Positiv beklopptKöln feiert – und das Land schüttelt mal wieder den Kopf
Köln – Hier wird Kritik nicht durch die Blume serviert, hier wird abgerechnet: „Danke für nichts, ihr Narren“, ist der Beitrag in der „Süddeutschen Zeitung“ überschrieben. Gemeint ist der Sessionsauftakt am Elften im Elften. Der Prinz positiv, und Köln feiert während die Inzidenzen in die Hunderte gehen, heißt es weiter. Was muss also geschrieben werden? „Eine Geschichte des Idiotentums in der Pandemie.“
Köln ist eben anders
Wenn das Land im regnerischen Novembergrau versinkt, reisen alljährlich die Korrespondenten zum Sessionsstart an den Rhein. Sie steigen aus dem kuscheligen ICE und treffen am Dom auf wankende Flamingos aus Wanne-Eickel oder intensiv beschallende Kegelclubs aus Hagen mit Feigling-Batterien am Gürtel. Große Begeisterung für das rheinische Brauchtum mag da nicht aufkommen. Zurückgesandt werden Textstücke, die sich irgendwo zwischen Fassungslosigkeit, Mitgefühl und Ekel bewegen. Köln eben, schon anders.
In diesem Jahr formte sich das Unverständnis über die rheinische Lebensart zu anderen Gefühlslagen aus. Wut war auch darunter. Der Autor der „Süddeutschen“ sah sich erinnert an den Tod in Venedig („Tod in Köln“ lautete die Überschrift), an den Fiebertraum einer übersteuerten Luxusgesellschaft am Abgrund. Während es bei Thomas Mann die Cholera ist, die über die Häfen des Kontinents eingeschleppt wird, zeigt nun das Corona-Virus seine tödliche Fratze. Und die Kölner? Feiern einfach Karneval. „In dem Bundesland an Rhein und Ruhr zeigt sich das Närrische ja traditionell unterm Brennglas“, schreibt der Autor mit wenig Differenzierungsdrang, „auch dann, wenn gerade mal kein Karneval ist.“ Was er vermisst: Verantwortung. „In diesem Herbst schieben sich Hunderttausende mit einem gesamtgesellschaftlichen ,Leck mich’ durch die rheinischen Altstädte.“
„Mit jedem Schluck schwinden die Vorbehalte.“
Die Kollegen von „Spiegel online“ sehen die Stadt zwischen Vernunft und Enthemmung. „Alles wie immer, wenn Köln die Karnevalssession eröffnet. Wäre da nicht die Sache mit dem Coronavirus“, heißt es. „Doch damit wollen sich die Feiernden heute wohl mal nicht beschäftigen.“ Die Bedenken am Tresen werden mit in Betracht gezogen. Man werde nachdenklich, darf Tina aus der Gruppe „Kölscherie“ formulieren. Aber: „Mit jedem Schluck schwinden die Vorbehalte.“
Köln, Stadt der Maßlosigkeit und des ewigen Schlendrians, dieser Ruf scheint nun auf ewig festgeschrieben. „Mir sin wie mer sin, mir Jecke am Rhing“, das klingt mit diesem Corona-Sessionsstart offenbar auch nach „Drissejal“.
Schon am Elften Elften selbst hatte der satirische Scharfrichter Jan Böhmermann angesichts der Feiermassen auf der Zülpicher Straße den Hammer fallen lassen. Von der 0,5-Liter-Bierdose im Gedränge der Gasse sei es nur ein kurzatmiger Schritt bis zur Intensivstation, zwitscherte der Entertainer sinngemäß. Die „Heute Show“ twitterte: „Heute ist Karnevalsauftakt! Die 18 fährt dieses Jahr nicht nach Istanbul, sondern zur Uniklinik.“
Das könnte Sie auch interessieren:
„Die Welt“ fühlte sich angesichts der geballten Verachtung zur Verteidigungsrede veranlasst und sieht den Corona-Pranger zurück: Karnevalisten werden zur Schau gestellt und für Neuinfektionen verantwortlich gemacht, heißt es in einem Beitrag der von Hetze spricht. „Nachdem erst Jugendliche,dann Rodler im Park, dann Menschen an Glühweinbuden von Twitter-Deutschland zu Treibern der Pandemie erklärt wurden, müssen nun die Jecken herhalten.“ Besonders krasse Kommentare kämen von denen, die eine „Spaltung der Gesellschaft“ fürchteten.
Aus Köln sei dazu gesagt: Spalter haben im Fastelovend keinen Platz.