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Gewalt in Kölner Arztpraxen„Der Ton wird spürbar rauer“ – Kölner Mediziner erzählen

Lesezeit 3 Minuten
Viele Patienten sitzen in einem Wartezimmer einer Arztpraxis

Volle Praxen und lange Wartezeiten führen oft zu Frust bei Patienten.

Auch Kölner Mediziner beklagen verbale Ausbrüche von Patientinnen und Patienten in Arztpraxen und im kassenärztlichen Notdienst.

Es wundert nicht, dass am Empfang so mancher Arztpraxis ein Aufkleber mit der Aufschrift „Ab hier bitte lächeln“ klebt. „Der Ton ist spürbar rauer geworden. Es gibt Patientinnen und Patienten, die kommen schon vollkommen geladen in die Praxis“, sagt Jan Schirmer, Vorsitzender der Kölner Kreisstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO). Leidtragende seien nicht nur die Mediziner, sondern alle Praxismitarbeitenden.

Der Chef der Bundesvereinigung der Kassenärzte, Andreas Gassen, hatte deshalb in der vergangenen Woche gefordert, eine geplante Strafrechtsverschärfung auf Arztpraxen auszuweiten. Die hiesige Ärzteschaft fordere schon seit langem von Staat und Justiz, so die KVNO, künftig noch entschlossener rechtlich gegen Personen vorzugehen, die Ärztinnen und Ärzte oder ihre Teams diffamieren oder gar persönlich angreifen.

Verbale Ausfälle im ärztlichen Bereitschaftsdienst

Aussagekräftige Zahlen liegen zwar nicht vor, grundsätzlich sei das Thema Gewalt in Praxen aber ein seit langem tendenziell wachsendes Problem in der medizinischen Versorgung, sagt die KVNO. Insbesondere in Kliniken, wo zunehmend Security-Personal zum Alltag in den Ambulanzen gehört, gebe es verbale Ausfälle gegen medizinisches Personal, aber auch im ärztlichen Bereitschaftsdienst. Deutlich ausgeprägt sei dies während der Corona-Pandemie und der seinerzeitigen Impf-Priorisierung gewesen. Hier sei impfendes Personal teils angegangen und unter Druck gesetzt worden.

Verfügbarkeit rund um die Uhr erwartet

Zu Jan Schirmers Aufgaben als Vorsitzender gehört auch die Bearbeitung von Beschwerden von Kölner Patientinnen und Patienten. „Die meisten entstehen durch Termindruck. In den Praxen wird es immer voller, die Ärzte haben weniger Zeit und dann eskaliert die Situation“, beschreibt Schirmer einen der Gründe, warum es zu Gewalt in Arztpraxen komme. In der Kölner Kreisstelle habe er im vergangenen Jahr zwar keinen Fall von körperlicher Gewalt erlebt, aber verbale Ausbrüche seien an der Tagesordnung. „Ich habe auch schon mitbekommen, dass mit Gegenständen geschmissen oder Türen demoliert wurden“, berichtet Schirmer, selbst Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie.

Besonders extrem sei die Situation im kinderärztlichen Notdienst. „Zur Erkältungszeit kann es dort sehr voll werden, manchmal kommen pro Dienst 100 Patientinnen und Patienten“, so Schirmer. „Vor der Tür wartet dann eine große Gruppe auf Einlass, das löst viel Frust aus.“ Zur Sicherheit wurden an der kinderärztlichen Notdienstpraxis am Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße bereits Videokameras installiert. „Die Erwartungshaltung von Patientinnen und Patienten ist gestiegen“, sagt Schirmer. „Ich nenne es auch das ‚Amazon-Prime-Phänomen‘. Weil digital vieles rund um die Uhr verfügbar ist, übertragen viele Menschen das auch auf ärztliche Behandlungen. Aber so funktioniert unsere Arbeit nicht.“

Workshops für Praxismitarbeitende

„Die meisten Patienten sind freundlich und auch verständnisvoll, wenn es einmal länger dauert. Viele Patienten kommen ja regelmäßig und teilweise langjährig in die Hausarztpraxis und da herrscht ein vertrauensvolles Miteinander zwischen Patient und Praxisteam“, sagt Monika Baaken, Sprecherin des Hausärztinnen- und Hausärzteverband Nordrhein auf Nachfrage. Doch auch sie räumt ein: „Es gibt aber zunehmend Menschen, die einen rauhen Ton anschlagen und versuchen, sich vorzudrängeln, zum Beispiel weil sie ‚nur‘ ein Rezept haben wollen. Besonders die Medizinischen Fachangestellten werden häufiger verbal attackiert. An der Rezeption genauso wie am Telefon.“ Dass Patienten laut Türen knallen, pampig werden oder wütend den Hörer auflegen, erlebten Praxen jeden Tag. Oft lasse sich der Frust der Patienten aber im Gespräch klären, denn ihnen sei oft nicht bewusst, dass hinter einer längeren Wartezeit zum Beispiel ein Notfall stecke.

Vieles an Frust und Ärger könne man durch den guten Zusammenhalt im Team auffangen, so der Verband der Hausärztinnen und Hausärzte. Aber jeder Praxismitarbeitende brauche auch ein persönliches Schutzschild. Deshalb werden seit einigen Jahren regelmäßig Fortbildungen zu Patientenkommunikation oder Konfliktmanagement angeboten - das Interesse an ihnen ist groß.