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Interview

Kevin Kühnert zu seiner Strategie
„Unsere Kampagne hat das Ausmaß an Zukunftssorgen unterschätzt“

Lesezeit 6 Minuten
„Wir müssen beides fließend sprechen: Zahlen und Gefühle“, sagt Kevin Kühnert. Bei der Europawahl habe seine SPD das nicht geschafft.

„Wir müssen beides fließend sprechen: Zahlen und Gefühle“, sagt Kevin Kühnert. Bei der Europawahl habe seine SPD das nicht geschafft.

SPD-Kampagnenchef Kevin Kühnert räumt im Interview Fehler bei der Europawahl ein und erklärt seine Neuausrichtung für die Bundestagswahl.

Die Europawahl war die erste, Kevin Kühnert als Kampagnenmanager der SPD verantwortete. Sie ging krachend verloren. Wie will er es bei der Bundestagswahl besser machen? Im Interview mit Lucas Wiegelmann erklärt Kühnert seine Strategie – und erhebt schwere Vorwürfe gegen Sahra Wagenknecht in Sachen Parteispenden.

Herr Kühnert, Sie sind vor wenigen Wochen 35 Jahre alt geworden. Wenn Sie zurückschauen auf Ihre bisherige politische Karriere: Welche Zwischenbilanz ziehen Sie?

Wenn man in der SPD 35 wird, ist es vor allem das Datum, an dem man offiziell das Juso-Alter verlässt. Wir nennen diesen Moment in der Partei etwas uncharmant „Bio-Klippe“. Ansonsten ist gerade nicht so ein guter Zeitpunkt, um zu bilanzieren. Die Amtszeit eines Generalsekretärs ist ja stark auf einen Bundestagswahl-Zyklus angelegt. Entscheidend für meine Bilanz wird der Herbst 2025, da will ich mit der SPD gewinnen.

Bei der ersten bundesweiten Wahl, die Sie als Generalsekretär gemanagt haben, der Europawahl, ging die SPD unter. Zweifeln Sie manchmal daran, ob Sie das, was Sie gerade tun sollen, überhaupt können?

Ich habe Politiker erlebt, für die Selbstkritik ein Fremdwort war. Das fand ich immer gruselig und bin selbst ein ganz anderer Typ. In der Demokratie ist jeder ersetzbar. Nach der Europawahl haben wir analysiert, wo und warum wir unsere Fehler gemacht haben. Dabei habe ich mich natürlich auch selbst hinterfragt, habe meinen Anteil am Ergebnis gewogen, Schlussfolgerungen gezogen. Aber ich bin kein Grübler. Ich habe ein klares Lagebild und werde die notwendigen Weichen für eine erfolgreiche Bundestagswahlkampagne meiner Partei stellen. Dabei arbeite ich auf der Vertrauensbasis von 92 Prozent der Delegiertenstimmen, die ich vor wenigen Monaten beim Parteitag erhalten habe.

Was haben Sie falsch gemacht?

Unsere Kampagne hat das Ausmaß an Zukunftssorgen unterschätzt. Ich halte das für das dominierende Gefühl dieser Tage. Die meisten Menschen haben eine überwiegend positive Bewertung ihres Hier und Jetzt: ihr Job, ihre Familie, die unmittelbare Nachbarschaft. Aber dieselben Leute haben einen sehr pessimistischen Blick auf die Zukunft und alles, was hinter der nächsten Straßenecke passiert. Das ist eine enorme Diskrepanz. Das Misstrauen beginnt dort, wo der eigene Einflussbereich endet. Insofern gilt das Misstrauen auch dem Funktionieren unseres Gemeinwesens.

Warum haben Sie das nicht gemerkt?

Es ist die tiefe Überzeugung der Sozialdemokratie, dass unser Leben maßgeblich von ökonomischen Grundlagen und somit durch Themen wie Lohn, Rente, Daseinsvorsorge bestimmt wird. Daran gibt es auch nichts zu rütteln. Aber ebenso wichtig wie ökonomische Sicherheit ist das Sicherheitsempfinden. Dieses wichtige Gefühl entsteht nicht allein durch steigenden Mindestlohn, Wohngeld, Kinderzuschlag und Energiepreisbremse. Wenn die SPD will, dass ihr Politikansatz besser verstanden wird, muss sie zweisprachig auftreten. Wir müssen beides fließend sprechen: Zahlen und Gefühle.

Bei den Landtagswahlen im Osten drohen der SPD erneut herbe Verluste. In Thüringen und Sachsen liegt nicht nur die AfD in Umfragen uneinholbar vor Ihnen, sondern auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das erst seit wenigen Monaten existiert. Diese Partei wirbt für das, was Sie auch versprechen, mehr Gerechtigkeit, sozialere Politik. Was macht Wagenknecht dabei so viel besser als Sie?

