„Produktive Bildstörung“Kunsthalle Düsseldorf zeigt 80 Werke von Sigmar Polke
Düsseldorf – Eine Mischung aus Himbeerschnaps, Spülmittel und Kaffee – das war die Rosskur mit der der Maler und Fotograf Sigmar Polke einen alten Negativ-Film behandelte. Zwei Jahre später stellte er davon vergrößerte Abzüge her. Auch die wurden mit einer Spezialmischung behandelt – aus Chemikalien und Tricks. Das Ergebnis erinnert an Malerei. Bewusst hat Polke in seinem Werk „Desastres und andere bare Wunder II“ 1982 und 1984 auf das Fehlerhafte gesetzt, um zu zeigen, welch ästhetisches Potenzial darin steckt.
„Produktive Bildstörung“ lautet der Titel der Jubiläumsausstellung der Anna Polke Stiftung in der Kunsthalle Düsseldorf, welche die Tochter des 2010 verstorbenen Malers anlässlich seines 80. Geburtstags auf den Weg brachte. 80 herausragende Werke sind zu sehen, dazu gibt es 30 aktuelle künstlerische Positionen von Raphael Hefti und Avery Singer, Phoebe Collings-James, Max Schulze, Trevor Paglen, Seth Price, Kerstin Brätsch und Camille Henrot.
Noch vor Flut der digitalen Bilder
Polke ist im Zeitalter der Apps und Tools, der digitalen Bilderflut, aktueller denn je. Doch bereits als er 1960 als Student an die Düsseldorfer Kunstakademie kam, waren das Übertragen und Stören sowie das Transformieren der Bilder und der sich damit einschleichenden Fehler ein Feld, auf dem er sich bewegte. Damals richtete sich sein Interesse noch auf die Massenmedien Fernsehen und Zeitung.
Ein Foto, das an der amerikanisch-mexikanischen Grenze aufgenommen wurde, rasterte er, übertrug es im Jahr 1984 – also lange vor Donald Trumps Mauerprojekt – großformatig auf Dekostoff und Polyestergewebe. Schemenhaft ist die Situation zu erahnen, welche sich vor und hinter dem Grenzzaun abspielt. Es bleibt viel Raum für Spekulation. Dem Künstler ging es nicht um die eine Wahrheit, sondern um das Nebeneinander verschiedener Perspektiven auf die Welt. Seine Rasterbilder wurden zum Markenzeichen, durch die Bildmanipulation entstand eine Art von Fake-News. Der Betrachter ist durch die mangelnde Eindeutigkeit aber auch mit dem Kopfkino, seiner Urteilskraft und Vorurteilen konfrontiert. Die Fehler offenbaren, dass in der Wahrnehmung alles auch anders ausfallen kann.
Die Stiftung
und Fotografin Anna Polke gründete 2018 eine Stiftung zur wissenschaftlichen Erforschung des Lebenswerkes ihres Vaters Sigmar Polke. Auf dem Kunstmarkt wurden bis zu rund 27 Millionen US-Dollar für seine Werke gezahlt. Die Stiftung vergibt jährlich zwei Stipendien für Forschungsvorhaben zum Werk Polkes. Gefördert werden Projekte, die neue Perspektiven auf sein Werk eröffnen. (EB)
Polke gehörte einer Generation an, die sich des Dilemmas bewusst wurde, dass alles bereits schon gemalt wurde. Also ging er den nächsten Schritt in die Verfremdung . Bekannte Motive manipulierte er, zog historische Bildansichten über den Kopierer. Im „Teufel von Berlin“ zeigt er 16 Bildansichten, die durch die Verzerrung neue Dynamik erhalten. Im ersten Raum korrespondieren diese Bildern mit den Positionen Raphael Heftis. Schwarz-Weiß kontra Farbe.
Sigmar Polke: Malerei vorher am Computer geplant
Während die „Desastres“ als meterlanges Leporello in der Vitrine liegen, hängt Heftis Serie „Lycopodium“ in atemberaubender Farbigkeit an der Wand. Schlangenmoos, ein Bärlappgewächs, hinterließ wundersame Spuren auf dem lichtempfindlichen Bildträger. Ein Mikrokosmos, der aber ebenso als Blick ins Weltall herhalten könnte.
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Mit den Möglichkeiten der Malerei im digitalen Zeitalter befasst sich Avery Singer. Die mit Sprühfarbe aufgetragenen Bilder plant sie zunächst am Computer und führt sie dann mit Schablonen aus. Alltagsszenen, die sie ebenso wie Vorbilder aus der Kunstgeschichte maschinell und mit der Hand auf die Leinwand aufträgt. Das Ergebnis erinnert an fehlerlos erscheinende Oberflächen digitaler Flachbildschirme. Auch sie treibt die Malerei damit an ihre Grenzen.
Verlängert bis 6. März, Di bis So 11 bis 18 Uhr. Grabbeplatz 4.