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Erdbeben in der TürkeiWie die türkische Community in Köln mitleidet und hilft

Lesezeit 5 Minuten
THW am Flughafen Köln-Bonn

Lange warten mussten die 50 Fachleute des THW bevor die Chartermaschine in der Südost-Türkei startete.

Viele Kölner haben Verwandte im Erdbebengebiet und versuchen derzeit dringend zu helfen. Die Anteilnahme in Köln ist groß. Viele können ihre Angehörigen im Erdbebengebiet gar nicht erst erreichen.

Plötzlich liegen sich die beiden Männer in den Armen: der Kölner Gastronom Ömer Aldag und der Einsatzleiter des Technischen Hilfswerks (THW), Jörg Eger. Eger wird in der Türkei die Rettungs- und Suchaktion leiten. Die Türkei hatte Deutschland um Unterstützung gebeten. Noch warten er und sein 50-köpfiges Team auf den Start der Chartermaschine. Aldag ist da, weil er das Team spontan mit Essen aus seinem Restaurant versorgt hat. „Jeder Mensch, den Sie retten, ist ein Gewinn. Sie alle sind Engel“, sagt Aldag bewegt.

07.02.2023; Erdbeben Türkei: Helfer rund Angehörige liegen sich am Flughafen in den Armen

Dankbar umarmt Ömer Aldag (l.) THW-Einsatzleiter Jörg Eger.

Seit der 45-jährige, der in Sanliurfa in der Südost-Türkei geboren wurde, vom schrecklichen Erdbeben erfahren hat, hat er kaum noch ein Auge zugemacht. „Ich möchte etwas tun“, bringt er das auf den Punkt, das momentan ganz besonders all jene Menschen bewegt, die Familie, Freunde und Wurzeln im Erdbebengebiet in der Türkei und Syrien haben.

Viele Kölner haben Verwandte im Erdbebengebiet

Der Vorsitzende des Integrationsrats Köln, Tayfun Keltek, schätzt, dass rund ein Drittel der in Köln lebenden Menschen türkischer Herkunft ihre Wurzeln in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten haben. „Dort leben rund ein Viertel aller Türken“, sagt auch Aldag immer wieder. Laut Statistischem Jahrbuch wohnten Ende 2021 in Köln rund 92000 Menschen mit einem türkischen Migrationshintergrund. Das entspricht fast einem Zehntel der Kölner Bevölkerung. Die Zahl der Syrer in Köln dürfte nach Schätzungen des Integrationsrats um die 11000 liegen.

Die Anteilnahme in Köln ist groß. Vor allem in Gebieten, wo − wie in der Keupstraße − sehr viele türkischstämmige Menschen wohnen, gibt es seit den frühen Morgenstunden am Montag kaum noch ein anderes Thema. „Plötzlich waren gegen 1.45 Uhr am Montagmorgen in meiner Facebook-Gruppe Videos von Leuten, die schreien und beten. Erst später kam die Nachricht vom Beben. Als ich 7,7 gehört habe, wusste ich, dass es sehr schlimm ist“, erinnert sich Ömer Aldag. Er betreibt das Restaurant Kilim in der Keupstraße. Viele seiner Freunde und Bekannte wohnen in der Gegend, in der das verheerende Erdbeben gewütet hat.

Viele Kölner erreichen ihre Angehörigen gar nicht

„Es ist schwierig, die Menschen zu erreichen. Die Telefone funktionieren oft nicht. Viele sind in Ungewissheit, und das ist schrecklich und sehr bedrückend“, sagt Meral Sahin, Vorsitzende der IG Keupstraße. Für sie, Aldag und die Nachbarn war klar: Sie wollen helfen. Etwas tun. „Zuerst habe ich Geld überwiesen. Das geht ja schnell und ist sicher mit das wichtigste“, sagt Aldag. Aber noch in der Nacht zu Dienstag unterstützte er tatkräftig. Für den ersten Suchtrupp der Hilfsorganisation I.S.A.R. (International Search and Rescue), der in der Nacht startete, brachte er Essen zum Flughafen. Türkische Pizza und Börek. Informiert hatte ihn eine Flughafenmitarbeiterin, der aufgefallen war, dass die Hilfskräfte ohne Essen waren.

Untätig zu sein, wenn Menschen verschüttet oder obdachlos sind, ist für viele unerträglich. „Ein Freund von mir hat einen Sprinter organisiert. Er fährt morgen mit einer Landung Hilfsgüter in die Türkei“, sagt Aldag. Zuerst sammelte er direkt neben seinem Restaurant Hilfsgüter.

