Die Grünen stürzen ab: Je ideologischer ihre politische Linie wirkt, desto stärker sinken sie in der Wählergunst. Wie kommt die Partei aus diesem Dilemma?
Rundschau-Debatte des TagesWerden die Grünen wieder zur Verbotspartei?
An Robert Habeck lässt sich am besten ablesen, was mit den Grünen in einem Jahr Ampel passiert ist. Der Wirtschafts- und Klimaminister ist vom beliebtesten Politiker in die Abteilung „unter ferner liefen“ gerutscht. Vor wenigen Monaten saß Habeck im ZDF bei Markus Lanz, sprach über „die Schneise der Verwüstung, die wir mit unserem Lebensstil durch den Planeten ziehen“ und erntete Begeisterung. Der Klimaschutz schien in der Mitte der Gesellschaft angekommen – ebenso wie die Grünen. Und jetzt?
Im Visier der Union
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder richtet seinen gesamten Landtagswahlkampf gegen die Grünen aus. Auch im Bund hat sich die Union besonders auf Habeck eingeschossen. Er scheint das schwächste Glied in der Regierung zu sein – und mit ihm seine Partei. Die Grünen wollen Volkspartei sein und stehen als Verbotspartei da. Wieder einmal. Die neueste Insa-Umfrage sieht sie bei 13 Prozent – ein Verlust von zehn Prozentpunkten in nur einem Jahr.
Der Parteienforscher Uwe Jun von der Universität Trier hat dafür Erklärungen. Er sagt: „Die Grünen werden derzeit wieder als ideologischer wahrgenommen. Das gefällt den Wechselwählern der politischen Mitte weniger.“ Seit die Wärmewende für jeden Haushalt im Gespräch ist, läuft nichts mehr nach Plan. Das Etikett „Habecks Heiz-Hammer“ ignoriert, dass das Gesetz gemeinsam mit Bauministerin Klara Geywitz (SPD) auf den Weg gebracht wurde. Buhmann ist trotzdem Habeck. Dazu hat auch Staatssekretär Patrick Graichen beigetragen, dessen Vergabe eines Behörden-Chefpostens an seinen Trauzeugen nicht sauber lief.
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Ideologie versus Pragmatismus
Dass das Gebäudeenergiegesetz vorerst nicht im Bundestag beraten und stattdessen mit weitreichenden Änderungen versehen wird, die die FDP hineinverhandeln will, ist für die Grünen ein mittleres Desaster. Bis zur nächsten Bundestagswahl wollen sie ihren Wählern zeigen, dass es beim Klimaschutz tatsächlich einen Unterschied macht, wenn sie mitregieren. Dafür müssen die CO2-Emissionen erkennbar absinken. Die Vize-Fraktionsvorsitzende Julia Verlinden spricht weiter von einem „vernünftigen Gesetz“. „Es ist Verbraucherschutz und sorgt für warme Wohnungen.“ Uwe Jun hält diese Haltung des „Augen-zu-und-durch“ aber genau für das Problem. „Die Menschen sind angesichts des Heizungsgesetzes tief verunsichert und darauf gehen die Grünen wenig ein. Das kommt nicht gut an.“
Der Parteienforscher will in der aktuellen Debatte ein Muster erkennen: Immer wenn die Grünen, wie etwa beim Beharren auf dem Ausstieg aus der Kernenergie, „ideologisch“ handelten, büßen sie Zutrauen in der Mitte der Gesellschaft ein. „Sie handeln jetzt beim Heizungsgesetz ähnlich wie bei der Kernenergie ideologisch statt pragmatisch.“
Kurswechsel als Erfolg
Das war im ersten Jahr der Ampel-Koalition noch anders. Die Debatte über die Heizpläne überlagern Erfolge, die die Grünen durchaus vorweisen können. Sie haben schließlich den Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigt und mit dafür gesorgt, dass Deutschland binnen weniger Monate unabhängig von russischem Gas wurde. Der schnelle Bau von LNG-Terminals war Pragmatismus pur, wie selbst die Opposition anerkennend einräumen musste. Da musste selbst der sonst von den Grünen hochgehaltene Naturschutz zurückstehen.
Auch im Ukraine-Krieg haben die Grünen binnen Wochen einen Kurswechsel hingelegt. So wurde die Partei mit Beginn des russischen Angriffs im Handumdrehen zum Treiber für Waffenlieferungen in der Ampel-Koalition. Parteienforscher Jun attestiert: „In der ersten Phase des Ukraine-Krieges haben sich die Grünen sehr pragmatisch verhalten, und das erwartet die politische Mitte von einer Partei in der Bundesregierung.“ Ob dies den Grünen langfristig nützt oder eher Wähler aus der Friedensbewegung verschreckt, ist aber nicht abzusehen.
Asylpolitik wird Zerreißprobe
Das Heizungsgesetz ist noch nicht unter Dach und Fach, da zieht die nächste Zerreißprobe für die Partei in der Asylpolitik herauf: Asyl-Zentren an den EU-Außengrenzen soll es geben, in denen die Anträge vorgeprüft und verhindert werden soll, dass Menschen ohne Anspruch auf Asyl überhaupt erst einreisen.
Die Verbündeten der Grünen in Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen machen bereits mobil gegen die Reform, die von der Bundesregierung bislang mitgetragen wird. In der grünen Bundestagsfraktion machen einige keinen Hehl daraus, dass sie von der Idee nichts halten. Sie legt für sie die Axt an die Wurzel des Asylrechts. Andere in der Partei indes gehen noch weiter als der Reformvorschlag.
Verlieren die Grünen die Akzeptanz in der Mitte der Gesellschaft, wenn sie das Heizungsgesetz durchdrücken oder sich in der Asylpolitik strengen Regeln verweigern? Oder verlieren sie die Akzeptanz ihrer Wähler erst recht, wenn sie bei Klimaschutz und in der Flüchtlingspolitik Kompromisse eingehen?
Parteienforscher Uwe Jun räumt ein, dass die Sache so einfach nicht ist. „Die Schmerzgrenze, Kompromisse zu machen, liegt da, wo die Glaubwürdigkeit der Grünen schwer beschädigt werden kann. Deshalb müssen sie genau ausloten, wie weit sie bei weiteren Kompromissen gehen können.“ Ein „völlig entkerntes und verwässertes Heizungsgesetz“ wäre eine solche Grenze. Auch deshalb wollen die Grünen es jetzt so schnell wie möglich beschließen.
Gesetz noch vor Pause
Die Grünen erwarten, dass der Bundestag das sogenannte Heizungsgesetz noch vor der Sommerpause verabschiedet. Sie gehe davon aus, dass der Entwurf für die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes kommende Woche eingebracht werde, sagte die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Katharina Dröge, der „taz“. „Dann können wir endlich sachlich darüber reden. Die Mehrheit der Menschen ist ja für eine Wärmewende.“ Viele seien aber verunsichert, weil sie nicht wüssten, was auf sie zukomme. (dpa)
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