Alleinerziehende Kölner Mutter über Corona„Unser altes Leben gibt es nicht mehr“

Schwierige Corona-Zeit: Lernen am Computer ist während der Pandemie mittlerweile Alltag. Foto: dpa
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- „Mein Jahr mit Corona“ – in der letzten Folge unserer Serie schildert eine Alleinerziehende, wie sie und ihre 13 Jahre alte Tochter die Monate der Pandemie erlebt haben.
- Die 37-Jährige möchte anonym bleiben.
Köln – „Corona, das kam über uns wie eine riesige Flutwelle. Unser Leben war gut organisiert. Meine Tochter kam gut klar auf dem Gymnasium, machte ihre Hausaufgaben in der Nachmittagsbetreuung. Ab 16 Uhr war Familienzeit. Aber dann war plötzlich alles ganz anders. Unser altes Leben gibt es nicht mehr.“
Inés M . erinnert sich noch gut an den Beginn der Pandemie, damals im März. Sie hatte gerade ihr schon fast beendetes Wirtschaftsrecht-Studium wieder aufgenommen. Ein Jahr hatte die alleinerziehende Mutter pausiert, sich in ihre neue Stelle als Sekretärin eingearbeitet, mit der sie das Auskommen für sich und ihre Tochter sichert. Zum Jahresbeginn war sie in Teilzeit gewechselt, hatte ihre Bachelorarbeit geplant. „Die wollte ich ab Januar 2021 schreiben. Ein Thema hatte ich auch schon“, sagt sie. Wenn sie erzählt, klingen Staunen und Ungläubigkeit mit, noch immer, nach all den Monaten. Darüber, wie schnell ihr Leben sich geändert hat. Und wie wenig sie dagegen tun konnte. „Dabei ist meine Lebenshaltung: Man kann immer etwas tun. Es gibt immer einen Weg.“
Sehr viele Aufgaben kamen von der Schule
Es gab Vorzeichen, Klassenmails. Man müsse sich in der kommenden Woche auf Veränderungen einstellen. Dann war die Schule zu. Aurelia sollte zu Hause lernen. „Das kannte sie nicht“, erinnert sich Inés M. „Und sie konnte es auch nicht gut.“ Vonseiten der Schule seien viele Aufgaben und Anweisungen gekommen. Sehr viele. Aber das Abarbeiten der Aufgaben klappte nicht. „Aurelia hatte Fragen, aber keinen Ansprechpartner. Also kam sie nicht weiter.“ Zunächst habe man versucht, abends alles gemeinsam aufzuarbeiten. Aber das sei nach acht Stunden Arbeit sehr aufreibend gewesen. „Und für meine Tochter auch sehr frustrierend. Sie war ja den ganzen Tag zu Hause, konnte aber nur einen Teil der Aufgaben erledigen. Und das, obwohl sie eine gute Schülerin ist.“
Alleinerziehende
22,9 Prozent aller Kölner Haushalte mit minderjährigen Kindern werden im Jahr 2017 von einem Elternteil geführt; es gibt 23 764 Alleinerziehenden-Familien in Köln. 2019 gibt es bundesweit 2,6 Millionen Alleinerziehenden-Haushalte (22,6 Prozent aller Familien).
