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„Das weiße Haus am Rhein“Wo Hitler, Chaplin und Marlene Dietrich logierten

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Die Hauptdarsteller im TV-Film: Pauline Rénevier als Ulla Dreesen und Jonathan Berlin als ihr Bruder Emil Dreesen.

Bonn – Welch eine Familie, welche Dramen! Mord, Totschlag, Schüsse, Schlägereien, ungewollte Schwangerschaften, eine verpfuschte Abtreibung, und der Sohn und Erbe nimmt auch noch Heroin! Die Familie zählt zu den angesehensten der Gemeinde und betreibt ein renommiertes Hotel. Es ist das Dreesen in Bad Godesberg, ein traditionsreiches Haus, eröffnet 1894.

Die ARD hat sich dieses über Bonn hinaus bekannten Hotels angenommen und unter dem Titel „Das Weiße Haus am Rhein“ einen Zweiteiler am Originalschauplatz, im Siebengebirge und in Polen gedreht, der am Montag, 3. Oktober (Tag der Deutschen Einheit) gezeigt wurde.

Wo Charlie Chaplin seinen Brötchentanz erfand

Der Fluss bildet die prächtige Kulisse, die Kamera fährt über Nonnenwerth und schwenkt immer wieder auf den Bau mit den Jugendstilelementen, der wie ein weißer Dampfer am Rüngsdorfer Rheinufer liegt. Erzählt wird unter der Regie von Thorsten M. Schmidt die – weitgehend fiktive – Geschichte der Familie Dreesen vom Ende des Ersten bis zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Drehbuchautor Dirk Kämper hat sich viele Freiheiten erlaubt, um die Story spannend zu halten.

Zweiteiler in ARD

Der Zweiteiler „Das Weiße Haus am Rhein“ wird am Montag, 3. Oktober, um 20.15 Uhr in der ARD gezeigt, der zweite Teil folgt gleich im Anschluss ab 21.45 Uhr. Unter der Regie vom Thorsten M. Schmidt wirken unter anderem mit: Benjamin Sadler, Katharina Schüttler, Nicole Heesters, Jonathan Berlin und Pauline Rénevier. Produziert wurde der Film von „Zeitsprung Pictures“ Köln.

Immer wieder lässt er im Dreesen zeitgenössische Persönlichkeiten auftauchen: Reichspräsident Friedrich Ebert etwa kommt zu einem Vortrag, der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer erscheint und wird prompt von der Eignerfamilie gewarnt, dass rheinische Separatisten in Köln Brücken sprengen wollen: Natürlich wird die Aktion verhindert. Eines Spätabends fährt Charlie Chaplin vor – er war hier wirklich zu Gast – und zur gleichen Zeit bittet ein gewisser Adolf Hitler um Unterkunft.

Kämper und Schmidt haben sich dazu eine hübsche Szene ausgedacht: Chaplin erfindet in seinem Zimmer den berühmten Brötchen-Tanz für seinen Film „Goldrausch“, während Hitler nebenan vor einem Spiegel eine Rede probt und dramatisch die Fäuste ballt. Netter Einfall, aber historisch falsch! Chaplin hat seine erste Europareise 1921 unternommen, „Goldrausch“ wurde 1924 gedreht, da saß Hitler nach einem gescheiterten Putschversuch noch im Gefängnis in Landsberg am Lech.

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Das Rheinhotel Dreesen in Bonn-Rüngsdorf hat eine bewegte mehr als 120 Jahre lange Geschichte.

Der spätere „Führer“ besuchte das Dreesen das erste Mal am 28. November 1926 und trug sich auf dem Meldezettel als „Schriftsteller, staatenlos“ ein. Er hielt damals eine Ansprache in der Beethovenhalle und hatte sich für den 1. Dezember 1926 im „Düsseldorfer Hof“ in Königswinter mit rheinischen Wirtschaftsführern verabredet. Sein Vertrauter Rudolf Heß hatte ihm das Dreesen empfohlen; er war Internatsschüler auf dem Pädagogium („Päda“) in Bad Godesberg, und wenn ihn seine Eltern, die in Ägypten lebten, besuchten, stiegen sie in dem Gasthaus ab.

Hitler kam dutzende Mal, manche Quellen sprechen von 70 Aufenthalten bis 1940. Er mochte den Ort, Godesberg liege „an der Pforte der Schönheit“, schwärmte er mit Blick aufs Siebengebirge.

