Nirgendwo ist das Konfliktpotenzial so groß wie im öffentlichen Raum einer Millionenstadt: Warum der Lärm allgegenwärtig ist und das Züricher Modell nicht das Drogenproblem von Köln lösen wird.
Stadtdirektorin und Sozialdezernent„Nachtruhe ab 22 Uhr ist in Köln nicht lebensnah“

Vor dem Verweilverbot am Brüsseler Platz waren dort regelmäßig Vermittler der Stadt mit dem Ordnungsamt unterwegs.
Copyright: Meike Böschemeyer
Der öffentliche Raum, sein Zustand und seine Nutzung stehen immer wieder in der Diskussion. Ein Gespräch mit Stadtdirektorin Andrea Blome und Harald Rau, Beigeordneter für Soziales, Gesundheit und Wohnen, über die Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze.
Im öffentlichen Raum kumulieren aktuell viele Problemstellungen. Von der Drogenproblematik über Wohnungslosigkeit bis zu Verweilverboten auf dem Brüsseler Platz und Diskussion über Außengastronomie auf Parkplätzen. Welches dieser Themen ist aktuell die größte Herausforderung?
Andrea Blome: Die größte Herausforderung für uns als Verwaltung ist der Interessenausgleich. Beispielhaft ist hier der begrenzte Platz zu nennen, den wir in einer eng bebauten Stadt wie Köln nun einmal haben. Auf den Gehwegen wird es – aufgrund der Bedarfe aus der Mobilitätswende und des urbanen Lebens – einfach eng. Wir haben auch eine große Diskussion über das Thema Außengastronomie gehabt: Es ist ganz wichtig für das kölnische Leben, draußen zu sitzen. Aber da gibt es ein Konfliktpotenzial mit den Menschen, die vor Ort wohnen. Und Stühle vor einem Café oder auch eine Bank vor einem Geschäft dürfen auch nicht dazu führen, dass die zu Fuß Gehenden Zick-Zack-Kurse laufen müssen oder der Kinderwagen oder Rollstuhl gar nicht mehr durchpasst. Das Thema Barrierefreiheit ist ganz wichtig.
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Das ist der Bereich Ordnung. Wie sieht's im Bereich Soziales aus?
Harald Rau: Für mich ist es die Frage: Wer hat welche Rolle und wer hat welche Verantwortung, wenn es um unsere öffentlichen Plätze geht. Wenn sich auf einem Dorfplatz irgendwo jemand danebenbenimmt, dann intervenieren andere und passen auf diesen Platz auf. In der Großstadt ist das anders. Die Forderungen werden immer mehr, dass die AWB mehr reinigen, das Ordnungsamt mehr entfernen und die Polizei mehr vertreiben soll. Ich höre häufig, dass die Stadt Dinge regeln muss, aber ich denke, es braucht auch ein stärkeres ziviles Engagement.
Sie meinen, dass die Gesellschaft auch selbst für ihren Zusammenhalt sorgen soll?
Rau: Genau. Ich habe diese umstrittene Metapher des Wohnzimmers für den öffentlichen Raum gewählt: Ein Platz wird von denjenigen geprägt, die ihn nutzen. Und es wäre wichtig, dass da ein Prozess des Aushandelns entsteht. Ich stelle mir vor, dass alle Beteiligten als verantwortliche Gemeinschaft, eine Art Rat für den Platz, die Regeln für die Plätze gestalten. Dafür benötigen wir jedoch die Menschen, die die Initiative ergreifen. Und die verschiedenen Gruppen der Nutzenden, also beispielsweise im Fall des Neumarkts auch drogenabhängige und wohnungslose Menschen. Wenn uns das nicht gelingt, werden wir nie wirklich befriedete Plätze haben.
Das bringt uns gleich zum Beispiel Brüsseler Platz. Von friedlicher Lösung kann bei einem angeordneten Verweilverbot nicht wirklich die Rede sein, oder?
Blome: Das Problem ist, dass wir dort eben keinen Dorfplatz haben, wo sich das Gemeinschaftsleben auch durch gegenseitige soziale Kontrolle selbst regelt. Das liegt daran, dass der Brüsseler Platz eben nicht nur von Menschen bevölkert wird, die dort auch leben. Es kommen zahlreiche Leute dorthin, die mit dem Umfeld nichts zu tun haben. Und die haben auch nicht auf dem Schirm, dass Tante Lisbeth ja auch noch schlafen muss, als bildliches Beispiel. Die Verwaltung hat 15 Jahre lang versucht, die Situation mit allen Mitteln zu entspannen. Das ist nicht gelungen. Jetzt haben wir am Wochenende ich nenne es immer Freitag, Samstag plus, also vor Feiertagen – ein Verweilverbot und die Menschen sind total einsichtig. Um 22.20 Uhr ist der Platz leer. Es gibt also diese Verantwortungsgemeinschaft noch.
