechs Jahre zuvor die Hofoper und heutige Staatsoper eingeweiht worden war, machte damit Gustav Mahler Schluss. Es ging ihm als Dirigent und Regisseur nicht nur um die künstlerische Qualität, sondern auch um deren Würdigung durch das Publikum. Ein einfacher  Trick: Das Saallicht ließ er schon während der Ouvertüre verdunkeln.

Was der Ausstellung ausgezeichnet gelingt, ist die Vereinigung der Künste und Gewerke in der Oper aufzuzeigen. Da darf natürlich auch Richard Wagners Idee vom Gesamtkunstwerk nicht fehlen, die mit Schwerpunkten auf den „Ring des Nibelungen“ und dem „Parsifal“ beleuchtet wird. Eine solche Schau kann und will natürlich nicht 400 Jahre Operngeschichte erschöpfend behandeln. Doch ein paar Aspekte fehlen dennoch. Ein Blick über Puccini und Richard Strauss hinaus in Richtung Gegenwart wäre ebenso wünschenswert wie eine Berücksichtigung des modernen Regietheaters als Gegenentwurf zur Pracht vergangener Zeiten. 

www.bundeskunsthalle.de

Die Ausstellung ist bis zum 5. Februar 2023 Di-So 10-19 Uhr, Mi 10-21 Uhr zu sehen. Das umfangreiche Rahmenprogramm startet am Montag, 3. Oktober, 12 Uhr mit der Premiere des Films „Un Viaggio in Germania“ über das deutsche Stadttheatersystem. Anschließend findet eine Podiumsdiskussion unter anderem mit Regisseur Tomi Schmid und Bonns Opernintendant Bernhard Helmich statt. Der Eintritt ist frei. Der umfangreiche und lesenswerte Katalog erscheint bei Hatje Cantz und kostet 39 Euro (Buchhandel 50 Euro).