Neuer Paukenschlag bei der Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln: Der Vorsitzende der Aufarbeitungskommission hört auf. Er zweifelt an der Unabhängigkeit und fragt sich, ob man vor allem Kardinal Woelki schützen wolle.
„Mir fehlt das Vertrauen“Jurist Rixen verlässt Kölner Kommission zu Missbrauchsfällen
Der Staatsrechtler Stephan Rixen hat seine Mitgliedschaft in der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für das Erzbistum Köln beendet und damit auch den Vorsitz niedergelegt. Seine anfänglichen Zweifel an einer unabhängigen und effektiven Arbeit des Gremiums hätten sich bestätigt, sagte Rixen am Montag der Katholischen Nachrichten-Agentur in Köln.
Rixen berichtete von einem Gespräch der Kommission mit Kardinal Rainer Maria Woelki, dessen Büroleiterin und der Interventionsbeauftragten des Erzbistums Köln über die im Sommer veröffentlichten Missbrauchsvorwürfe gegen den langjährigen Sternsinger-Präsidenten Winfried Pilz. Dieses Gespräch habe ein „massives Störgefühl“ bei ihm hinterlassen, so Rixen. Er wolle sich nicht ständig fragen müssen, ob ihm jemand wirklich die Wahrheit sage.
Der Kölner Priester Pilz hatte seine letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod im Jahr 2019 im Bistum Dresden-Meißen verbracht. Woelki wird vorgehalten, das Bistum nicht frühzeitig über die Vorwürfe gegen den Geistlichen informiert zu haben. Dagegen betont der Kardinal auch in einer eidesstattlichen Versicherung, erst Ende Juni 2022 mit dem Fall befasst worden zu sein. In der Sache ermittelte die Kölner Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs einer falschen eidesstattlichen Versicherung (die Rundschau berichte mehrfach).
Rixen: Mehrheit will nicht mit Führungsspitze des Erzbistums in Konflikt geraten
„Mir fehlt das Vertrauen, dass eine Aufarbeitung, die auch Kardinal Woelki selbst betrifft, wirklich gewünscht ist“, sagte nun Staatsrechtler Rixen. Sein Eindruck sei, dass die Mehrheit der Kölner Kommission nicht mit der Führungsspitze des Erzbistums in Konflikt geraten wolle. Der Jurist bekundete grundsätzliche Zweifel an einer Aufarbeitung in Regie der Kirche. Die nötige Distanz könne nur eine staatlich verantwortete Aufarbeitung mit definierten Standards sicherstellen.
Die Aufarbeitungskommission für das Kölner Erzbistum hatte sich am 1. Juni konstituiert. Sie geht auf eine Vereinbarung zwischen dem früheren Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, und der Deutschen Bischofskonferenz zurück. Zwei Mitglieder, neben Rixen die frühere NRW-Staatssekretärin Marion Gierden-Jülich, hatte das Land NRW benannt, drei das Erzbistum und zwei der Betroffenenbeirat des Erzbistums. Gerade die Zusammensetzung dieses Beirats ist umstritten. Zwischen heutigen und früheren Mitgliedern gibt es Meinungsverschiedenheiten.
Rixen war gestern für weitere Stellungnahmen nicht erreichbar. Einer der Betroffenen, Peter Bringmann-Henselder, merkt in einer ersten Reaktion ausdrücklich als rein persönliche Meinung an: „Eine richtige Unabhängigkeit gibt es weder beim Staat noch bei der Kirche, weil jeder der Fachleute in irgendeiner Form mit denen zusammenarbeitet.“ Bringmann-Henselder gehört dem Betroffenenbeirat des Erzbistums und der Aufarbeitungskommission an.
Unabhängige Kommission zeigt Verständnis für Rixen
Verständnis für Rixen äußert die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs auf Bundesebene. „Die bisherigen Aufarbeitungsprozesse in den Bistümern der katholischen Kirche weisen in ihrer Umsetzung zum Teil Defizite hinsichtlich der Unabhängigkeit und insbesondere bei der Betroffenenbeteiligung auf“, erklärt das Gremium gegenüber der Rundschau. Dies zeige, dass die gemeinsame Erklärung von Rörig und den Bischöfen „als Basis für unabhängige Aufarbeitung nicht ausreichend ist“.
Die Kommission stimme Rixens Forderung nach einer größeren Verantwortungsübernahme des Staates zu. „Der Staat sollte die Funktion einer Beratungs- und eventuell Monitoringinstanz für Aufarbeitungsprozesse übernehmen, um sicherzustellen, dass diese nach geltenden Standards auf- und umgesetzt werden. Im Vorfeld wäre eine umfassende Evaluation der bisherigen Aufarbeitungsprozesse in den Bistümern notwendig.“ (kna)
Woelki verzichtet auf Verjährungseinrede
Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki hat entschieden, dass ein staatliches Gericht über die Höhe der Schmerzensgeldforderung für die Taten eines Priesters befindet, der sexuellen Missbrauch begangen hat. Dazu erklärt Woelki: „In diesem besonderem Fall hatte ich den Wunsch, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten.“ Den beispruchsberechtigten Gremien bin ich sehr dankbar, dass sie mich in meiner Entscheidung unterstützen.“ In dem konkreten Fall wurde ein Betroffener in den Jahren 1972 bis 1979 von einem Priester des Erzbistums Köln missbraucht. Dieser hat vor dem Landgericht Köln Klage gegen das Erzbistum Köln auf Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 725.000 Euro sowie eine Feststellungsklage auf Zahlung von Schadensersatz für weitere, noch nicht bekannte Schäden erhoben. Der Missbrauchsfall ist Gegenstand des Gercke-Gutachtens. Seinerzeit galt eine Verjährungsfrist von 30 Jahren. Mit dem Verzicht auf die Einrede der Verjährung möchte das Erzbistum zugleich prüfen lassen, ob das Gericht die bisher gezahlten Anerkennungsleistungen als angemessen erachtet. Diese waren von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) festgelegt und vom Erzbistum an den Betroffenen gezahlt worden. (EB)