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Autoren-Interview15-Jaehriger schreibt bewegendes Buch über seinen dementen Vater

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Oskar Seyfert.

Köln – „Hallo, mein Name ist Oskar, ich bin 15 Jahre alt. Als ich elf Jahre alt war, hat mein Vater Alzheimer bekommen.“ So beginnt das Buch, das der 15-Jährige Oskar Seyfert über seinen Vater geschrieben hat. Im Interview spricht er über die Liebe zwischen Vater und Sohn, seine Ängste und warum er es gut findet, einen kranken Vater zu haben.

Oskar, hat Dein Vater Dich heute noch erkannt?

Ja. Zum Glück erkennt er mich immer. Zumindest noch.

Und verstehst Du ihn immer, wenn Du mit ihm spricht?

Nein, seine Aussprache wird immer undeutlicher, und selbst wenn ich ihn verstehe, weiß ich nicht immer, was er meint.

Alzheimer führt auch zu einer deutlich verkürzten Lebenserwartung. Macht Dir das Angst?

Auch viele Leute, die kein Alzheimer haben, haben im hohen Alter oft keine große Lebenslust mehr. Darum glaube ich, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn man mit 70 statt mit 85 Jahren stirbt. Trotzdem ist es natürlich doof, zu wissen, dass mein Vater ohne die Krankheit wahrscheinlich länger leben würde.

Die Krankheit

In Deutschland leben nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Die meisten von ihnen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Sie führt zum Absterben von Zellen des zentralen Nervensystems und ist nach dem deutschen Psychiater und Neuropathologen Alois Alzheimer benannt, der das Krankheitsbild erstmals 1906 beschrieb. Allein in Deutschland treten jeden Tag etwa 900 Neuerkrankungen auf. Pro Jahr sind das jedes Jahr fast 330.000 weitere Alzheimer-Patient:innen. Auf Grund der gestiegenen Lebenserwartung wird die Zahl der Alzheimer-Patienten in Zukunft stark steigen.

Zwei Drittel der Erkrankten haben bereits das 80. Lebensjahr vollendet. Nur rund 0,1 Prozent der Betroffenen sind zwischen 45 und 64 Jahre alt. In ganz seltenen Fällen können jedoch sogar Kinder betroffen sein. Mit Medikamenten und geistiger Anregung kann das Fortschreiten der Krankheit verzögert werden, bislang ist eine Heilung jedoch nicht möglich. Neben dem Abbau der kognitiven Fähigkeiten führt Alzheimer auch zum Muskelabbau. Nachdem die Diagnose gestellt worden ist, beträgt die verbleibende Lebenserwartung in den meisten Fällen sieben bis zehn Jahre.

Was ist das Schlimmste an Alzheimer?

Das man immer mehr vergisst und deshalb immer weniger kann. Bei meinem Vater lässt das Gedächtnis nach und sein Körper wird schwächer. Beides wird immer schlimmer. Noch kann er sich alleine anziehen und alleine essen, aber es fällt ihm leichter, wenn man ihm dabei hilft. Als die Krankheit vor ungefähr fünf Jahren diagnostiziert wurde, konnte und wusste er noch sehr vieles. Aber mittlerweile hindert sie ihn am Denken. Inzwischen sind ganz viele Sachen und Namen einfach so aus seinem Gedächtnis verschwunden. Wenn man ihm etwas sagt, kann es passieren, dass er es sofort wieder vergisst. Vor allem solange die Betroffenen das noch merken, ist es schlimm. Mein Vater nimmt das noch wahr und leidet darunter. Er würde oft gerne helfen, kann es aber nicht mehr.

Weil die Krankheit meist erst bei älteren Menschen ausbricht, gibt es nur sehr wenige 15-Jährige, die einen an Alzheimer erkrankten Vater haben. Hast Du Dich jemals gefragt, warum ausgerechnet Dein Vater krank geworden ist?

Nein. Es gibt viele Familien, in denen jemand schwer krank wird oder irgendetwas anderes passiert, das das Leben der ganzen Familie verändert. Vielleicht ist es Pech? Vielleicht ist es Schicksal?

Musst Du ständig daran denken, dass Dein Vater krank ist oder kannst Du auch mal komplett abschalten?