Meral Sahin setzte alle Hebel in Bewegung, um ein besseres Spendenlager zu bekommen. Gegen Mittag war es am Dienstag gefunden (siehe Text am Seitenende). Über das Generalkonsulat erhielt sie eine Liste der Dinge, die am dringendsten benötigt werden.

Bevor die 50 Einsatzkräfte der Schnell-Einsatz-Einheit des Technischen Hilfswerks (THW) vom Flughafen Köln/Bonn in das Erdbebengebiet starteten, fuhren Sahin und Aldag zum Flughafen.   Wieder hatte der Gastronom Kästen voller türkischer Snacks dabei, damit sich die Menschen stärken konnten, während sie auf den Start ihrer Chartermaschine warteten.

„Das Essen ist eine sehr schöne Geste“, sagt Einsatzleiter Eger. „Im Moment liegt der Fokus auf dem Suchen und Retten von Menschen“, erklärt der 50-Jährige. Er geht davon aus, dass das Team bis zu zehn Tage vor Ort sein wird. Im Gepäck sind rund 18 Tonnen Material . „Darunter sind die Zelte und Ausrüstung für unser Camp sowie Brech-, Aufbruch- und Hebewerkzeuge“, sagt Eger, „Die Menschen, die in Hohlräumen sind, haben gute Chancen, sie können länger überleben.“

Ebenfalls an Bord der Maschine sind vier Kölner Mitarbeitende von Malteser International. „Wir werden ein Büro in Gaziantep einrichten und von dort aus gucken, was die Menschen, die alles verloren haben, brauchen“, sagt Sprecherin Katharina Kiecol. „Wir wollen auch schauen, ob es möglich ist, Hilfsgüter nach Syrien zu bringen“, fügt sie hinzu.

Es ist schwierig, die Menschen zu erreichen. Die Telefone funktionieren oft nicht. Viele sind in Ungewissheit und das ist schrecklich und sehr bedrückend.
Meral Sahin, IG Keupstraße

Drei Hundeführerinnen und einen Hundeführer mit ihren Suchhunden hat das THW dabei. Hundeführerin Eveline Küpper ist mit ihrer achtjährigen Malinois-Hünding Quaskya zum ersten Mal auf einem Auslandseinsatz. „Wir wollen nur noch los und Menschen suchen“, sagt die Hundeführerin aus Rheinland-Pfalz während die Einsatz-Einheit auf die Chartermaschine wartet. Sie hat viel geübt für einen solchen Einsatz. 95 Prozent der Kräfte beim THW sind Ehrenamtliche. Menschen, die auf die Schnelle noch organisiert haben, dass sie vom Job freinehmen und losfliegen können.

Doch das geht nicht so schnell wie geplant. Am Nachmittag erfahren die Verantwortlichen des THW, dass sich der Start der Maschine wegen Problemen bei der Chartergesellschaft verzögert. „Wir hoffen sehr, dass wir noch vor Mitternacht losfliegen“, sagt Nicolas Hefner, Landesbeauftragter des THW für Nordrhein-Westfalen im Gespräch mit der Rundschau. Für die Verschütteten im Erdbebengebiet läuft die Zeit.


Spenden und Hilfe

Gesammelt werden derzeit Sachspenden im leerstehenden Supermarkt der Moschee in der Keupstraße. Gebraucht werden unter anderem: warme Kleidung, Schlafsäcke, Decken, Kissen, Mäntel, Socken, Schuhe, Mützen, Schals. Handschuhe, Babywindeln, Hygieneartikel und Taschenlampen. „Wichtig ist, dass die Spenden gut sind“, betont Meral Sahin, Vorsitzende der IG Keupstraße.

Ein Spendenkonto hat auch der Deutsch-Türkische Verein Köln eingerichtet. Es hat den Verwendungszweck: „Spende Erdbeben Türkei“ und das Konto IBAN: DE1737 05019 80022 8820 21.

Oberbürgermeisterin Henriette Reker mailte an den Generalkonsul der Türkei und den Botschafter der Republik Syrien. Sie schrieb: „Über die schrecklichen Bilder, die uns aus der Türkei und Syrien erreichen, bin ich zutiefst erschüttert. Meine Gedanken als Oberbürgermeisterin und die der Kölnerinnen und Kölner sind bei den verletzten Menschen und den Angehörigen der Opfer in der Türkei/in Syrien und hier in Deutschland. Ich wünsche allen Menschen in den betroffenen Regionen, dass internationale Hilfe so schnell wie möglich geleistet wird und dort ankommt, wo sie am dringendsten gebraucht wird.“ (dha/fu)