In der Rockmusik, mit der ich groß geworden bin, gab es praktisch keine Frauen. Das war ein einziges Macho-Business, was mir damals aber nicht auffiel. Erst in der Rückschau sieht man, wie konservativ Rock im Grunde war: ein großer Sandkasten für dauerpubertierende Jungs. Das ganze Gitarren-Gepose, die fliegenden Mähnen, das war reinstes Balzverhalten.
Wer waren Ihre Helden?
Natürlich Led Zeppelin und Black Sabbath. Ich hatte aber Glück: Im Gymnasium Kreuzgasse, da war ich zehn oder zwölf, gab es einen tollen Musiklehrer, der uns Strawinsky und Ligeti vorspielte. Ich liebte diese Musik! Eines Tages brachte er einen Song eines Typen mit orangefarbenen Haaren mit. ,Das ist die Zukunft der Popmusik’, erklärte er uns. Es war David Bowie mit Space Oddity.
Frank Schätzing
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Bowie hat mit den Geschlechtern gespielt, er gab sich gerne androgyn.
Ja, das war schon sehr anders. Er wechselte ständig die Identität. Das half mir durch die Pubertät. Ich wusste nicht, wer ich war, sein wollte, was ich werden wollte, aber es wurde erwartet, dass man sich früh festlegte. Bowie sagte: Sei einfach alle. Vielleicht haben mich Musikerinnen auch deswegen fasziniert, weil sie mir wandelbarer erschienen als die Männer mit ihrem breitbeinigen ,Hier geht“s lang’. Anfang der 70er kam Suzi Quatro. Frauen waren damals Backgroundsängerinnen oder blumenbekränztes Beiwerk der Protestszene, die zur Laute Lieder sangen. Eine Frontfrau mit Bassgitarre, so was gab es nicht. Suzie war revolutionär. Sie war der Zeit voraus.
Was interessiert Sie in der Musik?
Ich mochte immer schon Brüche, Stücke, bei denen man nicht weiß, wie sie enden, die genreübergreifend funktionieren. Das Spezielle solcher Musik zeigte sich oft in der Besetzung. Fast logisch, dass eine Band wie die Talking Heads eine Bassistin hatte. Oder Gail Ann Dorsey, Bowies Bassistin – legendär! Bei Prince trommelte Sheila E.. Der Witz war, dass sich Männer auf der Bühne anders benahmen, sobald eine Frau dabei war. Genau wie im Büro (lacht). Tatsächlich hatten es Frauen lange sehr schwer. Björk musste unentwegt richtigstellen, dass sie ihre komplexen Sounds selbst ausgetüftelt hat, und dann wurde es doch wieder ihren männlichen Co-Produzenten zugeschrieben.
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Zur Person
Frank Schätzing (64) ist einer der meistgelesenen deutschen Autoren. Der frühere Chef einer Werbeagentur wurde bekannt mit dem Mittelalter-Roman „Tod und Teufel“, es folgte 2004 der Bestseller „Der Schwarm“. Aktuell wird der Ozean-Thriller verfilmt. In Deutschland soll der Achtteiler nächstes Jahr im ZDF zu sehen sein. Zuletzt hat Schätzing das Klimabuch „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“ veröffentlicht.
Der Autor ist Musikliebhaber, bastelt im Keller an Tonspuren und spielt Gitarre, vor zwei Jahren hat er seine erste CD veröffentlicht: „Taxi Galaxi“. Der gebürtige Kölner lebt seit zwei Jahrzehnten in der Südstadt. Für die Rundschau-Leser hat er drei Anspieltipps:
1 St. Vincent. „Das Album Daddy’s Home ist schön ironisch, Seventies-Bezüge und Musik für morgen. Neben Billie Eilish für mich ganz vorne.“
2 Nadine Shah. „Britin mit norwegisch-pakistanischen Wurzeln und tiefer Stimme, ungewöhnlich. Einflüsse von Weltmusik, Indie, Elektro, Post-Grunge, groovy und cool.“
3 Chai. „Wirklich lustig. Vier junge Frauen aus Japan, schrill, bunt, aber nicht von alten Männern gecastet. Die spielen und schreiben alles selbst. Tipp auf Youtube: N.E.O.“
Die Serie
Jeden Samstag plaudern auch in diesem Sommer Promis im „anderen Gespräch“ über ihr Lieblingsthema.
Querbeat-Sänger Jojo Berger hat sich Zeit genommen wie Kämmerin Dörte Diemert, die über ihr Hobby, das Segeln, berichtet.
Mit dem Geschäftsführer von Viktoria Köln, Andreas Rettig, haben wir uns über Führung unterhalten. Mit dabei sind DGB-Chef Witich Roßmann (Tennis), der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Rolf Mützenich, der vom Radfahren erzählt sowie Dompropst Guido Assmann. Sein Thema ist der Schwarzwald.
Und heute? Was verändert sich da gerade?
