Köln – Die Fotografien, die von den großen Zeiten des Galopprennsports erzählen, sind noch in schwarz-weiß aufgenommen worden. Philipp Hein (33) ist zu jung, um es selbst hätte erleben zu können, aber der Geschäftsführer des Kölner Renn-Vereins von 1897 kennt die Bilder. Auf einer der Aufnahmen sitzt etwa Bundespräsident Walter Scheel irgendwann in den 1970er Jahren beim Großen Preis von Europa auf der schmucken Haupttribüne in Weidenpesch, umringt von 20 000 Zuschauern. „Damals hätte im Renn-Verein niemand eine Kooperation mit der Stadt vorangetrieben. Das war nie ein Thema“, sagt Hein.
Der Bundespräsident war schon lange nicht mehr da, ohnehin haben sich die Zeiten im Galopprennsport stark verändert. Nicht erst seit der Corona-Pandemie kämpfen bundesweit viele Rennvereine um die Existenz. Der Kölner Renn-Verein hat gerade erst wieder 300 000 Euro von der Stadt für den nächsten Sanierungsabschnitt der denkmalgeschützten Haupttribüne erhalten – künftig könnte dieser Umweg überflüssig werden.
Chronik der Kölner Rennbahn
1897 gründet sich der Kölner Renn-Verein, im selben Jahr beginnt der Bau der Rennbahn, ein Jahr später startet der Rennbetrieb. Der Verein schreibt: „Die Liste der Gründungsmitglieder liest sich wie ein Querschnitt durch die damalige feine Gesellschaft. Namen fast aller angesehenen Familien gehören dazu. 55 Hektar groß ist das gesamte Areal mit Gastronomie, Stallungen und Tribünen (siehe Grafik rechts). Das entspricht umgerechnet rund 77 Fußballfeldern. Teile der Rennbahn-Fläche stehen auch unter Denkmalschutz. 2008 muss die Stadt den Verein retten, Millionenschulden hatten sich zuvor aufgetürmt. Der Stadtrat beschließt, das Rennbahn-Gelände für 15 Millionen Euro zu kaufen und an den Verein zu verpachten. Der damalige Geschäftsführer Faßbender nennt es eine Entscheidung, die langfristig die Existenz des Vereins sichere. (mhe)
Denn im Rathaus gibt es Pläne, die denkmalgeschützte Galopprennbahn der Sportstätten GmbH anzugliedern und sie damit in städtische Verantwortung zu überführen. Bislang gehört der Stadt nur der Grund und Boden, nun geht es unter anderem um die Tribünen.
Ein großer Name
Die Sportstätten GmbH betreibt das Rheinenergie-Stadion, das Südstadion, einen Golfplatz, die Radrennbahn, das Reit- und Baseballstadion und den Sportpark Höhenberg. Veranstaltungen sind das Kerngeschäft.
Gespräche zwischen Stadt und Renn-Verein laufen schon länger, doch vor der Kommunalwahl im September sollte das Vorhaben nicht öffentlich diskutiert werden.
„Es wäre nicht verkehrt, die Rennbahn nachhaltiger aufzustellen und strukturell etwas zu verändern. Denn das Gelände ist insgesamt als Veranstaltungsfläche interessant“, sagt Martin Schoser (CDU), Aufsichtsratsvorsitzender der Sportstätten. Der Renn-Verein wäre die Bürde der Tribünensanierungen los. „Wir haben das Thema ganz offen diskutiert und sind der Meinung, dass es ein probates Mittel wäre, um die Rennbahn langfristig zu erhalten“, sagt Hein.
Die Stadt als Retter
Wenn es in der Vergangenheit in Köln eng wurde für die Rennbahn und den Verein, ist die Stadt meistens eingesprungen. Im Jahr 2008 beispielsweise kaufte sie dem Verein das Rennbahngelände für 15 Millionen Euro ab. Das Geld nutzte der Club für Sanierungen von Tribünen und Stallungen.
Aber: Von dem Geld ist nichts mehr übrig. Die Unterhaltung der 120 Jahre alten Anlage kostet laut Renn-Verein rund 300 000 Euro pro Jahr. Geld, dass die Stadt immer wieder zuschießt an den Verein, der nun Pächter ist. Nun soll es darum gehen, ob etwa die Stallungen im Zuständigkeitsbereich des Vereins bleiben. Der Gesprächsbedarf ist groß.