Erwerbstätig waren bundesweit fast 700 000 Alleinerziehende mit Kindern unter 13 Jahren; 90 Prozent davon sind Frauen. (Stand: 2018)
Armutsgefährdet sind 33 Prozent aller Alleinerziehendenhaushalte bundesweit (Bevölkerungsdurchschnitt: 16 Prozent). Darüber hinaus hatten knapp zwei Drittel der Alleinerziehenden-Haushalte (63 Prozent) nicht die Mittel, unerwartete Ausgaben von knapp 1000 Euro zu bestreiten (Durchschnitt: 30 Prozent/ Stand 2016). (Quelle: Stat. Bundesamt)
Hilfe bietet der Verband allein erziehender Mütter und Väter (VAMV). Auf dessen Internetseite gibt es etwa Infos zur Lohnfortzahlung bei Quarantäne des Kindes. Die Corona-Krisen-Hotline ist unter 0201/ 82774-799 von 9 bis 14 Uhr erreichbar. Wer auf den AB spricht, wird zurückgerufen. (bos)
Dazu kam, dass die Plattformen, auf denen Digitalunterricht erteilt wurde, immer wieder zusammenbrachen, technische Anweisungen zu kompliziert waren. „Meine Tochter hat mich oft auf der Arbeit angerufen, meistens konnte ich ihr per Telefon gar nicht helfen. Und auch meine Arbeit als Sekretärin war coronabedingt sehr stressig, wir mussten alles komplett umorganisieren.“ An ihren beiden freien Tagen musste Inés M. für die Uni recherchieren – eigentlich. „Aber wir hatten nur ein Notebook. Und kein Geld für ein zweites.“
„Dann stand ich vor der Entscheidung: Schließe ich mein Studium ab oder helfe ich meiner Tochter nachmittags und abends, in der Schule mitzukommen“, erinnert sich Inés M. „Ich habe mich für meine Tochter entschieden.“ Besonders bitter war für sie, dass das geplante Thema ihrer Bachelorarbeit jetzt jemand anderes bearbeitet. An drei Tagen in der Woche war die 13-Jährige weiter völlig auf sich gestellt. „Ich hatte ein sehr schlechtes Gefühl dabei. Ich wusste, dass sie im Internet unterwegs ist, und hab’ gespürt, dass da etwas nicht stimmt.“ Kurzerhand nimmt sie ihre Tochter mit zur Arbeit. Der Arbeitgeber hatte zugestimmt. „Das war zwar anstrengend, aber so konnte ich ihr wenigstens bei Fragen helfen.“ Erst sechs Wochen nach dem Lockdown habe es von der Landesregierung das Angebot einer Notbetreuung auch für Kinder von Alleinerziehenden gegeben – kurz vor den Osterferien. „Wir wurden einfach komplett übersehen“, sagt Ines M.. „Und werden es noch. Der Einmalzuschuss von 300 Euro hat gerade für Druckerpatronen und die laufenden Studiengebühren gereicht. Ein Tablet haben wir zum Glück vor kurzem geschenkt bekommen; das geht lange nicht jedem so.“
Soziale Kontakte fehlen sehr
Dazu kam, dass Mutter und Tochter von heute auf morgen allein zu Haus waren in ihrer Zweizimmerwohnung. „Soziale Kontakte, Treffen mit Freundinnen. Das fehlte meiner Tochter unglaublich“, erzählt die 37-Jährige. Und auch für die alleinerziehende Mutter gibt es keinen Gegenpol mehr zu Arbeit, Haushalt und Begleitung ihrer Tochter. „Ich hatte bis dahin regelmäßig Fitness-Kurse gegeben, als Ausgleich. Danach habe ich mich immer einfach nur gut gefühlt. Und wir hatten jeden Monat 300 Euro mehr in der Familienkasse.“ Geld, das im Sommer fehlt. „Ein Urlaub war deshalb in diesem Jahr nicht drin“, bedauert sie. Stattdessen Ferien in Köln, so gut es eben geht. „Ins Schwimmbad konnte man da nur mit Voranmeldung.“
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Und noch etwas vermisse ihre Tochter sehr: Den Tag bei den Großeltern, alle zwei Wochen. „Der war immer so schön und liebevoll gestaltet, wie man sich das nur denken kann.“ Viel Sorgloses sei weggefallen, das kurze Lockerlassen im Sommer sei schon wieder vorbei.
Jetzt ist wieder Lockdown, und es werde immer schwerer, mit der Ungewissheit umzugehen, wie lange das noch so bleibt. Der Redebedarf ihrer Tochter sei sehr groß, Freunde und persönliche Freiräume fehlen beiden sehr. Und auch die finanziellen Reserven sind aufgebraucht, bei nur einem Verdienst macht das ernste Sorgen. So wie der erneut verlängerte Lockdown. „Meine Tochter will einfach nur wieder in die Schule“, sagt Inés M.. Ich halte das so nicht mehr aus, habe sie vor kurzem gesagt. „Sie ist 13 Jahre alt und will endlich ihr altes Leben zurück.“