AboAbonnieren

Ost-West-AchseZeichen stehen gegen den Bahntunnel in Köln

Lesezeit 6 Minuten
Bleiben die Langbahnen in der Zukunft oben, wie hier bei einer Testfahrt?

Bleiben die Langbahnen in der Zukunft oben, wie hier bei einer Testfahrt?

Seit Jahren gibt es keine Entscheidung für die Strecke zwischen Heumarkt und Neumarkt. Nun könnte eine Entscheidung kommen - getrieben von der AfD.

Zwei Krisengespräche im Büro der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker innerhalb von nur wenigen Tagen: Die verkehrspolitischen Sprecher der großen Ratsfraktionen geben sich gerade die Klinke in die Hand im Historischen Rathaus. Es wird gesprochen, debattiert, gerungen und gestritten. Es geht um die Ost-West-Achse. Im Kern also um die Frage, ob es zwischen Deutz und Melaten einen neuen Stadtbahntunnel geben soll oder eine oberirdische Ertüchtigung der Trasse.

Warum braucht es Krisengespräche?

Weil über der Abstimmung am kommenden Donnerstag im Stadtrat wie ein Damoklesschwert die AfD schwebt. Sowohl den Tunnelbefürworten wie den Gegnern kann es geschehen, dass sich die Partei am rechten Rand des Ratssaales an sie dranhängt. Und weil die bürgerlichen Parteien diese „Gefahr“ nicht eingehen wollen – erst recht nicht nach der Merz-Debatte –, zeichnet sich nun ab, dass die SPD aus der bisherigen Tunnel-Phalanx mit der CDU und der FDP ausbrechen wird. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Sozialdemokraten mit den Grünen und Volt sowie weiteren Tunnelgegnern einen Änderungsantrag einbringen werden, der den Arbeitstitel „Kompromisshilfe“ trägt und der Rundschau vorliegt. Der hätte dann eine stabile Mehrheit abseits der AfD. Und der Stadtbahntunnel wäre damit wohl zu den Akten gelegt.

Was sieht der neue Antrag vor?

In der Kurzfassung: Die Stadtverwaltung soll nun einen Förderantrag für die „oberirdische Stadtbahnführung in der Innenstadt“ stellen. Weiter heißt es in der „Kompromisshilfe“, die Grüne und SPD gemeinsam erarbeitet haben: „Die Planung soll die Option für eine spätere Umsetzung eines Tunnels offen halten.“ Im Kern bedeutet das nichts anderes, als das die Ost-West-Achse zwischen Heumarkt und Neumarkt oberirdisch ausgebaut wird. Dort sollen dann die vorgesehenen 90 Meter langen Stadtbahnen verkehren, statt der bisher 60 Meter langen. Zwar nennt der Antrag noch keine Details zu der Gestaltung des motorisierten Individualverkehrs, sowie der Fuß- und Radverkehr. Nur so viel: diese sollen überprüft und angepasst werden. Doch die Tunnelgegner haben stets betont, dass sie Autos aus diesem Abschnitt raus haben wollen. Besonders hervorgehoben wird in dem Antrag, dass der oberirdische Ausbau kein Provisorium im Vorlauf zu einem Tunnelbau sein soll. „Die Begriffe provisorisch, Provisorium und Bauzwischenzustände sollten im Beschlusstext nicht verwendet werden“, heißt es in dem Arbeitspapier von Grünen und SPD. Ein eventueller Stadtbahntunnel müsste dann Jahre später neu beantragt werden. Ob es zu einem solchen Antrag dann wirklich noch käme und ob der dann nach einem vollständigem oberirdischen Ausbau noch zuschussfähig wäre, das steht in den Sternen.

Was unterscheidet den neuen Antrag von bisherigen?

Am nächsten dran an einer Mehrheit im Stadtrat war bisher der Antrag von CDU, SPD und FDP. Der sah einen Tunnel von Deutz unter dem Rhein her bis zum Zentralfriedhof Melaten mit einem Abzweig an der Dürener Straße vor. Diese maximal Tunnellösung trug markant die Handschrift der Sozialdemokraten. Auf sie geht vor allem der Abschnitt unter dem Rhein entlang zurück.

Warum wäre die SPD bereit, umzuschwenken?

Bei dieser Frage kommt das „Problem“ AfD auf. CDU, SPD und Grüne kommen zusammen mit Oberbürgermeisterin Henriette Reker – die den Tunnel grundsätzlich befürwortet – auf 45 Stimmen im Stadtrat, was exakt die Hälfte ist. Würden sich auf der „anderen Seite“ des Stadtparlamentes Ratsmitglieder enthalten, oder bei der Abstimmung den Saal verlassen, oder sind wegen Krankheit nicht anwesend , hätte die „Tunnelfraktionen“ damit eine einfache Mehrheit. Sind jedoch alle Gegner anwesend und keiner enthält sich, käme die AfD ins Spiel. Sie könnte sich auf die Seite der Tunnelbefürworter schlagen und ihnen eine Mehrheit beschaffen. Ein Szenario, dass die Sozialdemokraten unbedingt verhindern wollen. Notfalls durch einen Antrag mit den Grünen, der weit weniger ihren eigentlichen Vorstellungen für die Ost-West-Achse entspricht.