Im Fußball gibt es den schönen Satz: Geld allein schießt keine Tore. In der Politik kann man sagen: Geld allein gewinnt keine Wahlen, aber es hilft massiv beim Aufhängen Tausender Wahlplakate. Bei der SPD machen das unsere Mitglieder – ehrenamtlich. Wir lernen jetzt anhand des BSW: Wenn reiche Unternehmer die Schatulle öffnen, kann man fehlende Mitglieder einfach durch Dienstleister ersetzen und trotzdem ganze Landstriche zuplakatieren. Im laufenden Kalenderjahr 2024 hat das BSW mehr Großspenden entgegengenommen als alle anderen Parteien zusammen. Ohne dieses Geld könnte Sahra Wagenknecht keinerlei Wahlkampf in den ostdeutschen Bundesländern machen. Da stellt sich die Frage: Wer sind eigentlich die Leute, an deren finanziellem Tropf das BSW hängt? Welche Erwartung haben sie an die Politik des BSW in Parlamenten und vielleicht gar in Regierungen?

Direkte Spenden ab 35000 Euro hat das BSW dem Bundestag gemeldet – wie vorgeschrieben. Zusätzlich bekommt es Geld von einem Förderverein, der selbst nicht offenlegen muss, wer seine Spender sind. Das mag intransparent sein, ist aber wohl legal.

Ich hinterfrage nicht die Legalität, sondern die Legitimität. Eine Partei, in der nur Mitglied werden kann, wer von der Namensgeberin persönlich ausgewählt wurde – das ist doch wirklich unseriös. Das BSW in seiner heutigen Form ist ein Retortenprodukt ohne Mitgliederbasis, dafür mit wenigen Finanziers. Im Sinne der Glaubwürdigkeit ist es an der Zeit, dass Sahra Wagenknecht das Versprechen abgibt, ihre Bundestagswahlkampagne transparent zu finanzieren und keine weiteren Millionenspenden anzunehmen.

Braucht es neue Regeln für die Parteienfinanzierung?

Ich sehe hier eine Lücke, die diskutiert werden muss. Man kann in Deutschland eine Partei praktisch ohne Mitgliedsbeiträge, dafür aber mit einigen Millionenspenden hochzüchten. Das ist das derzeitige Modell des BSW. Und andere könnten das auch. Herr Erdogan hat ja mittlerweile einen AKP-nahen Ableger in Deutschland auf dem Parteienmarkt. Und anders als in den USA braucht man hier keine Milliarden, um eine konkurrenzfähige Wahlkampagne auf die Beine zu stellen. Wenn die Despoten dieser Welt verstehen, dass man sich im größten EU-Mitgliedsstaat mit ein paar Millionen eine Pappmaché-Partei aufbauen kann, dann steht uns eine Entwicklung bevor, die unsere liberale Demokratie sehr unter Druck setzen kann. Noch können wir Vorsorge treffen.

Welche Machtperspektive bleibt Ihnen bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr?

Vor 30 Jahren hat man verkündet, mit wem man regieren will. Vor zehn Jahren dann, mit wem man nicht regieren will. Heute schließen die klügeren Parteien zumindest unter Demokraten besser gar nichts pauschal aus. Ich bin immer erstaunt, wenn aus der Union alle drei Ampel-Parteien abgemeiert werden. Denkt da eigentlich mal jemand vom Ende her? Wir leben doch nicht im Lummerland, wo die Koalitionspartner an den Bäumen wachsen. Es sollten langsam mal alle verstanden haben, dass in einer derart vielfältigen Parteiendemokratie regelmäßig drei Koalitionspartner nötig sein werden, um Mehrheiten im Parlament zu haben. Und wenn man sich darin einig ist, dass Demokratiefeinde und am besten auch Populisten keine geeigneten Partner sind, kann man sich ja an drei Fingern abzählen, wer da noch übrig bleibt.

Im Bund hat die Union beste Chancen, die nächste Wahl zu gewinnen. Da wäre doch ein Bündnis mit CDU und CSU das Beste, was der SPD noch passieren könnte, oder?

Was für eine sadistische Frage! Mein Langzeitgedächtnis ist gut genug, um mich an die Groko-Zeiten zu erinnern. Das war nun wirklich keine Offenbarung. Ich halte es aus grundsätzlichen Erwägungen für erstrebenswert, Koalitionen zwischen Union und SPD, wenn möglich, zu vermeiden. Beide Parteien sind ein Stück weit Fixsterne für Teile unserer Gesellschaft, und daher ist es gut, wenn möglichst eine von beiden in Regierungsverantwortung und eine in der Opposition ist. Am Ende ist es aber kein Wünsch-dir-was. Und insofern arbeite ich hart für einen erneuten Wahlsieg meiner SPD, dann kann der Rest Fantasie bleiben.