Öffnet das Urteil denn nicht die Tür für mehr Klagen, auch an anderer Stelle?
Blome: Ich habe die Hoffnung, dass sich an anderer Stelle in der Stadt die Einsicht durchsetzt. Die Frage ist immer wieder: Was ist jetzt wichtiger: der Gesundheitsschutz Einzelner oder die Bedeutung des öffentlichen Raums als freier Aufenthaltsort?
Was antwortet der Gesundheitsdezernent auf diese Frage?
Rau: Lärm, der von Menschen ausgeht, ist gefährlich, aber auch Verkehrslärm und Fluglärm sind nicht minder gefährlich. Aber ich glaube, dass ein Zentrum oder mehrere Zentren einer Millionenstadt ein anderer sozialer Raum ist als ein Platz weit draußen auf dem Land. Aber für beide gilt die gleiche Grenze: Nachtruhe ab 22 Uhr. Das halte ich nicht für lebensnah. Wer am Heumarkt, am Neumarkt oder am Alter Markt wohnt, lässt sich auf eine andere soziale Dynamik ein als jemand, die oder der in einem 300-Seelen-Dorf wohnt. Deswegen finde ich es richtig, wenn sich auch unsere Gesetzgebung infolge von Aushandlungsprozessen weiterentwickelt.
Sie schlagen also eine spätere Nachtruhe für Zentren vor?
Rau: Wenn ich ein neues Gesetz machen dürfte, dann dürfte es am Brüsseler Platz auch bis 23 Uhr lauter sein. Wenn das Einzelnen dann nicht passt, sollten sie sich fragen, ob das Stadtzentrum ein Ort ist, der ihren Bedürfnissen gerecht wird, oder ob sie besser etwas weiter weg im Umland leben möchten. Das Beispiel Brüsseler Platz versus kleines Dorf zeigt doch, dass es nicht sehr vernünftig ist, dass für beide dieselben Gesetze gelten. Und wenn ich mich an einem Ort seit Jahren gestört fühle, dann sollte ich tatsächlich überlegen, ob der Ort zu meinem Lebensmodell passt.
Wie laut ist es denn am Brüsseler Platz, wenn nachts niemand da ist?
Blome: Wir stellen anhand der Lärmmessungen fest, dass das Grundrauschen in der Innenstadt einer Großstadt lauter ist als die 45 Dezibel, die wir ab 22 Uhr einzuhalten haben. Das ist auch das, was Harald Rau mit seinen Aussagen unterstützt. Wir haben im Winter eine Nullmessung gemacht, da waren fünf Leute auf dem Brüsseler Platz, und es war lauter als 45 Dezibel. In Rodenkirchen oder in Worringen ist es nachts vermutlich deutlich stiller. Ich begrüße, dass der neue Koalitionsvertrag vorsieht, die rechtlichen Regelungen zum Thema Lärm noch einmal neu anzufassen.
Der Brüsseler Platz hat im Gegensatz zum Neumarkt aber ja kein Drogenproblem.
Blome: Hat er doch, nämlich ein Alkoholproblem. Die Gastronomien müssen um 22 Uhr den Außenbereich schließen, aber die Öffnungszeiten der Kioske sind freigegeben.
Rau: Also Alkoholverkaufsverbote oder auch -konsumverbote sehen wir schon als alternative Maßnahmen an. Deutschland hat im internationalen Vergleich einen herausragend hohen Alkoholkonsum. Gerade im Vergleich der Drogen-Substanzen finde ich den Alkohol hinsichtlich einer individuellen Gesundheitsgefahr und auch der Gefahr für die Gesellschaft total unterbewertet.
Aber dafür ist die Stadt doch von einer Änderung der Landesgesetze abhängig, oder?
Blome: Ein Alkoholkonsumverbot können wir mit einer ordnungsbehördlichen Verordnung umsetzen. So machen wir es auch auf Spielplätzen. Wir müssten das dann koppeln mit einem Alkohol-Mitführverbot, sonst sagen die Leute, die eine Flasche dabei haben, einfach, sie würden nicht trinken. Ein Verkaufsverbot ist jedoch etwas anderes, das ist ein Eingriff in das Gewerberecht. Die ordnungsrechtliche Möglichkeit, einen Alkoholverkauf zu untersagen, habe ich beim Land schon mehrfach gefordert.
