AboAbonnieren

Drogenszene am NeumarktWarum der Crack-Konsum in Köln zunimmt – Hilferuf der Anwohnenden

Lesezeit 4 Minuten
Der Crack-Konsum verlagert sich immer mehr in den öffentlichen Raum, hier am Neumarkt.

Der Crack-Konsum verlagert sich immer mehr in den öffentlichen Raum, hier am Neumarkt.

Auch in der Substitutionsambulanz beobachtet man die Entwicklung mit Sorge. Ähnliche sieht die Situation am Ebertplatz aus.

Die massive Drogenproblematik am Neumarkt treibt die Menschen weiter um. In regelmäßigen Abständen macht Interessengemeinschaft Neumarkt (IG) auf die bedrückende Situation aufmerksam — nun gibt es wieder einen offenen Brief an die Verantwortlichen der Stadt Köln. „Die Lage am Neumarkt hat sich weiter verschärft“ betont der neue Vorstandsvorsitzende der IG, Thomas Kleefuß. Die Drogenszene sei in den vergangenen Jahren erheblich gewachsen und belaste längst nicht mehr nur den Platz selbst, sondern das gesamte Wohn- und Geschäftsviertel.

„Es ist offensichtlich, dass die bisherigen Maßnahmen nicht greifen, um den Neumarkt als zentralen Ausgangspunkt der Kölner Handelslagen aus seiner Krise zu führen“, sagt Kleefuß weiter. Anwohner, Immobilienbesitzer und Gewerbetreibende zeigten sich besorgt über diese Entwicklung. Nach Einschätzung der IG Neumarkt verstärken der zentrale Drogenkonsumraum und die Angebote im Gesundheitsamt durch ihre Sogwirkung die Problematik: „Immer mehr Suchtkranke aus dem Umland kommen, da andernorts keine ausreichenden Hilfsangebote existieren“. Ärztliche Betreuung und Drogenkonsumräume sollten auf das gesamte Stadtgebiet verteilt werden, um den Neumarkt zu entlasten.

Der erneute Hilferuf der Anwohner und Händler kommt nur wenige Tage nach der aktuellen Einschätzung von Polizeipräsident Johannes Hermanns zur großen Drogenproblematik am Neumarkt und Ebertplatz. „Wir haben die Wahrnehmung, dass der Crack-Konsum deutlich zunimmt. Damit wird ein Problem auf Köln zukommen, das weit mehr als Cannabis zu einer deutlich zunehmenden Verelendung führen wird“, warnt er im Gespräch mit der Rundschau. Hermanns sprach von einer sehr hohen Suchtgefahr: „Die Süchtigen enden so schnell in der Gosse, so wie wird das auch im Umfeld des Neumarktes häufig wahrnehmen“.

Ein Süchtiger zündet sich eine Crack-Pfeife an.

Ein Süchtiger zündet sich eine Crack-Pfeife an.

Auch Andreas Sevenich, Leiter des Substitutionsambulanz am Neumarkt, beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Anders als in Städten wie Frankfurt oder Hamburg habe Crack in Köln lange Zeit kaum eine Rolle gespielt. „Mittlerweile hat der Crack-Konsum in Köln und insbesondere am Neumarkt ein immer größeres Ausmaß angenommen.“ Das liegt vor allem an der historisch hohen Verfügbarkeit von Kokain, aus dem das Crack mit Hilfe von Natron und Wasser relativ einfach hergestellt werden kann. „Das kann wirklich jeder“, sagt Sevenich. Die Crackpfeife, mit dem der Crack-Stein schließlich geraucht wird, bekäme man auch auf der Straße und in „einschlägigen Läden“.

Crack in Köln: Schwere Lungenschäden und Psychosen als Langzeitfolgen

Warum Crack für die Konsumenten so gefährlich ist, hat mehrere Gründe. Innerhalb weniger Sekunden wirkt Crack über die Lunge. „Der stark euphorisierende Rausch endet bereits nach 10 bis 15 Minuten“, erklärt Sevenich. „Und dann kehrt sofort das Verlangen auf, weiter zu konsumieren. Anders als bei anderen Drogen gibt es kein Sättigungsgefühl.“ Teilweise gäbe es am Neumarkt Menschen, „die tagelang durchkonsumieren, dann irgendwann einfach umfallen und einschlafen“. Zu den langfristigen Folgen gehören schwere Lungenschäden („Cracklunge“), der Verlust sozialer Bezüge, Wahnvorstellungen oder Psychosen. Überdosen können sogar zum Herzstillstand führen. „Die Konsumenten ordnen dem Crack-Konsum alles unter. Das führt zu einer hohen Selbstvernachlässigung und Verwahrlosung. Außerdem steigt das Aggressionspotenzial. Alle diese Folgen sind am Neumarkt eindrücklich zu beobachten“, sagt Sevenich.

Eine weitere Entwicklung: Zunehmend werde bereits zubereitetes Crack in der Szene gehandelt. Dadurch habe sich der Konsum von den Konsumräumen noch stärker in den öffentlichen Raum verlagert, weil kein geschützter Raum mehr notwendig ist, um Crack zuzubereiten. Konsumenten zu erreichen, um ihnen zu helfen, werde immer schwerer, sagt Sevenich.

Drogen-Hotspot Neumarkt: Stimmung in der Szene hat sich verändert

Durch den zunehmenden Crack-Konsum habe sich die Stimmung in der Szene verändert, beobachtet Sevenich. „Selbst Alt-Konsumenten, die wir behandeln, fühlen sich zum Teil in der Szene nicht mehr sicher.“ Auch der Blick nach vorne bereitet dem Leiter der Substitutionsambulanz Sorge. Zu befürchten sei ein sich in der Zukunft verknappender Heroinmarkt. Grund dafür ist das Anbauverbot für Schlafmohn der Taliban-Regierung in Afghanistan. Die Knappheit hätte zur Folge, dass Heroin verstärkt mit synthetischen Opioiden wie Fentanyl und Nitazen gestreckt werde. Dadurch steige die Wirkung um ein Vielfaches, was vermutlich zu mehr Notfällen führen würde.

Auch der Bürgerverein Eigelstein sieht die Entwicklung mit „großer Sorge“. Vorsitzender Burkhard Wennemar spricht von „unhaltbaren Zuständen“ am Ebertplatz. Der Bürgerverein ist für eine Schließung der Aufgänge in der Westpassage. In den dunklen Bereichen der Aufgänge halten sich häufig Dealer auf.

Zu den Aufgängen am Ebertplatz hat Polizeipräsident Hermanns auch eine klare Meinung: „So, wie es jetzt ist, mit den zahlreichen Zugängen, den Tunneln und den U-Bahn-Abgängen, fühlen sich die Dealer dort wohl“. Von einer kompletten Schließung der Westpassage hält der Bürgerverein nichts. Die Kunsträume müssten erhalten bleiben. Die Stadt kündigte an, im März mit ihren Plänen für die Westpassage an die Öffentlichkeit zu gehen.