René Jamm entwickelt TV-Formate für Warner Bros. International. Im Gespräch mit Bernd Imgrund erklärt er, was eine gute Idee ausmacht und was Comedians bisweilen auf der Seele liegt.
Interview mit René JammDüsseldorfer entwickelt TV-Formate für Warner Bros. in Köln
Warner bewohnt eine komplette Etage auf dem Gelände der ehemaligen Nippeser Clouth-Werke. René Jamms helles Eckbüro besticht durch eine Mischung aus Antiquitäten und trashigen Comic-Sammlerstücken.
Sie haben Mitte der 1980er Jahre das Aufkommen des Privatfernsehens miterlebt und bald danach auch mitgestaltet. Was änderte sich damals?
Ramm: Die Auswahl an Sendern, die Frechheit und der Humor wurden größer. Bei ARD und ZDF gab es Kabarettsendungen und Karnevalsübertragungen. Aber Humorfarben wie bei „Alles Nichts Oder?!“ (ab 1988 mit Hella von Sinnen und Hugo Egon Balder, B.I.) oder „Tutti Frutti“ (1990−1993, ebenfalls mit Balder, B.I.) hatte man in Deutschland noch nie gesehen.
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Was ging damals und geht heute eher nicht mehr?
Zu Anfang des Privatfernsehens war alles möglich. Es ging darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen und im Battle von RTL und SAT1 der lautere zu sein. Bei „Tutti Frutti“ wurde blank gezogen, bei „Alles Nichts Oder?!“ schmiss man sich Torten ins Gesicht. Das war absurd, Klamauk, unerhört! (lacht)
Sie sind auch Lehrbeauftragter an der Filmakademie in Ludwigsburg. Was bringen Sie den Studenten dort bei?
Fernseh- und Seriengeschichte. Es ist immer sinnvoll, in die Vergangenheit zu schauen. Denken Sie an progressive Experimente wie die ZDF-Serie „Tod eines Schülers“ (1980) oder Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“ (1980, WDR).
Sie sind der CEO, vulgo: Geschäftsführer der deutschen Warner Bros. International Television Production (WBITVP). Wenn ich eine TV-Idee habe, sind Sie derjenige, der den Daumen hebt oder senkt?
Genau. Ich kann produzieren, was ich will, und muss das nicht im Einzelnen mit den US-Aktionären absprechen. Aber natürlich wollen die auf Dauer Gewinn machen. Wie jeder andere Besitzer auch.
Zur Person
René Jamm wurde 1963 in Düsseldorf geboren und wuchs in Duisburg auf. Nach Abitur und Bundeswehr studiert er Politikwissenschaften, Soziologie und Jura in Mainz. Auf den Magister Artium folgte eine erste TV-Beschäftigung als Redakteur beim ZDF (u.a. „Fernsehgarten“). Nach einem Interim mit eigener TV-Firma wechselte er Ende der 1980er Jahre zum Privatfernsehen.
Warum wohl ist „Bares für Rares“ so beliebt, dass es nun ins zehnte Jahr geht?
Deutschland ist das Land mit den meisten Flohmärkten. Die Deutschen lieben Kunst und Krempel. Hinzu kommen der Zockeraspekt und dass man beim Zuschauen etwas lernen kann. Und zu guter Letzt funktioniert die Sendung zudem wie eine Sitcom: Du hast da ein Ensemble, dass du wiedersehen möchtest und das dir auch ein gutes Gefühl gibt.
Ist Köln noch immer Deutschlands Comedy-Hauptstadt?
Ja, aufgrund der Vielzahl der Spielstätten und der Kreativen im Raum Köln-Bonn. Zu letzteren zähle ich neben den Comedians und Kabarettisten auf der Bühne auch die Autoren der Texte, die hinter den Kulissen agieren.
Ist das Rheinland, das rheinische Wesen, prädestiniert für solche Menschen?
Auf jeden Fall helfen hier die Offenheit, die Fröhlichkeit und nicht zuletzt der Karneval. Nehmen Sie Guido Cantz: Der ist von der Bütt aus im Fernsehen gelandet.
Sie kennen fast alle dieser berühmten deutschen Comedians. Sind die privat lustig?
Nein, keiner. (lacht) Es gibt nichts Schwierigeres, als lustig zu sein. Der Erfolg ist zugleich ein Fluch, wer mit Comedy berühmt wird, steckt in einem Zwiespalt zwischen seiner privaten und der Bühnenfigur. Nach meiner Beobachtung sind viele Comedians komplexe und oft unglücklich Menschen, einige haben Depressionen. Kurt Krömer hat seine Probleme ja zuletzt öffentlich gemacht.
Der klassische Zirkusclown hat auch nie gelacht.
Nein, er ist tatsächlich eine traurige Figur. Nicht umsonst steht der Clown im amerikanischen Kino inzwischen auch für Grusel und Horror. Shakespeare hat sinngemäß ja gesagt: Die wahre Komödie ist eine Tragödie. Lustig sein ist also gewissermaßen die Königsdisziplin der Unterhaltung.
