Im Jahr 2013 gründete eine Gruppe von 20 Leuten die AfD. Heute ist die Rechtsaußen-Partei in fast allen Landesparlamenten und im Bundestag. Experten halten sogar eine Regierungsbeteiligung für möglich.
Rundschau-Debatte des TagesZehn Jahre AfD – könnte sie bald regieren?
An ihren Anfängen stand die AfD vor allem für Kritik am Euro und war geprägt von Wissenschaftlern. Doch über die Zeit wurden ihre Positionen radikaler und sie wanderte immer mehr an den rechten Rand. Trotzdem gewinnt sie immer mehr Wähler. Wird sie bald mitregieren?
Martin Renner ist stolz in diesen Tagen. Der 68-jährige Bundestagsabgeordnete ist als einziger Gründer der AfD noch immer Mitglied – und jetzt wird seine Partei zehn Jahre alt. „Ohne mich gäbe es die AfD nicht“, sagt er selbstbewusst am Telefon. Name und Logo hat Renner sich 2013 ausgedacht, als er mit 20 Euro-Skeptikern in einer Gemeindehalle in Oberursel im Taunus die Gründung der neuen Partei beschloss. Die Männer um den Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke und den Publizisten Konrad Adam hielten die Euro-Rettungspolitik infolge der Weltfinanzkrise 2008/2009 anders als die damalige Kanzlerin Angela Merkel nicht für „alternativlos“, sondern für grundfalsch – und trafen damit bei manchen einen Nerv.
Radikaler Richtungsstreit
„Ich bin als einziger von den Gründern noch immer dabei, weil ich sehe, dass die AfD unsere Grundthemen noch immer im richtigen Ton bearbeitet“, meint Renner. Andere Mitbegründer sehen das anders. Adam trat vor zweit Jahren aus, weil der Einfluss des rechten Flügels immer weiter zunahm. Bernd Lucke bezeichnete die AfD zuletzt als „eine latent fremdenfeindliche, deutschnationale Partei mit rechtsradikalen Einsprengseln“.
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Renner ist inzwischen der Ansicht, Deutschland befinde sich in einer „Phase des Vor-Totalitarismus“. Aus seiner Sicht bilden alle Parteien außer der AfD „die neue Einheitspartei Deutschland“. Es gelte, den „öko-sozialistischen Kurs“, auf dem sich das Land befinde, zu stoppen. Dass die AfD inzwischen vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet wird, sieht Renner als Bestätigung an. „Verfassungsschutz ist Regierungsschutz“, sagt er, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Es gehe „allen anderen doch nur noch um die Vernichtung der AfD“.
Partei mit zwei Gesichtern
Für den Parteienforscher der Universität Mainz, Jürgen Falter, ist klar: „Die AfD ist im Laufe der Jahre weiter nach rechts geglitten. Das äußert sich in völkischen Parolen und Positionen.“ Speziell der thüringische Fraktionsvorsitzende Björn Höcke nutze in der Öffentlichkeit „ausgesprochen raffiniert doppeldeutige Formulierungen“. Die Partei sei aber „janusköpfig“. „Im Hintergrund scheint zwar der rechtsextreme Flügel die Oberhand zu haben, es gibt aber nach wie vor nationalkonservative und sogar nationalliberale Mitglieder.“
Anhaltender Erfolg bei Wählern
Wähler scheint der Kurs der AfD der letzten Jahre jedenfalls nicht zu verschrecken. Sie ist inzwischen in allen Landesparlamenten außer in Schleswig-Holstein vertreten und liegt derzeit in Umfragen bundesweit bei etwa 15 Prozent – Mitglieder hat sie bundesweit allerdings nur knapp 30 000. In Thüringen war die AfD in Umfragen zuletzt mit 25 Prozent sogar stärkste Kraft. Jürgen Falter meint: „Dass die AfD so erfolgreich ist, deutet darauf hin, dass sie eine von den Wählern empfundene, von den anderen Parteien nicht besetzte Lücke im Parteienspektrum ausfüllt.“
Der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Thomas Ehrhorn, wie Renner ein Mitglied seit 2013, hält die zehnjährige Geschichte der AfD denn auch für eine „große Erfolgsgeschichte“. „Wenn eine neue Partei es in alle Landtage schafft und in den Bundestag, dann ist sie keine Eintagsfliege und keine Ein-Thema-Partei.“ Ehrhorn ist überzeugt: „Es muss mittelfristig unser Ziel sein zu regieren.“
Streben nach Regierungsbeteiligung
Bisher lehnen alle im Bundestag vertretenen Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ab. In manchen ostdeutschen Bundesländern könnte es künftig aber immer schwieriger werden, Mehr-Parteien-Bündnisse gegen die AfD zu schmieden. Parteienforscher Falter meint: „Es wird noch dauern, bis die AfD in einem Bundesland regiert, aber auszuschließen ist es – siehe die Erfahrung mit der Linken – nicht.“ Die bisherige Erfahrung zeige jedenfalls, dass die Strategie der strikten Ausgrenzung die AfD nicht schwäche.
Der Parteienforscher Uwe Jun von der Universität Trier ist zwar sicher, dass die AfD „auf absehbare Zeit eine beachtenswerte Größe“ bleiben wird. Er sieht derzeit aber „keine Regierungsmöglichkeiten für die AfD, weil es kaum Anknüpfungsmöglichkeiten mit anderen Parteien gibt.“ „Die AfD liebäugelt mit einem EU-Austritt, sie ist spürbar russlandfreundlicher als andere Parteien und sieht Migration erheblich kritischer.“
Außerdem sieht Jun Unterschiede zwischen der AfD und rechten Parteien in anderen europäischen Ländern. „Die rechten Parteien in anderen europäischen Ländern wie die Schwedendemokraten, die Brüder Italiens oder der Rassemblement National in Frankreich erscheinen pragmatischer aufgestellt als die AfD.“ Jun ist deshalb überzeugt: „In Deutschland verliert die AfD den Anschluss an die politische Mitte, wenn sie etwa den EU-Austritt fordert oder dem Klimawandel sehr skeptisch gegenübertritt.“ (dpa)
Partei unter Beobachtung
Der Inlandsgeheimdienst beobachtet nicht mehr nur einzelne Landesverbände sondern die AfD insgesamt als rechtsextremistischen Verdachtsfall. Der Verfassungsschutz sieht ausreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei. „Kräfte, die versuchen, die extremistischen Tendenzen aus der Partei zu verdrängen, nehmen wir kaum noch wahr“, sagt Behördenchef Thomas Haldenwang im Dezember.
Beobachten bedeutet, dass der Geheimdienst unter bestimmten Voraussetzungen etwa die Kommunikation der AfD überwachen oder V-Leute und andere nachrichtendienstliche Mittel einsetzen kann. Dagegen geht die Partei gerichtlich vor. Eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen wird allerdings erst in der zweiten Jahreshälfte erwartet.
Im Gespräch mit aktiven AfD-Politikern winken diese beim Thema Verfassungsschutz und Bezeichnungen wie „rechtsextrem“ oder „rechtsradikal“ ab. Co-Parteichefin Alice Weidel spricht von einem Missbrauch des Geheimdienstes, um die AfD als politische Konkurrenz zu diskreditieren. „An uns ist überhaupt nichts radikales“, sagt der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Bernd Baumann. (dpa)