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Jelinek im visuellen Turbomixer„Schwarzwasser – Der Film“ jetzt als Stream

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Ein Ausschnitt aus „Schwarzwasser – Der Film“ des Schauspiels Köln.

Köln – Not macht erfinderisch. Schon vor dem ersten Lockdown hatte sich Kölns Schauspielchef Stefan Bachmann die Deutsche Erstaufführung von Elfriede Jelineks „Schwarzwasser“ ganz anders vorgestellt. Richtiges Theater eben, so saftig und absurd wie die ganze „Ibiza-Affäre“, die im Mai 2019 Österreichs Regierungskoalition zerbrechen ließ.

Doch das Virus erzwang eine Notbremsung. Der Intendant erfand kurzerhand einen Expeditions-Parcours durchs Depot, bei dem Corona-gerechte Kleinstgruppen von Zuschauern jeweils auf ein mimisches Gegenüber stießen. Da selbst das nun nicht mehr geht, zündet Bachmann mit Video-Regisseur Leo Landsberg nun Stufe drei: „Schwarzwasser – Der Film“, ein Stream, der an diesem Sonntag erstmals online zu sehen war. Wer da abgefilmtes Theater befürchtet, reibt sich bald die Augen: Hier öffnet sich ein Pandämonium, das eher auf pralle Fellini-Ästhetik oder Ken-Russell-Exzesse denn auf den artigen Wechsel von Totalen und Nahaufnahmen zielt.

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Ein Ausschnitt aus „Schwarzwasser – Der Film“ des Schauspiels Köln.

Das Stationendrama hatte jene Szene als Pappmaschee-Comic nachgebildet, in der die FPÖ-Spitzen Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus auf eine angebliche russische Oligarchin hereinfielen und die Übernahme der Kronen-Zeitung und von ganz Österreich herbeihalluzinierten. Leider vor versteckter Kamera, die das größenwahnsinnige Komplott enthüllte.

Wodka trifft Red Bull

Jetzt nun tummeln sich die skandalträchtigen Damen und Herrn tatsächlich bei reichlich Wodka und Red Bull in der Baracke, es kommt gewaltig Leben in die Bude. Den entfesselten Gestalten bleibt eine gleichermaßen entfesselte Kamera porentief auf der Pelle: Ob da Peter Knaack hektisch im Rollwagen herumruckelt und die Kraftprosa der Neuen Rechten herausgrölt oder die zierliche Nicola Gründel im Lastenaufzug den pinkelnden Macho markiert – die Darsteller bekommen fast immer Gesellschaft.

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Ein Ausschnitt aus „Schwarzwasser – Der Film“ des Schauspiels Köln.

Da gibt‘s etwa ein Tête-à-Tête mit aufgesetztem Schafskopf, dem sowohl eine Limonadendusche wie ein kleines Blutbad spendiert wird. Nein, zimperlich ist dieses „Schwarzwasser“ im visuellen Turbomixer nicht gerade, einzig und allein Lola Klamroths Solo wirkt zahmer als in der Bühnenvariante.

Kein Zweifel, wer weder die politische Vorgeschichte kennt noch die Jelinek’schen Sprachkaskaden gewohnt ist, wird vom Text- und Bilderstrudel bald rettungslos verschluckt. Handlung? Fehlanzeige. Psychologie? Erst recht. Stattdessen ein Impressionsgewitter, in dem immer wieder das Leitmotiv naiver Allmachtsfantasien aufblitzt.

Infos

Tickets für „Schwarzwasser – Der Film“ sind unter https://www.schauspiel.koeln/spielplan/dramazon-prime/ erhältlich. Das Video kann nach dem Motto „Pay what you want“ für Preise zwischen einem und 100 Euro geordert werden und ist vom 1. bis 24. Januar abrufbar.

Gewiss, diese Tour de Force hat gegenüber der Parcours-Variante auch Nachteile. Es war ja durchaus spannend, sich mit wenigen Begleitern auf die von schweigsamen Wegweisern befohlene Route durch die Eingeweide des Theaters zu begeben, von der Heizzentrale vorbei an „Abendmaske 3“ bis unter das Tribünengestänge des großen Saals.

Wenn’s sein muss, kann Theater auch Kino

Dort wartet auch im Film der Mann mit der Badehose (Tom Radisch), der im Mini-Planschbecken krault und davon schwadroniert, „dass wir anderen die Grenzen aufzeigen können, die natürlich von uns kontrolliert werden müssen“. Und obwohl die verstecke Kamera die Ibiza-Revoluzzer eiskalt erwischt hat, träumt er noch davon, „dass die Autobahnen uns gehören und nicht den blöden Bayern“.

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Den Kehraus besorgt dann Jörg Ratjen als bizarres Zwischenwesen mit Jelinek-Tolle und Badeanzug. Kassandra, die auf der Toilette von verseuchtem Wasser und überhitzter Erde orakelt. Eine Szene von unangenehmer Intimität, wie sie auf der Leinwand etwa David Cronenberg erzeugen kann. Und der Schlussakkord auf der Schlaglichtorgel? Ein Kamerablick aus der Kloschüssel. Fazit nach knapp 50 Minuten: Wenn’s sein muss, kann Theater auch Kino.