Sie gelten als Comic-Fan: Rantanplan oder Idefix?
Idefix, weil er frecher ist. Ich mag diesen kleinen weißen Wuselhund.
Dagobert oder Donald Duck?
Donald. Weil er in jedes Fettnäpfchen tritt.
Wicky oder Biene Maja?
Biene Maja. Jemand hat mal zu mir gesagt, ich sähe aus wie Majas Freund Willi mit Brille. Ich mag auch bis heute das Titellied von Karel Gott.
Sie haben viele Erfolgssendungen in die Welt gebracht. Was ist mal richtig schiefgegangen?
1994 hatte ich einen echten Skandal an der Backe. In der Late Night-Talkshow „Nachts“ mit Britta von Lojewski wurde der damalige Bundestagsvizepräsident als Puffgänger mit unverschämtem Benehmen geoutet. Ich war zwar nur administrativ an der Sendung beteiligt, aber am Tag danach war ich arbeitslos.
Aber das Ziel, Aufmerksamkeit zu erregen, war doch übererfüllt worden.
Die Nachtsendung präsentierte Puffmütter, Sextouristen oder auch Söldner und war eigentlich sehr erfolgreich. Aber damals galt noch der Deal, das Privatleben von Politikern nicht öffentlich anzutasten. RTL-Chef Thoma meinte danach zu mir: Die Wolken werden sich irgendwann verziehen, aber jetzt geh erstmal einen trinken.
Haben Sie Sendungen produziert, für die Sie sich heute schämen?
Nein! Würde ich alles heute so wiedermachen.
„Adam sucht Eva“?
Habe ich überhaupt kein Problem mit. Das ist eben eine Show mit Nackten. Für „Schwiegertochter gesucht“ musste ich mich sogar vor der Landesmedienanstalt rechtfertigen (das Neo Magazin Royale von Jan Böhmermann hatte 2016 einen Kandidaten in die Sendung eingeschleust, B.I.), aber letztlich kam es zu keinem Verfahren. Wir haben große Redaktionen, alle unsere Kandidaten bekommen ein solides Back-up. Man kann darüber diskutieren, ob solche Sendungen sein müssen. Aber ich stehe dazu!
Wo positionieren Sie bei Warner die Moral gegenüber dem Profitdenken?
Die Moral steht eindeutig auf Platz 1. Ich habe schon Konzepte abgelehnt, mit denen wir Geld hätten machen können. Schließlich möchte ich hier jeden Tag gern hinkommen, Spaß an der Arbeit und möglichst glückliche Mitarbeiter haben.
Es gibt kein Rezept für erfolgreiche Formate. Aber was muss das Rezept auf jeden Fall enthalten?
Authentizität, Spannung und Überraschung. Man muss glaubwürdig sein, die Leute bei der Stange halten und am Ende nochmal einen draufsetzen. Das wäre das Ideal, ein Element bleibt allerdings oft auf der Strecke.
Wie viele Stunden verbringen Sie durchschnittlich vor TV-Bildschirmen und Leinwänden?
Boah. Drei Stunden am Tag sind das Minimum.
Sie haben schon eckige Brillengläser.
Genau. Und große!
Was bedeutet Ihnen das Motorradfahren?
Dass mich keiner anrufen kann. (lacht) Ich habe kein Headset unterm Helm, höre nur den Wind und den Motor und bin komplett fokussiert auf das Motorradfahren an sich.
Wie lange wird es das lineare Fernsehen noch geben?
Immer, genau wie das lineare Radio. Der Zuschauer will eine Orientierung für den Tag. Im linearen TV weißt du immer, wie spät es ist.
2016 sagten Sie in einem Interview, angesagt sei vor allem Feelgood-TV. Gilt das noch?
Heute mehr denn je. Man muss sich ja nur den Wahnsinn in den Nachrichten ansehen. Dystopien sind auch erfolgreich, aber noch wichtiger ist es , den Menschen ein gutes Gefühl zu vermitteln.
Sie bezeichnen sich als Serien-Nerd. Was können Sie derzeit empfehlen?
Ich bin ein großer Fan von „Das Angebot“ auf Paramount+, eine fiktionale Serie, die die Entstehungsgeschichte des „Paten“ von Francis Ford Coppola erzählt. Sehr gut ist die „Totenfrau“, eine ORF-Serie für Netflix. Und als SciFi-Fan mag ich die Neuauflage von „Star Trek“.
Welches Format Ihrer Kindheit sollte neu zum Leben erweckt werden?
Unbedingt „Klimbim“, die erste politisch völlig unkorrekte Sendung im Öffentlich-Rechtlichen. Und auch „Ekel Alfred“ („Ein Herz und eine Seele“, B.I.), den Wolfgang Menge von einer englische Serie aufs Deutsche zugeschnitten hat. Was Heinz Schubert da als Alfred Tetzlaff an unglaublichen Sprüchen rausgehauen hat – einfach wunderbar.