Lassen Sie uns noch einmal weg vom Alkohol zum Drogenproblem in der Stadt kommen. In jüngster Zeit wird immer wieder das Züricher Modell als Erfolgsmodell genannt. Mit Drogenkonsumräumen in den Zentren, aber auch außerhalb. Könnte das eine Lösung für Köln sein?
Rau: In Zürich werden mehr als sieben Millionen Franken (rund 7,5 Millionen Euro, Anmerkung der Redaktion) jährlich in diese Konsum-, Ruhe- und Aufenthaltsräume investiert. Frankfurt möchte jetzt ein großes, neues Gebäude erwerben und auch teuer bewirtschaften. Viele sagen, wie brauchen solche Angebote, um Betroffenen zu helfen und die öffentlichen Plätze zu entlasten. Aber wir wissen nicht, wie wir das bezahlen können. Die Stadtgesellschaft und auch der Rat können nicht nur Forderungen stellen, sondern müssen eben auch sagen, was uns diese Maßnahmen wert sind, und bereit sein, dafür an anderer Stelle zu sparen.
Wäre das Züricher Modell denn mit mehr Geld umsetzbar in Köln?
Rau: Es gibt einen entscheidenden Unterschied. In Zürich ist es möglich, dass im Konsumraum auch selbst Substanzen gekauft oder geteilt werden können. Wir haben derzeit nicht die gesetzlichen Erlaubnisse, dass das in unseren Drogenkonsumräumen passieren darf. Das Züricher Modell ist auch experimentell: Da wird ausprobiert, wo wir und die Strafverfolgungsbehörden auch wegschauen können. Auch unsere Drogenkonsumräume machen die Situation bereits besser, aber sie funktionieren eben nur dort, wo auch der Gelderwerb und Kauf der Drogen möglich sind. Für den Gelderwerb ist für viele ein hohes Aufkommen von Passanten wichtig.
Muss die Stadt da nicht auch mal mit etwas mehr Haltung nach vorne gehen? Am Ebertplatz werden nach jahrelanger Debatte Zugänge geschlossen. Das hätte man doch auch Jahre früher haben können?
Blome: Dass jetzt ein Bezirksbürgermeister fordert, am besten alle Zugänge zu schließen, hat sich vor Jahren noch komplett anders angehört. Wir alle wissen, dass es diese Vorschläge schon früher gegeben hat. Aus heutiger Sicht muss man sagen, dass alle eine falsche Annahme getroffen haben. Wir wollten der Stadtgesellschaft den Platz zurückgeben und sind davon ausgegangen, dass sie sich den Platz zurückerobert und dadurch die Kriminalität verdrängt wird. Das ist leider ein Fehlschluss gewesen. Deswegen gibt es jetzt nur noch eins, nämlich die Zugänge zu schließen. Man muss aber wissen, dass wir durch diese Maßnahmen keinen einzigen Drogenabhängigen von der Droge wegbringen. Es findet also Verdrängung statt.

Bei gemeinsamen Kontrollen von Polizei, KVB und Ordnungsamt finden die Beamten immer wieder Drogen und Bestecke.
Copyright: Meike Böschemeyer
Zum Abschluss die Frage: Wie kriegt die Stadt die ganzen Probleme in Griff?
Blome: Wir dürfen nicht nachlassen, den Interessensausgleich vor Ort zu erzielen. Auch am Heumarkt haben wir hart verhandelt und eine Vereinbarung getroffen, dass es keine Weiterführung von Klageverfahren gibt. Unsere Rolle als Stadtverwaltung ist auch eine Art Moderation, in der wir die Diskussion nicht zum Äußersten kommen lassen dürfen. Wenn wir überall Urteile kassieren, ist der Interessensausgleich zu Ende.
Rau: Wir sind mittendrin im Prozess, aber vieles braucht Zeit. Als ich vor neun Jahren hier angetreten bin, war der Drogenkonsumraum total umstritten. Heute zeigt er seine Wirkung, denn jeder Konsum, der dort stattfindet, findet nicht im öffentlichen Raum statt. Wir kämpfen um Beschlüsse, wir kämpfen um Gelder. So haben wir auch die Winterhilfe etabliert: Dort gibt es rund 90 Plätze für Menschen, die dann eben nicht als Obdachlose im öffentlichen Raum unterwegs sind. Wir erhöhen die Anzahl der Streetworker fortwährend. Die Frage ist ja, wie wäre die Situation, wenn wir all diese Maßnahmen nicht umgesetzt hätten?