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Long-CovidWie Patienten sich selbst helfen und wo sie in Köln Unterstützung finden

Lesezeit 5 Minuten
Ein Paar steht auf seinem Balkon.

Die gemeinsame Wohnung in Zollstock verlässt Chris Rosen, hier mit Freundin Julia Knobloch, nicht mehr so oft wie früher.

Eine Million Menschen leidet in Deutschland an Long-Covid. Immer noch fühlen sich Erkrankte oft allein gelassen von Ärzten, Politik und Gesellschaft. Wir haben Betroffene in Köln getroffen.

Schon seit zweieinhalb Jahren ist nichts mehr, wie es war. Chris Rosen und Julia Knobloch erinnern sich noch gut an den Oktober 2020, als sich der heute 40-Jährige zum ersten Mal mit dem Corona-Virus infizierte. An den schweren Verlauf mit Magen-Darm-Symptomen. An die Sorge, dass Chris nicht mehr aus dem Krankenhaus zurück nach Hause kommt. Und an die unfassbare Angst, als der Bettnachbar an Corona stirbt. Aber mit der Entlassung aus der Klinik beginnt der Leidensweg erst: Chris Rosen ist einer von mindestens einer Million Deutschen, die an Long- oder Post-Covid leiden.

„Viele denken immer noch: Entweder man stirbt dran oder alles ist gut“, sagt Julia Knobloch. Im Alltag des Paares gehört Long-Covid längst dazu. Chris, der einige Vorerkrankungen hat, ist seit der Infektion arbeitsunfähig. Die Treppe in den ersten Stock der Wohnung schafft er nur noch mit viel Anstrengung. Kopfschmerzen, Schwindelattacken, Magenbeschwerden, Gliederschmerzen, Unruhe, Schlaflosigkeit und vor allem Konzentrationsschwächen sind ständige Begleiter. Sie kommen und gehen. „Jeder Tag ist anders. Planen können wir kaum noch“, erzählt das Paar.

Nach einer zweiten Infektion verschlimmerten sich die Symptome

Immer wieder recherchieren sie nach Ärzten, Studien, neuen Behandlungsmethoden. Chris nahm an einem Heilversuch der Uniklinik teil, zweimal fuhren die Kölner schon zu Voruntersuchungen nach Erlangen, wo das Medikament BC007 Long-Covid-Patienten Hoffnung macht. Aber bisher gab es keine Linderung. Im Gegenteil: Nach einer zweiten Corona-Infektion im Februar verschlimmerten sich seine Symptome wieder. Das belastet auch die Beziehung. Seit fünf Jahren sind die beiden ein Paar. Gemeinsame Radtouren, mit Freunden ausgehen – aktuell ist das nicht mehr möglich. „Wir versuchen gut auf einander zu achten“, sagt die 35-jährige Berufsschullehrerin.

Aktuell erfahren Long-Covid-Patienten im Vergleich noch wenig Unterstützung von Haus- und Fachärzten. Angehörige noch weniger. Julia Knobloch gründete vor anderthalb Jahren deshalb eine Selbsthilfegruppe für Post- und Long-Covid-Erkrankte und ihre Angehörigen. Jede Woche erreichen sie per E-Mail neue Anfragen. „Es hilft den Menschen, zu wissen, es gibt noch andere. Manchen reicht es schon, sich gehört zu fühlen“, sagt sie. Alle zwei Wochen trifft sich die Gruppe online.

Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es irgendwann einen Durchbruch in der Medizin gibt.
Chris Rosen, Long-Covid-Patient

Die Themen sind nicht nur die eigene Erkrankung, man hilft sich auch mit Tipps zu guten Neurologen oder wie man die Erwerbsminderungsrente beantragt. So wie kürzlich Chris Rosen. „Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es irgendwann einen Durchbruch in der Medizin gibt“, sagt der Verkäufer im Einzelhandel. So wie es jetzt ist, sagt das Paar, können sie die Situation nicht akzeptieren.

Um Hoffnung auf die medizinische Forschung geht es auch an einem Dienstagabend im St. Marien-Hospital. Dort trifft sich einmal im Monat eine Post- und Long-Covid-Selbsthilfegruppe. Die meisten hier haben schon mindestens eine Reha hinter sich, viele sind so beeinträchtigt, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können.

