Bonner Kabarettist wird 75Konrad Beikircher – der Erfinder des Rheinlandes
Bonn – Bonn, 19. Oktober 1965. Im Hauptbahnhof fährt ein Zug ein, der aus Wien kommt. Ein junger Mann steigt aus – und erleidet einen Schock. „Ich wäre am liebsten auf der Stelle umgekehrt“, sagt der Mann heute. „Die Menschen, die sprachen alle so seltsam, ich habe kein einziges Wort verstanden.“ Der 19-jährige Student blieb trotzdem in der Stadt, weil er hier gebührenfrei Psychologie studieren konnte, was er auch tat. Mehr noch: Er fand einen soliden Job als Gefängnispsychologe in der JVA Siegburg, den er bis 1986 ausübte, um dann sein Hobby zum Beruf zu machen. Konrad Beikircher wurde Kabarettist – und ein überaus erfolgreicher Erforscher der rheinischen Sprache.
An seine Anfänge in Bonn denkt Beikircher gern und anekdotenreich zurück. Er wohnte am Friedensplatz. „Sternstraße 98, Zimmer mit Abendessen“, erinnert er sich beim GA-Gespräch am vergangenen Sonntag. „Sch‘ bin Boiler“. Mit diesem Satz wurde er bei seinem ersten Kneipenbesuch konfrontiert. „Ich fand heraus, dass er Typ am Tresen aus Beuel stammte“. Der rheinische Singsang übte eine folgenschwere Faszination auf den jungen Südtiroler aus.
Unbeschwerte Kindheit erlebt
Beikircher kam am 22. Dezember 1945 in Bruneck zur Welt. Die unbeschwerte Kindheit im Pustertal war eine Keimzelle, in der spätere Talente ihren Anfang nahmen. Der kleine Konni lernte Geige, musizierte mit der Familie, interessierte sich früh für klassische Musik, große Oper und die regionale Kochkunst. Der Vater hatte als Chef der Elektrizitätswerke häufig in München zu tun, 1953 reiste die Familie im Fiat 500 Topolino mit über den Brenner. Der Vater besucht mit dem Jungen eine Kabarett-Vorstellung. „Man wollte uns nicht reinlassen, weil ich erst acht war“, sagt Beikircher. Der Kartenabreißer war dann doch gnädig. Drei Jahr später besuchten Vater und Sohn in München die neue Lach- und Schießgesellschaft und trafen erneut auf den Kartenabreißer. Es war Dieter Hildebrandt, der jetzt jedoch auf der Bühne stand. „Vor acht, neun Jahren habe ich den Dieter mal angesprochen, konnte sich in der Tat an die damaligen Besucher aus Südtirol erinnern.“
Bonner Jazz Galerie als erste Bühne
Kabarett, Klassik, Kochkunst: Konrad Beikircher macht in den 70er Jahren zwar Karriere als Psychologe, doch die Kultur lässt ihm keine Ruhe. Die Jazz Galerie in der Bonner Oxfordstraße bietet ihm eine erste Bühne. Der Club ist offen für viele Gattungen, der Gefängnistherapeut betritt die Bühne mit vertonten Gedichten des Wiener Poeten H. C. Artmann. Das Publikum staunt – und findet Gefallen an dieser kulturellen Bereicherung.
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Das war allerdings noch kein Kabarett. Im Januar 1984 klingelt im Siegburger Knast das Telefon. Die Radiomoderatorin Elke Heidenreich lädt Beikircher mit seinen Artmann-Liedern in ihre WDR-Sendung „Unterhaltung am Wochenende“ ein. Bei einem weiteren Besuch erzählt Beikircher im Radio eine kleine Geschichte, die er beim Zahnarzt erlebt hat: Eine redselige Rheinländerin hatte das gesamte Wartezimmer aufgemischt. Aus der simplen Anekdote entstand die Figur einer monologisierenden Bäckersfrau und die Radio-Serie „Sarens, Frau Walterscheidt“, die von 1984 bis 1991 im WDR 2 gesendet wurde. Der Durchbruch als Kabarettist und gleichsam als Sprachenforscher, der rheinische Redensarten salonfähig macht.
Manches könnte man heute nicht mehr machen
Der Künstler hält inne: „Die Frau Walterscheidt könnte man heute nicht mehr machen, solche Sprüche aus dem Volksmund würden nicht mehr als Satire verstanden“, sagt Beikircher mit Verweis auf aktuelle Entwicklungen im Kulturbetrieb. „Man würde mich lynchen“. Beikirchers Karriere nimmt Fahrt auf. In der Buchreihe „Himmel un Ääd“ untersucht er rheinische R hetorik und Grammatik. Er schreibt Kochbücher über rheinische Küche. In der „Rheinische Trilogie“ entstehen von 1991 bis 2011 elf Doppel-CDs. 2001 deklariert er elf Redensarten zum Rheinischen Grundgesetz. Den Kollegen Jürgen Becker reißt diese detailversessene Sammelleidenschaft zu einer Bemerkung hin: „Konrad Beikircher ist der Erfinder des Rheinlandes“, sagt ein Kölner über einen Südtiroler.
Programm
Die Programme „Beethoven, dat dat dat darf!“, „Schiff ahoi“ und „400 Jahre Beikircher“ stehen in Beikirchers Tourplan für 2021.Zurzeit arbeitet er am neuen Bühnenprogramm. Titel: „Kirche, Pest und neue Seuchen“. Seine These: „Die schlimmste Seuche sind wir selbst.“
Er greift auch aktuelle Themen auf: „Ich arbeite gerade an einer Textpassage, wie Rainer Maria Woelki zu mir zur Beichte kommt, da werde ich ihn mal kurz zurechtstutzen. Ich finde es unglaublich wie er bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen so mauert. Ist es denn die Möglichkeit? Es kann doch Theologie nicht wichtiger sein als Glaube oder Religiosität.“
Beikircher hat sich sein Grundgesetz patentieren lassen. Aber: „Das war ein Schuss in den Ofen“, sagt er rückblickend. Das Problem: Wer Sprüche aus dem Volksmund als Grundgesetz ausflaggt, muss konkrete Verstöße nachweisen. „Diese Arbeit mache ich mir nicht, aber: Ich habe immerhin das Patent!“ Also keine Tantiemen? „Nein, null“.
Der Schaffensdrang bleibt enorm. Er schreibt Konzert- und Opernführer, Bücher über Beethoven, Mozart, Wagner, Rossini und über seine eigene Kindheit in Bruneck, er geht mit deutschen un d italienischen Musikprogrammen auf Tournee. Auf der Bühne präsentiert er „500 Jahre falscher Glauben“, „400 Jahre Beikircher“, „Schiff ahoi“ und „Beethoven, dat dat dat darf!“ Und in Bad Godesberg Schweinheim, wo er seit einigen Jahren mit der Familie auf dem Katharienenhof lebt, organisiert er jährlichen einen mehrmonatigen Skulpturenpark.„75?“, fragt Beikircher. „Habe ich kein Problem mit. Mit zunehmendem Alter hat man einen besseren Gesamtblick auf die Dinge. Mir gefällt das.“ Und ein neues Programm ist ebenfalls in Arbeit.