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KindererziehungZuviel Lob schadet Kindern eher

Lesezeit 6 Minuten

Anerkennung ist immer auch Bewertung. Wenn wir unsere Kinder ständig bewerten, macht das im schlimmsten Fall abhängig von unserem Wohlwollen. (Foto: Thinkstock)

Typische Szene auf einem deutschen Spielplatz. Ben (3) erklimmt die Stufen des großen Holzschiffes, klettert hinauf bis ganz nach oben, stellt sich an den Rand, winkt begeistert hinunter und ruft: "Mama, guck mal!" Diese erwidert: "Super, mein Schatz! Ganz toll hast du das gemacht." Eine Situation, wie sie auf tausenden Spielplätzen täglich vorkommt. Wo ist das Problem?

Anerkennung ist immer auch Bewertung. Und wenn wir unsere Kinder ständig, auch für Kleinigkeiten, bewerten, macht das etwas mit ihnen. Im schlimmsten Fall macht es sie auf Dauer abhängig von unserem Wohlwollen, von der Süße des Lobes. "In der Spielplatzsituation liegt ein Missverständnis vor", sagt Uta Allgaier, Elterntrainerin aus Hamburg, und bezieht sich dabei auf den dänischen Familientherapeuten Jesper Juul. "Kleinkinder wollen nicht bewertet werden, wenn sie sich den Eltern bemerkbar machen. Sie kommen gar nicht auf die Idee, dass das Heraufklettern auf ein Gerüst eine Leistung sein könnte."

Danken ist ebenbürtiger

Wenn Sie "Guck mal!" rufen, wollen sie nur in ihrer Existenz bestätigt werden. Sie möchten in Kontakt treten und gesehen werden in ihrem Tun.

"Mit unserer Bewertung bringen wir das Kind erst auf die Idee, es könnte beim Klettern etwas falsch oder schlecht machen."

Uta Allgaier: "Doch! Erziehen kann leicht sein. Hilfreiche Geschichten und Tipps aus der Familie einer Eltern-trainerin", Verlag Ellert und Richter, 14,95 Euro.

Übermäßiges Lob von Eltern ist nichts anderes als "Kontrolle mit Zuckerguss", fasst es Rheta DeVriess, Pädagogikprofessor an der Universität Iowa, zusammen. Natürlich gibt es Schlimmeres, als seinem Kind im Alltag ständig Nettigkeiten zu sagen. Trotzdem ist übermäßiges Lob tückisch. Kinder müssen das Gefühl für sich selbst erst nach und nach entwickeln. Wenn Eltern sie im Alltag immer wieder durch Komplimente steuern und zu positivem Verhalten bewegen möchten, verlieren Kinder auf Dauer das Gespür für sich selbst und ihre eigenen Gefühle. Ihnen wird suggeriert, ihrer eigenen Einschätzung zu misstrauen und sich immer rückversichern zu müssen. Die Frage: "War das jetzt gut?" und der ständige fragende Blick zu anderen kann dann ihr Verhalten dominieren.

Kein Lob nach dem Gießkannenprinzip

"Das alles sollte uns Eltern nicht dazu verleiten, jetzt Angst zu haben vor dem, was wir sagen. Im Alltag rutscht uns eben ganz viel raus", sagt Uta Allgaier, die im Internet ihren Familienblog wer-ist-eigentlich-dran-mit-katzeklo.de betreibt. Aber dieses Loben nach dem Gießkannenprinzip habe sich bei vielen eingebürgert - obwohl das Selbstbewusstsein des Kindes dadurch gerade nicht gefördert werde. "Wir wollen doch, dass unsere Kinder innere Stärke entwickeln, dass sie unabhängig werden. Ihnen muss nicht ständig jemand applaudieren."

Wie geht es besser? Die Buchautorin findet: Mit dem schlichten Wort "danke". "Das passiert dann auf gleicher Ebene. Anderen Erwachsenen danken wir ja auch. Lob, vor allem für Kinder, kommt eher von oben herab. Danken ist ebenbürtiger, es macht den Beitrag klar, den der andere für mich geleistet hat."