Anstrengendes „Ärzte-Hopping“

So wie Mara, die wie fast alle Teilnehmenden am chronischen Fatigue-Syndrom (CFS) leidet. Diese sehr belastende Erschöpfung erschwert nicht nur die Bewältigung des Alltags, sondern auch die sowieso schon ausdauernde Suche nach verständnisvollen Ärzten – „Ärzte-Hopping“ nennt es Mara. „Mein Hausarzt verschreibt mir noch nicht einmal Physiotherapie“, sagt die junge Frau in der Runde. „Mir fehlt diese ärztliche Begleitung sehr.“ Und so werden die Betroffenen selbst zu Experten ihrer noch so unerforschten Krankheit. Belastungsintoleranz. PEM. CFS-Syndrom. Die Begrifflichkeiten fliegen durch den Raum, man kennt sich hier vielleicht nicht privat, aber man versteht sich. Viele kommen auch, um sich Tipps von anderen zu holen.

Selbsthilfegruppe Post-Covid

Im St. Marien-Hospital trifft sich einmal im Monat eine Post- und Long-Covid-Selbsthilfegruppe.

An diesem Abend gibt es einige: Bücher zum Thema, wirksame Aminosäuren, Atemtechniken, Meditations-Apps fürs Smartphone, Vagusnervstimulation. Dinge, die gegen den „Nebel im Kopf“ helfen, wie eine Teilnehmerin ihre Symptome beschreibt. „Ich habe schnell gemerkt, dass man sich selbst helfen muss“, sagt auch Ruth. Die 25-Jährige ist an diesem Abend die Jüngste in der Gruppe. Als sie sich im Dezember 2020 infizierte, stand sie kurz vor ihrer Masterarbeit. Beendet hat sie das Studium noch nicht.

Ich war manchmal richtig sauer auf meinen Körper. Was an einem Tag funktionierte, ging plötzlich am nächsten nicht mehr.
Achim, Mitglied der Long-Covid-Selbsthilfegruppe

Soziale Einsamkeit, im Freundeskreis die Exotin – so beschreiben einige ihre Situation. „Es ist eine Krankheit, die man uns nicht ansieht“, sagt Achim. Er war im März 2021 für vier Monate an Covid erkrankt, kam danach zuhause nicht mehr die Treppe hoch. „Ich war manchmal richtig sauer auf meinen Körper. Was an einem Tag funktionierte, ging plötzlich am nächsten nicht mehr.“ Er habe inzwischen akzeptiert, dass die Bewältigung von Long-Covid nicht wie beim Sport nach dem Prinzip der Leistungssteigerung funktioniere.

Vor eine weiteren Infektion, die die Symptome verschlimmern könnte, haben hier viele Angst. Einige berichten von merkwürdigen Blicken, die sie bekommen, weil sie noch überall Maske tragen. „Wir erinnern die Menschen daran, dass das Virus immer noch da ist. Das gefällt vielen nicht“, sagt Achim. Am Leben wieder teilnehmen, das möchten sie aber alle hier.


Anlaufstellen in Köln

Long-Covid-Sprechstunde der LVR-Klinik in Merheim. Montag bis Freitag 8.30 bis 16 Uhr, 0221/89 93 851 oder rebecca.wagner@lvr.de. Aktuell sechs Wochen Wartezeit.

Long-Covid-Ambulanz der Akademie für angewandte Psychologie und Psychotherapie in Porz, Montag und Mittwoch 9.30 bis 11.30 Uhr, Donnerstag und Freitag 14 bis 15.30 Uhr, 02203/ 591500, www.app-koeln.de

Die Kapazitäten der interdisziplinären Post-Covid-Sprechstunde der Uniklinik Köln sind ausgeschöpft, Patienten werden derzeit nicht angenommen; infektionsambulanz@uk-koeln.de

Long-Covid-Selbsthilfe Köln, Treffen finden alle zwei Wochen online statt. 0221/95154216, longcovid.selbsthilfekoeln@hotmail.com

Post-Covid-Selbsthilfegruppe im St. Marien-Hospital, jeden ersten Dienstag im Monat 18 Uhr, 0221/1629-7030, postcovid-koeln@outlook.de. Es gibt eine Warteliste. (hes)