Die Godesberger waren stolz auf den Promi-Gast und jubelten ihm zu, wenn er durch die mit Wimpeln geschmückte Rheinstraße zu seinem Quartier fuhr. Am Steuer des Autos saß in den ersten Jahren sein Fahrer und Leibwächter Julius Schreck, der als Gründer der SS gilt und dem nach seinem Tod 1936 eine Straße in Rüngsdorf gewidmet wurde.

Der Hobbyfotograf Theo Stötzel, ein Bekannter von Heß, war oft zugegen, wenn der oberste Nazi im Dreesen einkehrte; auf den ungestellten Amateuraufnahmen Stötzels, die 2003 im Stadtmuseum Bonn ausgestellt wurden, sieht man Hitler etwa auf einem Motorboot auf dem Rhein oder entspannt in einem Korbstuhl auf dem Balkon seiner Suite sitzen. Meistens mietete er Zimmer 106.

Zwei bedeutende historische Ereignisse leitete der Diktator vom Dreesen aus ein: In der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli 1934 organisierte er von hier aus eine Mordaktion gegen die SA-Spitze, bei der unter anderem SA-Chef Ernst Röhm getötet wurde, und vom 22. bis zum 24. September 1938 traf er sich in Godesberg mit dem britischen Premierminister Neville Chamberlain, um die sogenannte Sudetenkrise zu lösen. Auf einem Foto, das Dreesen-Chronist Jürgen Ehlert im Archiv gefunden hat, sind die Politiker im Empiresaal des Hotels beim Studium von Landkarten abgebildet, Chamberlain im dunklen Anzug, Hitler in Uniform mit Hakenkreuzbinde. Die Gespräche scheiterten, knapp ein Jahr später begann der Zweite Weltkrieg.

Beide Treffen werden in dem TV-Zweiteiler ebenso dokumentiert wie die Freundschaft von Maria Dreesen, der Ehefrau des Hoteliers, mit Hitlers Geliebter Eva Braun; sie soll so eng gewesen sein, dass Frau Dreesen eingeladen worden sei, Braun und den „Führer“ beim Staatsbesuch in Rom zu begleiten.

Marlene Dietrich und Danny Kaye im Gästebuch

Von Fritz Georg Dreesen, der seit 1972 das Haus führt, stammt auch die Information, dass Bad Godesberger Kommunisten einen Anschlag auf Hitler verüben wollten. Im Fernsehen wird gezeigt, wie zwei Attentäter eine Bombe, in einem Sektkübel platziert, ins Foyer tragen, doch im letzten Moment wird sie vom Juniorchef in den Garten geworfen, wo sie detoniert. Bis Februar 1943 ging der Betrieb im Hotel weiter, dann wurde es beschlagnahmt, war Internierungslager für südamerikanische Diplomaten, von Februar 1944 bis 8. März 1945 war es unter dem Tarnnamen „Winzerstube“ ein Außenkommando des KZ Buchenwald.

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Die Schwester Charles de Gaulles, Marie-Agnès Cailliau de Gaulle, war eine der Gefangenen. Am 8. März 1945 eroberten die Amerikaner Bad Godesberg. Auf dem Hotelrasen spielten nun GIs Baseball. Im Gefolge der Truppen: die Kriegsreporterin Lee Miller, ein früheres Fotomodell, Freundin von Picasso und Geliebte des Surrealisten Man Ray. Sie beschrieb Bad Godesberg als „sehr Nazi“.

Mit denen war es nach zwölf Jahren vorbei. Im Dreesen übernahmen nacheinander Amerikaner, Engländer und Belgier das Kommando, von Dezember 1946 bis Juli 1949 wurden 450 Vertriebene aus dem Osten untergebracht. Dann diente das Hotel als Sitz der französischen Hohen Kommission. Erst 1952 wurde das Dreesen als Hotel wiedereröffnet - und rasch zum eleganten Treffpunkt von Diplomatie und Gesellschaft. Chronist Ehlert zählt große Namen auf, die dort verkehrten: Marlene Dietrich, Martin Held, Marcel Marceau, Jean Marais, Danny Kaye, die Fußball-Weltmeister von 1954 sowie Willy Brandt, Bruno Kreisky oder König Feisal von Saudi-Arabien. Die Bundespolitik und die Diplomaten sind nach Berlin gegangen, aber das Dreesen steht noch immer.