Gibt es auch für die Grünen ein AfD-Szenario?

Nach bisherigem Stand ja. Die Tunnelgegner Grüne, Volt, Linke, Klimafreunde und Gut sowie der Einzelmandatsträger Thor Zimmermann kommen auf 39 Stimmen. Werden ihnen noch die Ratsmitglieder der Partei zugerechnet, kommen sie auf 42 Stimmen. Bleiben also CDU, SPD und FDP als Tunnelbefürworter auf Linie, haben die Gegner keine Chance – es sei denn, die 4 Stadtratsmitglieder der AfD schlagen sich auf ihre Seite. Dann liegen sie mit 46 Stimmen mit einer Stimme im Bereich der absoluten Mehrheit. Das ist nicht weniger als ein Horror-Szenario für die Grünen. Einzelne grüne Ratsmitglieder sollen schon bekundet haben, lieber bei einer Abstimmung den Ratssaal zu verlassen, als der AfD ein Trittbrett zu offerieren – selbst auf die Gefahr hin, so den Tunnelfraktionen eine einfache Mehrheit zu ermöglichen.

Wie Verhält sich die AfD in der Tunnel-Frage?

Die Partei am rechten Rand des Stadtrates „spielt“ mir ihrer Rolle als Buhmann in der Tunnel-Debatte. Als die Grünen in einer Sitzung des Verkehrsausschusses CDU, SPD und FDP vorhielten, sie gingen sehenden Auges in eine Mehrheit mit der AfD, kam aus den Reihen der AfD-Ausschussmitglieder der Zuruf an die Grünen: „Wer sagt denn, dass wir nicht mit euch stimmen?“ Auf Anfrage der Rundschau sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD, Christer Cremer: „Wir lassen unsere Position in der Tunnelfrage noch offen.“ Zieht noch einer die Notbremse? Auch dieses Szenario wird gerade am Rande der Krisengespräche bei der Oberbürgermeisterin Henriette Reker durchgespielt. Das die Fraktionen ihre Anträge zurückstellen, oder dass die Abstimmung – wie schon so oft – weiterhin verschoben wird, ist grundsätzlich immer möglich. Eine Möglichkeit wäre auch, dass Henriette Reker ankündigt, ihre Stimme zurückzuziehen, um ihre Abneigung gegen eine AfD-Kooperation zu verdeutlichen und damit die Tunnelbefürworter unter Druck zu setzen.

Ist der Tunnel damit gestorben?

Die Wahrscheinlichkeit ist größer als sie es jemals war seit 2018. Damals beauftragten CDU und Grüne die Stadtverwaltung damit, sowohl eine Variante für den oberirdischen Ausbau wie für einen neuen Stadtbahntunnel auf der Ost-West-Achse vorzulegen – den sogenannten Variantenentscheid. Der Grund für diesen „Zwitter-Auftrag“ war, dass sich das Ratsbündnis in dieser Frage zutiefst uneins war. So wollten sie Zeit gewinnen. Immer wieder schoben sie die Entscheidung in den vergangenen rund sieben Jahren vor sich her – und schufen so das Problem, dass nun wieder einholt. Wie aus der SPD zu hören ist, ist unter den führenden Sozialdemokraten zurzeit die Tendenz groß, mit den Grünen den gemeinsamen Antrag abzustimmen, um das AFD-Problem zu lösen. Und es gibt noch ein Punkt, warum die SPD diesen Schritt sofort unternehmen könnte. Kölns Mobilitätsdezernent Ascan Egerer hat eine Stellungnahme vorgelegt, wonach die Tunnelvariante von CDU, SPD und FDP letztlich zu scheitern verurteilt wäre, weil sie mit ihrem maximalem Ansatz mit einer Röhre unter dem Rhein die Planung angeblich um Jahre hinausschiebe. Das würde die Umsetzung nicht zuletzt wegen unsicherer Förderung infrage stellen. CDU und SPD werfen Eger vor – der auf Vorschlagsrecht der Grünen ins Amt kam – mit seiner Stellungnahme Politik zu machen. Sie haben in den vergangenen Tagen seine Stellungnahme auf Fehler analysiert. Die „Mängelliste“ wollen sie nun der Oberbürgermeisterin vorlegen, damit sie Egerers Stellungnahme zurückzieht. Geschieht das nicht, will die SPD wohl auf jeden Fall mit den Grünen für den Kompromissantrag stimmen – um sich im Falle eines Tunnel-Desasters nicht vorwerfen zu lassen, man habe gegen die Warnungen der Verwaltung gehandelt.