Beethovens 9.Jüngster Generalmusikdirektor gewinnt sein Publikum im Flug
Köln – Ja, er ist der jüngste Chef eines großen Sinfonieorchesters im deutschsprachigem Raum. Aber das beschäftigt nur am Rande. Mit Virtuosenstückchen oder Starallüren kommt der 26-jährige Österreicher Patrick Hahn – seit der neuen Spielzeit Generalmusikdirektor in Wuppertal – nicht auf die Bühne der Philharmonie. Schnell vergisst der Zuhörer die Generationenfrage und genießt das Musizieren, das so natürlich und unverkopft daher kommt, dass es eine Freude ist – und bleibt.
Das ist auch Beethovens Thema in seinem Paradestück, der 9. Sinfonie mit dem Schluss-Chor über Schillers Ode „An die Freude“. Hahn und sein Orchester gehen mit der Euphorie ökonomisch um, lassen den Motor nicht gleich zu Beginn aufheulen. Vielmehr ist es ein gut austariertes Zusammenspiel, die Dynamik kennt mehr als laut und leise, die Tonfarben sind sehr nobel.
Ohne Taktstock
Womöglich ist das schon die Handschrift des Neuen, der zum 160. Geburtstag des Orchesters die Leitung übernommen hat und guten Kontakt zu den insgesamt 95 Musikern hat – er benutzt dabei keinen Taktstock, die Hände könnten auch von einem Bildhauer sein, während er seine Geschöpfe formt.
Sparsame Bewegungen
Gleich zu Anfang ist der Zuhörer gefangen von einem homogenen Klangapparat, der mit sparsamen Bewegungen, aber souveräner Ruhe und hoher rhythmischer Präzision Spaß an der Musik vermittelt. Zumal im zweiten Satz steht eine hübsche Fitzelarbeit bei den Streichern an, die der Maestro mit einem entwaffnenden Grinsen in Schach hält. Er zügelt und fordert ohne überbordende Gestik. Tänzerisch ist das Ergebnis, im dritten Satz, dem Adagio, frisch, zuversichtlich und hell und im vierten Satz dann einfach nur grandios. Beethovens 9. Sinfonie – ein 70-minütiger Koloss – nimmt bei Hahn und seinen Musikern kontinuierlich an Fahrt auf, entwickelt fortlaufend Spannung, ohne dass es sich erschöpft. Die Musik kulminiert im Schlusssatz mit Chor und den Gesangssolisten im Feuerwerk.
Dabei fügen sich die Stimmen der Kartäuserkantorei Köln, des Chors der Konzertgesellschaft Wuppertal und der Solisten Ina Yoshikawa (Sopran), Natascha Petrinsky (Mezzo), Benjamin Bruns (Tenor) und Kay Stiefermann (Bass) nach 40 Minuten Wartezeit während der ersten drei Sätze nahtlos in das fein gewobene Klangmuster ein.
Zeitloser Hit
Die Ode ist ein zeitloser Hit, bekannt auf allen Kontinenten und Hymne der Europäischen Union. Vor einem halben Jahrhundert bekam der Ohrwurm in Stanley Kubricks Film A Clockwork Orange (Uhrwerk Orange) gar den Resozialisierungsfaktor zugeschrieben – mit zweifelhaftem Ausgang für einen brutalen Gang-Anführer.
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Die Musik wühlt auf. Und wie Hahn die Melodie im vierten Satz aufbaut, hat dramaturgisch weniger etwas von einem jungen Wilden, als etwas von einem feinsinnigen Allrounder. Fagott, Cello oder Piccolo – alle haben in ihrem Part etwas zu erzählen. Stark ist die klangliche Entwicklung. Beiläufig und leise sind die Anfänge, danach baut sich die Freude umso energiereicher auf.
Schillers Ode
Lange hat Beethoven an der Musik zur berühmten Zeile „Freude, schöner Götterfunken“ gearbeitet. Der Komponist aus Bonn bekam die Ode Friedrich Schillers bereits als junger Mann. Charlotte, die Ehefrau des Dichterfürsten, soll ihre Freude über die Vertonung zum Ausdruck gebracht haben. Aber bis zur Uraufführung brauchte es noch drei Jahrzehnte.
Die Sinfonie ist lang, was man ihr aber nicht anmerkt. Dass Hahn und sein Orchester – die Chöre wurden von Georg Leisse und Paul Krämer einstudiert – keine Zugabe spielten, dürfte auch der zweiten Aufführung geschuldet sein, die aufgrund der Corona-Schutzverordnung wenig später noch einmal gegeben wurde – ein Marathon.