Was habe ich im Kopf?Ausstellung in Bonner Kunsthalle widmet sich dem Gehirn
Bonn – In einem Punkt lag Aristoteles gründlich daneben: Das Gehirn sei blutleer und besitze keine Empfindungen, eigne sich daher vorzüglich zur Kühlung des Blutes. Was dem Spruch, einen kühlen Kopf zu bewahren, ein Fundament gibt. Seit der Antike kursieren reichlich Spekulationen aller Art ums Oberstübchen. Unsere Schaltzentrale, das letzte große Rätsel der Medizin?
John Dylan-Heynes, Hirnforscher an der Charité und wissenschaftlicher Berater der Ausstellung „Das Gehirn in Kunst & Wissenschaft“ in der Bundeskunsthalle, spricht von vielen weißen Flecken auf der Landkarte. Mit 300 Exponaten von 90 Leihgebern umkreist die Schau das Thema: anatomische Modelle, medizinische Illustrationen und Diagramme, alte Handschriften und Arbeiten von mehreren Dutzend Künstlern.
Fünf Fragen im Blickfeld
Gleich im Entree blicken wir in Yaron Steinbergs großes Kopfmodell, eine kleine Stadt, in der eine elektrische Eisenbahn Tag und Nacht ihre Runden dreht. Mit fünf Fragen hangelt sich das Ausstellungsteam um Henriette Pleiger und Johanna Adam durch die äußerst komplexe und wie ein Nervensystem weit verästelte Thematik. Info-Bahnen auf dem Boden (ein erweitertes Leitsystem für blinde Menschen) führen den Besucher durch die Materie, in der es Haupt- und Nebenwege gibt.
„Was habe ich im Kopf?“ ist die erste Frage, die anatomische Grundlagen und die (Kultur-) Geschichte der Hirnforschung ventiliert. Der schön aufbereitete Informationsstrang mit Exponaten wie dem Haken aus dem alten Ägypten, mit dem man den Toten vor der Mumifizierung das Gehirn durch die Nase entfernte, wird von Künstlerstatements flankiert und kommentiert. „Wie stelle ich mir die Vorgänge im Gehirn vor?“ eröffnet ein spannendes Kapitel über Funktionen und Datenströme, Aktivität, über Einblicke mittels EEG und MRT sowie die Kartierung der Regionen im Kopf.
Von der philosophischen und psychologischen Seite nähert sich die Schau mit der Frage: „Sind ich und mein Körper dasselbe?“ „Ich denke, also bin ich“, meinte der französische Philosoph René Descartes und stufte das Gehirn als zentrales Organ des Menschen ein, der aus einem funktionierenden Leib und einer losgelöst davon existierenden Seele bestehe. Den Geist verortete er fälschlicherweise in der Zirbeldrüse.In der Ausstellung sehen wir Descartes Schädelkalotte mit einer Inschrift: „Dieser kleine Schädel gehörte einst dem großen Cartesius (…) im gesamten Erdkreis wird sein Genie gepriesen, und sein Geist erfreut sich noch in den Sphären des Himmels.“
Vorstellungen von Sterben und Tod, das Gehirn, das die „heiligen Hallen“ unserer Persönlichkeit beherbergt, Sitz des „Ich“, der Identität, des Bewusstseins ist, das sind einige Aspekte dieses sehr spannenden Kapitels. Zu dem auch Komplexe wie Schizophrenie, Demenz und die wilde Welt der Träume gehören. Vierte Frage des Parcours ist „Wie mache ich mir die Welt?“ Hier geht es um die Sinnesorgane und die Zusatzfrage, inwieweit unsere Wahrnehmung der Welt mit der Welt, „wie sie tatsächlich ist“, übereinstimmt.
Hier hat die Kunst etwa mit Wassily Kandinskys synergetischem Bild „Grüner Duft“ oder Jochem Hendricks „Augenzeichnungen“ einen großen Auftritt und begegnet Zeichnungen und Diagrammen von der Antike bis zum Barock. Manipulation, Zauberei, optische Illusion und Gedächtnistäuschung spielen hier eine Rolle.
Die Schau
Die Ausstellung läuft bis zum 26. Juni in der Bundeskunsthalle. Neue Öffnungszeiten: Di 10–19, Mi 10–21, Do bis So 10-19 Uhr. Das Begleitbuch (erschienen im Hirmer-Verlag) kostet 24 Euro an der Museumskasse. (EB)
Aufschlussreich etwa das Experiment von Gianluca Gimini, der 300 Menschen bat, aus dem Gedächtnis ein Fahrrad zu zeichnen. Der Designer Gimini arbeitete die Skizzen am Computer aus und baute einige der Gefährte nach. Kaum eines funktionierte.
Wie lässt sich das Gehirn aufmöbeln?
Die Schau endet mit einem ambivalenten Thema: „Soll ich mein Gehirn optimieren?“ Die Frage führt tief in die ferne Welt der Science-Fiction, der Cyborgs – halb Mensch, halb Maschine. Sie führt zu Zukunftsfantasien einer Optimierung des Menschen durch künstliche Intelligenz, einer Schnittstelle zwischen Gehirn und Computer. Sie führt schließlich aber auch in die neueste Forschung der Neurochirurgie.
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So ist im Schlusskapitel auch vom Parkinson-Syndrom die Rede. Motorische Störungen sind oft die Folge der Krankheit, etwa der Tremor, das Zittern. In der Berliner Charité wurde der Tremor durch das Projekt „Printed by Parkinson’s“ in dreidimensionale Objekte umgesetzt. Die Objekte und Gespräche mit sechs Patienten erläutern das Projekt, das Verständnis für diese Volkskrankheit wecken soll.Nachdenklicher Abschluss einer grandiosen Schau, die Wissenschaft und Kunst unterhaltsam verschränkt.