Überlegungen fortgeschritten
Unumstritten ist es nie, wenn Städte den Betrieb von Galopprennbahnen finanzieren, die kommunale Daseinsfürsorge ist in dem Fall für manchen im Rathaus und Politik nicht leicht zu erkennen – zumal in Zeiten von Corona und klammer Kassen. In Köln sind die Überlegungen aber fortgeschritten: Im Sportamt wird über die Nutzungsmöglichkeiten des Rennbahngeländes nachgedacht. Beachvolleyballplätze könnten entstehen, für Kletterer könnten Steilwände kommen, Fitness-Angebote sind denkbar, allerdings steht der Innenraum der Rennbahn unter Landschaftsschutz.
Eine weitere Hürde: Bei der Übernahme der Rennbahn durch die Stadt müsste der Pachtvertrag modifiziert werden. Derzeit zahlt der Verein jährlich eine sechsstellige Summe.
Eine Branche unter Druck
Köln ist mit seinen Sorgen nicht allein, die gesamte Branche ist seit Jahren unter Druck. Im Jahr 2000 setzen die Rennbahnen in Deutschland durch die inländischen Wetten noch 125,1 Millionen Euro um, vergangenes Jahr waren es nur noch 26,7 Millionen Euro – ein Minus von 79 Prozent.
Die Zahl der Rennen sank im selben Zeitraum von 2916 auf 1144 (minus 60,1 Prozent). Sogar der Betreiber der bekanntesten deutschen Rennbahn in Iffezheim bei Baden-Baden hat den Pachtvertrag für die Rennbahn zum Jahresende gekündigt – wegen Corona. Die Gründe für den Niedergang der Branche sind vielschichtig, wie eine Sprecherin des Verein Deutscher Galopp mit Sitz in Köln erklärt. Sie nennt das Aus einiger Anlagen, den Rückgang der Zucht, das geänderte Freizeitverhalten, die Wetten im Internet und die Digitalisierung.
Und: Buchmacher mit ausländischer Lizenz schaffen es derzeit noch, die Geldströme der Wetten an den deutschen Rennvereinen vorbei zu lenken. Hein weist darauf hin, dass die Umsätze inklusive Auslandssummen deutlich höher sind. Deutschland hat zuletzt beschlossen, die Rückerstattung von Rennwettsteuern auch auf das Ausland auszudehnen – die Gesetzesänderung muss die EU aber noch notifizieren. Der Begriff meint, dass das Gesetz erst noch mitgeteilt werden muss, bevor es rechtskräftig wird.
Die goldenen Jahre
Einer, der sich auskennt, ist Günter Paul (79), er hat die Goldenen Jahre des Pferdesports miterlebt. Der ehemalige Präsident des hessischen Staatsgerichtshofs und des hessischen Verfassungsgerichts hatte schon immer ein Faible für Pferde – seit einigen Jahren ist er Vorsitzender der Mehl-Mühlens-Stiftung, die das Gestüt Röttgen in Rath-Heumar betreibt. „Sportstätten wie die Pferderennbahn sind immer auch Werbeträger für eine Stadt. Die Übernahme durch die Stadt ist eine sehr vernünftige und legitime Überlegung.“ Er weiß, wovon er spricht, er konnte 2008 als Präsident des Frankfurter Rennclubs dessen Insolvenz nicht mehr vermeiden.
Es sind harte Zeiten, knapp 40 Kilometer nördlich von Köln zeigt das Beispiel der Neusser Rennbahn, was einigen Bahnen und Vereinen drohen könnte. Über Jahre sanken die Umsätze, seit Ende 2019 gibt es keine Rennen mehr, der Neusser Reiter-und Rennverein von 1875 stand kurz vor der Insolvenz. Der Rat hatte beschlossen, den Pachtvertrag der städtischen Marketingfirma mit dem Verein nicht zu verlängern. Stattdessen soll das Areal möglicherweise ab 2026 als Naherholungsfläche dienen, ein Konzept ist in der Mache.
Der neu gegründete Galoppclub Neuss Niederrhein will das verhindern und übergangsweise Rennen veranstalten, auch wenn Präsident Marc Troellsch sagt: „Der Galoppsport schwimmt nicht im Geld.“ Laut Insolvenzverwalter Horst Piepenburg gibt es aber zwei Interessenten, die in Neuss den 125 Jahre alten Verein übernehmen möchten, ein Schimmer der Hoffnung. In Köln soll es nach dem Willen des Renn-Vereins erst gar nicht so weit kommen.