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Antisemitismus-Vorwurfdocumenta 15-Generaldirektorin im Gespräch über Kontroversen

Lesezeit 4 Minuten

Glättet die Wogen vor der documenta 15: Generaldirektorin Sabine Schormann.

  1. Die documenta 15 in Kassel distanziert sich von Antisemitismus.
  2. Sabine Schormann will Kontroversen im Vorfeld der Weltkunstschau beruhigen – und macht ein Angebot.
  3. Stefan Lüddemann sprach mit der Generaldirektorin.

In knapp einem Monat eröffnet die documenta 15. Mit welchem Gefühl schauen Sie auf die Vernissage?

Ich bin gespannt, erfreut und hoffnungsvoll. Ich bin optimistisch, dass wir einen von Corona freien Sommer erleben werden und es Freude machen wird, sich in Kassel zu begegnen.

Von der Idee der Begegnung lebt ja auch das Konzept der documenta-Leiter, der Gruppe Ruangrupa, nicht?

Genau. Deshalb wäre es schade, wenn die documenta von der Pandemie beeinträchtigt wäre. Das betraf ja schon die Zeit der Vorbereitung, die digital stattgefunden hat. Ruangrupa hat es trotzdem geschafft, ein Miteinander zu ermöglichen und alle Künstler einzubeziehen. In Videokonferenzen wurden Konzepte vorgestellt und Wissen geteilt. Daraus hat sich eine ganz besondere Gemeinschaft entwickelt.

Mit dem Begriff „lumbung“, der die gemeinsam genutzte Reisscheune bezeichnet, hat die documenta 15 bereits ihren zentralen Begriff. Welche weiteren sind wichtig ?

Das Handbuch wird ein Glossar enthalten, das aufschlüsselt. Es gibt dabei Begriffe wie Ekosistem, die sich von allein erklären. Besonderen Zuspruch wird sicher das nongkrong erfahren. Dabei geht es darum, sich zu treffen oder einfach gemeinsam abzuhängen. Das Wort majelis meint Versammlungen. Besonders wichtig: sobat-sobat. Das sind die Begleiter, die Besucher über die documenta begleiten.

In der „Kunstzeitung“ war zu lesen, die documenta 15 läute den Abschied von der Kunst ein. Löst sich Kunst in sozialer Arbeit auf?

Das empfinde ich als ein Vorurteil. Wir sollten schauen, wie die documenta 15 tatsächlich wird. Es gehört zu jeder neuen Künstlerischen Leitung, dass sie den Blick auf die Kunst verändert hat. Oft genug wurde erst nachträglich erkannt, wie wegweisend diese Konzepte wirklich waren. Das Besondere an der documenta ist es ja, im Vergleich zu anderen Kunstformaten, dass hier solche Experimente gewagt werden. Aber keine Sorge. Es wird viel Kunst auch im ganz klassischen Sinn zu sehen sein, also auch Gemälde, Skulpturen, Filme, Fotos oder Performances. Bezugspunkt für alle ist immer wieder das Gemeinsame.

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Die documenta und der Vorwurf des Antisemitismus – diese Debatte um das Leitungsteam von Ruangrupa und seine Künstlerliste belastet. Wie gehen Sie und das documenta-Team mit diesem Vorwurf um? Eine eigens angesetzte Gesprächsreihe ist ja abgesagt worden.

Wir haben dieses Format nicht abgesagt, nur verschoben. Wir sind im Gespräch mit vielen Partnern, angefangen bei der jüdischen Gemeinde in Kassel und vielen Experten, die an dieser Reihe beteiligt gewesen wären und die weiter beteiligt sein wollen. Wir hatten nur den Eindruck, dass viele Erläuterungen nicht dazu beigetragen haben, die Diskussion zu beruhigen. Deshalb finden wir, dass man die documenta erst einmal eröffnen sollte. Alle Künstler, die künstlerische Leitung Ruangrupa, die Träger und die Geschäftsführung distanzieren sich eindeutig von Antisemitismus. Es ging auch nie darum, aus der documenta eine Veranstaltung im Sinn des israelkritischen Bündnisses BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) zu machen.

Kritik des Antisemitismusbeauftragten

Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, kritisierte in der „Welt am Sonntag“ das Fehlen israelischer Künstler auf der documenta 15 (18. Juni bis 25. September in Kassel). Die Annahme dränge sich auf, dass sie boykottiert werden sollen. „Die Kuratoren sind unabhängig, aber bei solchen Vorwürfen und einer Finanzierung durch Steuergelder ist eine hohe Sensibilität angebracht“, sagt Felix Klein. (EB)

www.documenta-fifteen.de

Das wäre ja auch heikel. Der Bundestag hat BDS in einem Beschluss als antisemitisch eingestuft.

Ja, das wäre heikel. Allerdings hat Ruangrupa auch ein ganz anderes Konzept und entsprechend zur Teilnahme an der documenta Fifteen eingeladen. Es ging nicht um Nationalitäten, religiöse oder andere Zugehörigkeiten. Leitend ist der Prozess als Konzeption. Also inwieweit verfolgen die Kollektive eine Praxis, die für „lumbung“ bereichernd ist? Was können wir voneinander lernen? Es geht um Themen des 21. Jahrhunderts wie Klimawandel, Nachhaltigkeit und Gemeinschaft.

Aber Rassismus und Antisemitismus stehen doch auch auf der Themenagenda des 21. Jahrhunderts, nicht?

Genau. Denken wir dabei auch an das Erbe des Kolonialismus oder den Umgang mit indigenen Völkern. Die meisten der Kollektive und Künstlergruppen haben sich um das Jahr 2000 zusammengefunden. Das ist ein Indiz für bestimmte Fragestellungen, die behandelt werden sollen. Es wird bei der documenta der Versuch unternommen, Fragen wie denen nach Klimawandel, Fluchterfahrungen oder Krieg auf eine gemeinsame und neue Weise zu begegnen.