Ich empfinde es so, dass der Feminismus in eine neue Phase tritt. Es geht mehr denn je um Autonomie, aber auch darum, genderfluid, lustbetont und sexy zu sein. Nicht, um Männern zu gefallen, sondern weil diese Frauen sagen: Das bin ich. So will ich sein. Diese Haltung spiegelt sich in der Musik. Schon länger geht musikalische Innovation eher von Frauen aus. Die Saat haben Kate Bush und Björk gelegt, jetzt sind es Janelle Monae, FKA Twigs, Beyoncé, und es werden mehr, es wird immer diverser.
Woran liegt das?
Vielleicht haben Frauen eine universellere Sicht auf die Dinge? Aber da droht Klischee-Alarm. Prog und Artrock wurden von Männern auf den Weg gebracht, der Meister der Neuerfindung bleibt Bowie. Ich denke, es geht um Selbstbehauptung. Billie Eilish ist das perfekte Beispiel, sie lässt sich nicht reinreden, folgt keinen Regeln, sondern schafft ihre eigenen. Dazu gehört, das klassische Songschema zu sprengen. Eilishs Songs sind beispiellos intim, oft mit den Lippen direkt am Mikrofon gesungen, befreit von allem Produktionsbombast. Ich glaube, das mag ich am meisten an ihr: dass sie ihre Stärke aus der Reduktion bezieht und ganz auf sich selbst vertraut.
Was gefällt Ihnen noch?
Anna Calvi, grandiose Singer-Songwriterin und Gitarristin. St. Vincent alias Annie Clark, deren Debutalbum ich bei einem Bummel im Saturn am Hansaring entdeckt habe. Nie wurde ich von einem Cover so angestarrt. Die Musik unberechenbar, in alle Richtungen mäandernd, einzigartig. 2011 hatte ich Gelegenheit, ein Special mit ihr für das Kulturmagazin Aspekte zu drehen. Sehr spannende Person! Für mich ist sie durchaus Bowie vergleichbar, auch wegen ihrer perfekt inszenierten Rollenwechsel. Was bei ihr dazu kommt: Sie baut weibliche Netzwerke auf. Produzentinnen, Frauen am Mischpult, das ist die nächste Stufe.
Bei Billie Eilish reden nun trotzdem alle über das Vogue-Cover. Ein Problem?
Im Gegenteil, ich finde es großartig! Interessanterweise unterstellen ihr jetzt vor allem Geschlechtsgenossinnen, sie habe sich dem Druck der männerdominierten Plattenindustrie beugen müssen. Ganz schön armselig, eine junge Künstlerin als Ikone der Selbstbehauptung zu feiern und ihr die Selbstbehauptung abzusprechen, sobald sie etwas tut, das einem persönlich nicht in den Kram passt. Die Vogue war ihr Statement: Haut zeigen, in einer Corsage posieren – sie hatte einfach Lust darauf, so wie vorher auf Baggy Pants. Billie Eilish könnte sich in einen Sack hüllen, und jeder würde ihr neues Album produzieren wollen.
Und Madonna?
War nie so mein Ding, aber sie hat natürlich Türen aufgestoßen. Was ich immer toll fand: Sie konnte zwar nichts richtig gut, hat daraus aber ein einzigartiges Gesamtkunstwerk erschaffen. Nach ihr ist das nur Lady Gaga gelungen. Wobei die mehr kann.
Müssen Frauen noch in Strapse vor einem Männerballett tanzen, um Dominanz zu demonstrieren?
Die Frage ist, ob sie das wollen. Wenn ja: Warum nicht? Aber worauf Sie anspielen: Diese Bilder sind inzwischen tatsächlich abgenutzt. Heute wirkt das nicht mehr provokativ. Ich erlebe, dass Künstlerinnen zu neuen, zeitgemäßen Statements finden. Gut ist, dass wir uns insgesamt mehr aus Rollenbildern lösen. Das kommt übrigens auch den Männern zugute.
Aber die Konkurrenz ist größer geworden. Müssen sich die Männer hinten anstellen?
Nein, aber ihre Dominanz bröckelt. Sie müssen sich was einfallen lassen. Der Glam-Faktor liegt derzeit klar bei den Frauen. Eine männliche Diva wie Prince, Bowie, Freddie Mercury ist nicht in Sicht. Hingegen Lana del Rey! Inszeniert sich im Stil einer 50er-Jahre-Diva, als Monroe’sches Mysterium, aber voller ironischer Brüche und kluger Jetzt-Bezüge. Damit steht sie stellvertretend für die Künstlerinnen ihrer Generation. Sie spiegeln sich nicht länger in der Welt. Sie sind der Spiegel. Wer hineinschaut, sieht die Zukunft. Das verändert die weibliche Popmusik gerade fundamental. Darin steckt eine Kraft der Erneuerung, das ist nicht mehr aufzuhalten.