Kleine Kinder helfen oft gerne im Haushalt, das muss man nicht großartig loben, sondern kann es mit einem herzlichen "Danke" quittieren, wenn die Tasse abgespült oder die Windel eigenhändig zum Mülleimer getragen wurde. Kinder brauchen auch keinen Fünf-Euro-Schein für eine Eins in der Schule. Bestärkender und erinnerungswürdiger sind feste Familienrituale, wie etwa der halbjährliche Besuch beim Lieblings-China-Restaurant, immer zum Zeugnistag. Auch wenn der Notenspiegel einmal nicht so ausgefallen ist wie erhofft.

Die Krux alles richtig machen zu wollen

Gerade pädagogisch bemühte Eltern wollten alles richtig machen und lobten oft ohne Unterlass, sagt Johanna Graf, Psychologin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Diese ständige Verzückung wirke aber künstlich und übertrieben. Und Kinder spüren so etwas deutlich. Wenn, dann sollte Lob aufrichtig und realistisch sein, beschreibend und differenziert. Besonders wichtig sind dabei Tonfall und Körpersprache. "Ich freue mich, dass mein Kind mir beim Ausräumen der Einkäufe hilft, ich freue mich über sein gemaltes Bild, das Kind bemerkt meine aufrichtige Freude, das ist eigentlich Anerkennung genug", findet Graf.

Wenn, dann sollte das Lob von Herzen kommen. Kein "Oh, wie schön hast du das gemalt!" von einer Erzieherin im Kindergarten, die im Stress zwischen Tür und Angel gar nicht richtig auf das Wasserfarben-Geklecksel geschaut hat. Echte Anerkennung braucht Zeit, Achtsamkeit und meist einen ruhigen Moment des Innehaltens. Uta Allgaier hat ihrer Tochter etwa vor einiger Zeit gesagt: "Ich finde es toll, dass du so flexibel bist." Wenn alle in der Familie bei einem Ausflug Currywurst essen wollen zum Beispiel, die 14-Jährige aber lieber ein Eis, dann lenkt sie oft von selbst ein und gibt sich auch mit einer Wurst zufrieden. "Das ist eine Wesensart, die man auch einmal ehrlich anerkennen kann." Auch ein Streicheln über den Kopf, eine spontane Umarmung zeigen Wertschätzung. Es müssen nicht immer die großen Worte sein.

Gift für jede gut gemeinte Form der Anerkennung sind Vergleiche. Klar ist man als Eltern neugierig, welche Note der beste Freund des Kindes in der Mathearbeit wohl hat. Aber was sagt das wirklich aus über das eigene Kind? Wenn Eltern ständig vergleichen, werden die Kinder auch in diese Spur gebracht, es steckt sie an.

"In der Pubertät vergleichen sich die Kinder eh andauernd und auch in der Schule wird ständig verglichen. Das sollte man als Eltern nicht noch befeuern, das macht es für die Kinder nur schwerer", so Allgaier. Wenn, dann sollte die Leistung des Kindes nur mit seiner eigenen verglichen werden, etwa: "Wow, in diesem Diktat hast du dich ja deutlich verbessert, zeig mal her."

Jeder hört gern etwas Nettes über sich selbst. Trotzdem wollen Kinder - genau so wie Erwachsene - keinen Dauerkommentator, keine ständig präsente Jury, die den Daumen hebt oder senkt wie bei der RTL-Sendung "Deutschland sucht den Superstar".

Bitte keine dauerpräsente Jury

Erziehen durch Loben mag in vielen Fällen gut gemeint sein, Eltern wollen ihr Kind durch Schmeicheleien in die richtige Richtung lenken. "Toll, wie du den Teller wegräumst, super, wie du dich allein angezogen hast." Die netten Worte zeigen - vor allem kurzfristig - häufig Wirkung, aber sie haben eben fast auch immer Nebenwirkungen. Weil die Kleinen, noch unbewusster als wir Erwachsener, ständig auf der Suche nach Wertschätzung sind.

"Kinder hungern nach Anerkennung. Wir tragen die Verantwortung dafür, diese Abhängigkeit nicht für unsere eigene Annehmlichkeit zu missbrauchen", findet Alfie Kohn, US-amerikanischer Erziehungsexperte. Ein "Gut gemacht!", um ein Verhalten zu verstärken, das unser Leben vielleicht ein kleines bisschen einfacher macht, sei ein Beispiel dafür, wie wir einen Nutzen ziehen aus der Abhängigkeit von Kindern, so seine Meinung. Kinder können sich auf diese Weise manipuliert fühlen. Auch wenn sie selbst vielleicht noch gar nicht genau erklären können, warum.