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Fotograf veröffentlicht Bildband zu BielefeldSkepsis und Argwohn in der Provinz

Lesezeit 3 Minuten
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Mit Pelz und Puschelmütze. 

Bielefeld – Dies ist keine Stadt der gebrochenen Träume. Hier wollte niemand mehr sein als er ist, und wer Bielefeld als Metropole Ostwestfalens bezeichnete, der hat schon sehr hoch ins Fach der Superlativen gegriffen. Fast schon verdächtig. Großspurigkeit kommt in diesen Breitengraden nämlich nicht gut an.

Land des Lächelns

Da steht ein Mann zwischen lauter zertretenen Nieten auf dem Kirmesplatz und zieht wieder nicht das große Los. Da wachen zwei pelzbemützte Frauen in der Einkaufsstraße, voller Skepsis und Argwohn, über ihre Mitmenschen, da zieht ein einsamer Spielmannszug durchs Straßengrau.

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Am Autosalon.

Martin Langer hat sehr genau hingesehen, als er vor rund 40 Jahren die Menschen in Bielefeld beobachtete. Mit seinem Fotoband „Land des Lächelns“ hat er ein wunderbares Porträt der westdeutschen Provinz geschaffen.

Die Grenzen immer gekannt

Den heute in Hamburg lebenden Fotografen hat es sprichwörtlich nach Ostwestfalen verschlagen. Als junger Zwanziger wollte er Foto-Design studieren, das gab es nicht oft, die Zentrale Vergabestelle für Studienplätze (ZVS) würfelte ihn in „die freundliche Stadt am Teutoburger Wald“. Derart anschmeichelnde Marketingbotschaften entstanden in den 80er Jahren, doch von Aufbruch war wenig zu spüren im Zentrum Ostwestfalens. Die Weltgeschichte waberte vorbei. Man plante eine Stadtautobahn durchs Zentrum, Einkaufspassagen, eine Stadthalle und Busstationen mit Wellblechdächern, über die man sich bis heute erregen kann. Es sind Ambitionen einer Stadt, die ihre Grenzen immer schon kannte. „Andere Städte wären vielleicht aufregender gewesen. Bielefeld hat mir aber auch nicht geschadet“, sagt Langer.

Rodeo-Reiter

Der junge Student schnappte sich seine Kamera und zog los. Auch in die Umgebung, nach Herford, Detmold oder Gütersloh. Unterwegs war er als „Flaneur im öffentlichen Raum“, ausgestattet mit reichlich ironischem Blick. Natürlich fotografierte er schwarz-weiß, jede Colorierung wäre des Dramas schon zu viel gewesen. Doch wer hinter den Bildern des dickbäuchigen Rodeo-Reiters, des versonnenen Büro-Angestellten oder des derangierten Imbissbuden-Besuchers Spott und Häme vermutet, liegt falsch. Langer tritt mit seiner Kamera nahe, aber er macht sich nicht lustig. Die Grenzen zwischen Komik und Tragik gibt das Leben vor. Die Frauen am Wühltisch, die Muskelprotze beim Wettbewerb oder der Mann vor den Gebrauchtwagen spiegeln das.

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In den Bildern ist eine Nähe zu Martin Parrs Witz zu erkennen, aber auch zur klassischen Straßenfotografie. Die große Pose sucht Langer nicht. Seine Bilder wollen nicht bloßstellen, eher feinzeichnen. Und vielleicht sind all die Herren im Regenmantel, die Damen mit Knirps einfach nur Suchende wie wir.

Prähistorische Fotografie

Aufnahmen wie diese könnten heute nicht mehr entstehen. Weil das nächste Bild aus dem Handy, das nächste Selfie immer schon mitgedacht ist. Insofern wirken die 40 Jahre alten Aufnahmen fast prähistorisch. Doch die Porträtierten selbst in ihrer angedeuteten Verzweiflung sind nicht so weit entfernt.„Es muss mal eine Zeit gegeben haben, wo die Menschen nicht wussten, wie man sich vor der Kamera verhält“, schreibt der Paderborner Kabarettist Erwin Grosche in seinem hinreißenden Nachwort. Für einen herumstreunenden Fotografen könne es kein besseres Feld geben. Und dann diese typische Kleinstadt. Bielefeld habe nie Rücksicht auf die Ratlosen genommen. „Wer hier weg wollte, wusste nicht wohin.“ Langer hat dieses Verlorensein im Grau der Seitenstraßen präzise eingefangen. Aber, so Grosche, man solle sich nichts vormachen. Bielefeld gibt es überall.

Martin Langer: Das Land des Lächelns, Seltmann-Publishers, 100 Seiten, 39 Euro

Der Autor dieses Artikels stammt aus Bielefeld, er legt Wert darauf, dass es diese Stadt gibt und er fragwürdige Witze über deren Existenz niemals aufgreifen würde.