Interview mit Leiter des Kölner Gesundheitsamts„Weihnachten wird schwierig“
Bei einer Inzidenz von 35 war die Corona-Ampel gelb, bei 50 rot. Jetzt sind wir in Köln bei 111 – wann haben wir die nächste Grenze erreicht?Nießen: Wir stehen jetzt mindestens bei dunkelrot. Gestern hatten wir in Köln fast 350 Fälle, und die Zahl geht weiter nach oben. Vom Land gibt es keinen neuen Maßnahmenkatalog, den wir bei einer bestimmten Inzidenzzahl umsetzten müssten. Unser nächster Schritt ist jetzt zu beobachten, ob die beschlossenen Maßnahmen Wirkung zeigen. Erst nach 14 Tagen sehen wir, ob zum Beispiel die Sperrstunde und das Alkoholverbot das Infektionsgeschehen beeinflussen. Im Krisenstab werden wir auch darüber beraten, ob wir die Kontrollen der Maßnahmen noch intensivieren müssen.
Können die Maßnahmen – wenn sie denn umgesetzt werden – überhaupt den gewünschten Erfolg bringen?
Ich glaube, dass die Maßnahmen richtig und wichtig sind. Ich glaube auch, dass sie etwas bringen. Wichtig ist, dass die Menschen sich auch daran halten. Viel mehr Möglichkeiten als einen Lockdown haben wir sonst nicht mehr.
Wäre ein zweiter Lockdown für Köln eine Option?
Wir würden ihn gerne verhindern. Berchtesgaden hat den Lockdown mit 250, Madrid mit 600. Besonders Schulen und Kitas müssen so lange wie möglich geöffnet bleiben. Eine Option könnten partielle Lockdowns sein, die nur einen Teil des alltäglichen Lebens betreffen.
Wie ist die Situation in den Krankenhäusern?
Wir haben 600 Intensiv-Betten, 50 könnten von einem Tag auf den anderen für Covid-19-Patienten frei gemacht werden. Aktuell sind nur ein Viertel auf Intensivmedizin angewiesen. Im Frühjahr waren es noch die Hälfte. Und nicht jeder, der auf der Intensivstation liegt, ist ein aussichtsloser Fall. Wir haben im Gegensatz zur ersten Welle sehr viel dazugelernt, es gibt heute sehr viel mehr Behandlungsmöglichkeiten und Medikamente.
Zur Person
Johannes Nießen (62) ist seit 2019 Leiter des Kölner Gesundheitsamts. Zuvor leitete der gebürtige Leverkusener ab 1995 zuerst das Gesundheitsamt in Hamburg-Eimsbüttel und ab 2002 das Gesundheitsamt im Bezirk Altona. Hier koordinierte er ab 2015 auch die medizinische Flüchtlingsversorgung der Stadt. Seine Arbeit wurde 2017 im Rahmen des Wettbewerbs „Deutschland - Land der Ideen“ ausgezeichnet.
Mehr als ein Drittel der Infizierten wissen nicht, wo sie sich infiziert haben. Woran liegt das?
Manchmal wissen die Indexpersonen erst vier bis fünf Tage nach den ersten Symptomen, dass sie positiv sind. Da fällt es vielen schon schwer, sich an die letzten Kontakte zu erinnern. Wir empfehlen daher die Corona-Warn-App. Wir merken, dass viele Kölner sie schon benutzen. Seit der App Einführung hatten wir über 250 Testungen im Gesundheitsamt, die mit einer Warnung auf der App zu uns gekommen sind.
Wie lange dauert es, bis alle Indexfälle und Kontaktpersonen kontaktiert sind?
Die Indexfälle schaffen wir gerade noch am selben Tag zu informieren, manchmal erst am nächsten Tag. Bei den Kontaktpersonen kann das schon mal den ein oder anderen Tag dauern. Wir haben aktuell 227 Mitarbeiter, die sich auch am Wochenende im Schichtbetrieb um die Nachverfolgung kümmern. Uns helfen dabei 54 Bundeswehrsoldaten. Wir steuern aber noch personell nach, bis zum 1. November stellen wir 100 neue Mitarbeiter ein.
Wird die Quarantäne immer eingehalten?
Die meisten halten sich daran. Wo wir Bedenken haben, schicken wir auch schon mal das Ordnungsamt vorbei. Die Stadt hat alleine 400 000 Euro an Bußgeld eingenommen, von Menschen, die sich während Corona getroffen haben oder die Quarantäne nicht eingehalten haben..
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In zwei Monate ist Weihnachten. Wie könnte das Fest in diesem Jahr ablaufen?
Weihnachten wird schwierig, da mache ich mir große Sorgen. Ich habe noch keine genauen Vorstellungen, wie das werden wird, aber sicher nicht so, wie die Jahre vorher. Vielleicht mit Schnelltests vor dem Fest oder komplett online. Es wird auf jeden Fall im kleineren Rahmen stattfinden.
Eine düstere Prognose...
Ja, es ist schwierig. Wir können im Moment nur weiter gucken, was hilft, nachjustieren, die Maßnahmen kontrollieren. Durchhalteparolen sind ja schon ein bisschen aufgebraucht, aber das Bild des Marathonlaufs trifft es immer noch sehr gut. Wir wissen nur nicht, an welchem Kilometer wir sind.
Wie kann man da noch optimistisch sein?
Was mir bei alldem hilft, dass ich optimistisch bin, dass es schon 2021 einen Impfstoff gibt. Wir überlegen bereits, wie wir die Verteilung in der Stadt mit den niedergelassenen Ärzten organisieren können.