Ich kann abschalten. Tagsüber bin ich in der Schule, mache viel Sport und treffe Freunde. Das lenkt mich ab. Außerdem ist mein Vater nicht in akuter Lebensgefahr. Ich schätze mal, er wird noch acht bis zehn Jahre mit der Krankheit leben. In dieser Zeit kann ich doch nicht ständig darüber nachdenken! Mir geht es okay. Keiner in meiner Familie hat ein Problem damit, über die Krankheit zu sprechen. Aber es ist auch nicht so, dass wir alle ständig traurig sind und über nichts anderes reden. Das würde einen ja auch nicht gerade glücklicher machen. Wir haben die Krankheit meines Vaters akzeptiert, und mit der Zeit gelernt, uns anzupassen und damit umzugehen.

Verbringst Du viel Zeit mit Deinem Vater?

Wir nehmen die meisten Mahlzeiten als Familie zusammen ein. Manchmal gucke ich einen Film mit meinem Vater, manchmal gehe ich mit ihm und unserem Hund spazieren, manchmal unterhalten wir uns einfach.

Kann Dein Vater längeren Gesprächen noch folgen?

Es ist mittlerweile schwer, mit ihm über Kants „Kritik an der reinen Vernunft“ oder andere schwierige Dinge zu debattieren. Wir können nur noch über einfache Themen sprechen. „Wie geht's dir? Wie geht's dem Hund? Mochtest Du das Essen?“ Die Komplexität der Gespräche nimmt ab.

Du schreibst, dass Ihr Deinen Vater eines Tages nicht mehr zu Hause pflegen können werdet und er dann in ein Heim muss. Schmerzt diese Vorstellung?

Meine Mutter hat sich vorgenommen, dass wir ihn erst in ein Heim bringen, wenn er es nicht mehr richtig realisiert. Es wird also nicht so sein, dass er dann traurig oder verletzt sein wird. Das wird es für uns leichter machen. Er wird dann in einer Verfassung sein, in der er hier nicht mehr glücklich sein könnte und in der wir als Familie ihm nicht mehr helfen können. Das Heim wird dann eine Hilfe für ihn sein. Darum macht die Vorstellung mich nicht unendlich traurig. Ich hoffe natürlich, dass er noch ein paar Jahre bei uns bleiben kann. Aber wenn die Krankheit sich jetzt total rasant entwickelt und er in einem halben Jahr so verpeilt ist, dass er gar nichts mehr hinkriegt, dann wird er natürlich früher ins Heim müssen.

Dein Buch trägt den Titel „Vom Privileg, einen kranken Vater zu haben“. Nachdem, was Du erzählt hast, klingt es nicht gerade nach einem Privileg einen alzheimerkranken Vater zu haben...

Im Buch schreibe ich, dass ich es natürlich nicht schön finde, dass mein Vater krank ist. Natürlich ist das schlecht und eine Herausforderung, die uns täglich anstrengt. Aber genau diese Herausforderung macht die Krankheit auch zum Privileg, aus der etwas Gutes entstehen kann.

Wie meinst Du das?

Da meine Geschwister und ich täglich getestet werden und uns täglich anstrengen müssen, um mit der Krankheit klarzukommen, werden wir auf eine gewisse Art besser aufs Leben vorbereitet. Wir werden härter gemacht und abgehärtet. Weil wir Erfahrungen gemacht haben, die andere Kinder und Jugendliche nicht gemacht haben, sind wir auf gewisse Art tougher als andere in unserem Alter. Das kann einem später im Leben durchaus helfen. Einer meiner Freunde hat mal gesagt: „Wenn Du in Deiner Kindheit überhaupt keine Probleme hattest, ist genau das Dein Problem.“ Ich denke, dass es gut für den Charakter ist, wenn man in seiner Kindheit größere Herausforderungen bestehen musste, als nur das Seepferdchen-Abzeichen zu machen.

Findest Du nicht, dass Du für diese Abhärtung einen ziemlich hohen Preis zahlst?

Definitiv, definitiv! Natürlich fände ich es besser, wenn die Krankheit einfach nicht mehr da wäre. Darum spreche ich auch eher vom Privileg der Abhärtung als vom Privileg der Krankheit.

Der Autor

Oskar Seyfert ist 16 Jahre alt und lebt mit seinem 58 Jahre alten Vater, seiner 50 Jahre alten Mutter, seinem 13 Jahre alten Bruder und seiner elf Jahre alten Schwester in Hamburg. Wenn er nicht gerade ein Buch schreibt, spielt er gerne Fußball, macht Krafttraining oder beschäftigt sich mit Philosophie.

Das Buch: „Vom Privileg, einen kranken Vater zu haben“ erscheint am 31. Januar im Westend Verlag und kostet 12 Euro.

