Freunde seit 33 JahrenTierpfleger verschiebt seine Rente für Brüllaffe Chico
Köln – Der Mensch und der alte Affe scheinen nichts um sich herum sehen. Sie blicken sich in die Augen, während Thomas Schmiedeberg dem 34-jährigen Chico sanft und kundig den Rücken massiert. Der Affe ist dünn, seine Hüftknochen stehen hervor. Er legt sich ganz flach auf sein Podest, vertrauensvoll, schließt halb die Augen und genießt.
„Du kannst noch nicht gehen.“ Manchmal sind es andere, die dem Leben eine Wende geben: Im Oktober hatte Schmiedeberg seinen letzten Tag im Zoo. Doch seine Kollegin Susanne Schmitz wollte sich damit nicht abfinden. Und hat mit ihrer Bemerkung gleich zwei glücklich gemacht: Den langjährigen Affenpfleger. Und Chico, den Roten Brüllaffen. Die beiden sind seit 33 Jahren miteinander verbunden. Für Chico war es Liebe auf den ersten Blick.
Schmiedeberg sorgte sich, dass Chico ihn zu sehr vermisst
Und für Thomas Schmiedeberg? „Ich hab ihm versprochen, erst zu gehen, wenn er tot ist.“ Ein Jahr hat 66-Jährige deshalb verlängert, doch bei seinem Abschied Ende Oktober ist Chico noch so munter, wie man es mit umgerechnet 100 Menschenjahren nur sein kann. Als sein Ruhestand naht, macht sich Schmiedeberg nächtelang große Sorgen. „Darüber, dass Chico mich so sehr vermisst, dass er seinen Lebensmut verliert.“ Flapsig haben er zu seiner Kollegin „dann bleibe ich halt noch“ gesagt, erzählt er glücklich, während er Chico mit Bananenhappen füttert. „Sie ist dann zum Zoochef, und der war sofort einverstanden. Jetzt arbeite ich zweimal pro Woche.“
Doch von Anfang an: Ein halbes Jahrhundert – so lange ist Thomas Schmiedeberg Tierpfleger, gelernt hat er im Zoo in Leipzig. „Da hab ich alles gemacht. Tiger, Schlangen, Eisbären, Menschenaffen.“ 1984 kam er aus der damaligen DDR nach Hamburg, im Zuge einer Familienzusammenführung. Einige Jahre später nahm der Kölner Zoo mit ihm Kontakt auf. Man suchte einen Pfleger für die Affen im Madagaskarhaus.
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Ungefähr zur gleichen Zeit machte sich auch ein junger Roter Brüllaffe auf den Weg. Noch nicht ein Jahr alt, war er in Teneriffa beschlagnahmt worden. Ein Strandfotograf hatte den in Südamerika vom Aussterben bedrohten Affen für Fotos mit Touristen zur Schau gestellt. Der Teneriffa-Zoo wollte das Jungtier nicht einzeln halten, und in Köln gab’s ein Pärchen.
Für das sollte der neue Pfleger aus Hamburg die Verantwortung übernehmen. „Chico hat sich mich sofort als Kumpel ausgesucht“, erinnert sich Schmiedeberg an die ersten Begegnungen. „Ich habe im Obst durch das Gitter zugesteckt. Er ist immer direkt auf mich zugelaufen oder mit mir mit.“ Die Verbindung ist eng, doch erst mit dem Umzug ins neue Südamerikahaus dürfen die Pfleger die Gehege auch betreten. Und da wird deutlich, wie tief das Vertrauensverhältnis der beiden ist. Schmiedeberg darf Chico berühren und streicheln. Das gestattet der kräftige Brüllaffe sonst keinem. Mit zunehmendem Alter werden die Streicheleinheiten ausgiebiger. „Sie tun ihm gut gegen die Alterwehwehchen“, weiß Schmiedeberg. Oft läuft Chico zu „seinem“ Brett ganz nah an der Scheibe und fordert die Massage ein.
Ein Affe mit Großfamilie: Chico ist 15-facher Vater
Den Balanceakt zwischen Kontakt zum Menschen und einem artgerechten Leben haben die beiden gut hinbekommen. Chico hat mehr als 15 Nachkommen gezeugt, er ist bis heute als Oberhaupt der Gruppe akzeptiert. Deren Chef ist dann aber doch Schmiedeberg. Und der hat seinen Affenhorde mit Milde, Sachverstand und großer Zuneigung erzogen. Kopfüber am Gitter hängend, wartete der imposanteste Brüllaffe ruhig ab, bis er sein Bananenstückchen bekommt. „Wir sind gelassen. Dann sind die Tiere das auch“, sagt er. „Affenpfleger zu werden, das ist das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte.“