Du schreibst auch, dass Dein Vater mit dem Fortschreiten der Krankheit für Dich immer mehr an Vorbildfunktion verloren hat. Kann ein kranker Mensch kein Vorbild sein?

Früher hat mein Vater viel gemacht und gewusst, worauf ich sehr stolz war und was ihn für mich zum Vorbild gemacht hat. Er wusste so viel und hat als Arzt Menschenleben gerettet. Es ist jetzt nicht mehr möglich, diese Sammlung an tollen Erinnerungen zu erweitern, weil die Krankheit meinen Vater daran hindert, Dinge zu tun, die ihn für mich zum Vorbild machen können.

Das klingt sehr hart. Kann er in seinem jetzigen Zustand für Dich nicht mehr Vorbild sein?

Hm. Vielleicht werde ich ihn später mal dafür bewundern, wie er mit der Krankheit umgegangen ist. Aber gerade fällt mir nichts ein, wofür ich ihn jetzt bewundere.

Suchst Du Dir jetzt neue Vorbilder?

Ja, ich suche mir Leute, die ich cool finde und zu denen ich aufblicken kann. Das können Prominente wie Sportler sein, aber auch Leute, die ich privat kenne. Aber ich weiß nicht, ob sie für mich je so ein großes Vorbild wie mein Vater sein können.

Wenn die Eltern alt werden, müssen die Kinder sich oft um sie kümmern. Ist es bei Dir und Deinem Vater zu früh zu einem Rollenwechsel im Vater-Sohn-Verhältnis gekommen?

Ja, das ist zu früh passiert. Aber das ist nicht das Schlimmste an der Krankheit. Das Schlimmste ist das Vergessen.

Hat die Krankheit Dir einen Teil Deiner Kindheit und Jugend genommen?

Vielleicht. Wobei ich sagen würde, dass meine Geschwister und ich immer noch normal sind – trotz der Krankheit. Ob man eine gute Kindheit hat, hängt nicht nur davon ab, ob man einen gesunden Vater hat.

Was macht einen guten Sohn aus?

Ein guter Sohn hat die Verpflichtung, zu versuchen das Beste aus seinem Leben zu machen.

Und was macht einen guten Vater aus?

Dass er sein Kind liebhat. Darum macht es mir Angst, dass mein Vater eines Tages vergessen wird, dass er mich liebt.

Wie möchtest Du Deinen Vater in Erinnerung behalten?

Ich weiß, dass es mir nicht möglich sein wird, ihn so in Erinnerung zu behalten, wie ich das gerne hätte. Eigentlich hofft man ja immer, dass nur die guten Erinnerungen übrigbleiben. Aber das hieße ja, die Krankheit zu verdrängen. Aber die Krankheit wird bei den Erinnerungen an seine letzten Jahre im Vordergrund stehen. Trotzdem hoffe ich, dass ich mir auch viele der alten Erinnerungen – als mein Vater noch alles konnte – erhalten kann.

Dein Vater wird vermutlich schon bald keine Erinnerungen mehr an die Zeit mit Dir haben. Tut das weh?

Schon bevor er stirbt, wird mein Vater Alzheimer im Endstadium haben und sich an gar nichts mehr erinnern können. Auch nicht an mich. Ich werde damit leben müssen, dass er mich gekannt hat, mich am Ende aber nicht mehr kennen wird. Ich weiß nicht, ob ich an den Himmel glaube. Aber sollte er dort hinkommen, fände ich es schön, wenn er mich dann von dort oben sieht.

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Glaubst du an Gott?

Ja, aber das hat nichts mit der Krankheit meines Vaters zu tun. Ich konnte mir schon vorher gut vorstellen, dass es Gott gibt.

Hilft Dir Dein Glaube im Umgang mit der Krankheit des Vaters?

Ich bin keiner, der oft zu Gott spricht (faltet die Hände zum Gebet und schaut nach oben), aber es kann gut sein, dass mein Glaube mir trotzdem hilft.

Warum hast Du ein Buch über die Krankheit Deines Vaters geschrieben?

Es hat mir gutgetan, mich beim Schreiben mit der Krankheit zu beschäftigen. Wenn man in einer Krise ist, sollte man sich intensiv Gedanken darüber machen. Das kann einem weiterhelfen.

Hat Dein Vater noch bewusst mitbekommen, dass Du das Buch geschrieben hast?

Ja. Er fand es gut und hat mich dafür gelobt. Aber ich weiß nicht, ob er es inzwischen vergessen hat. Lesen konnte er es leider nicht mehr. Dafür reicht seine Aufmerksamkeit nicht mehr.