Markus Söder soll am Samstag als Spitzenkandidat für die Landtagswahl nominiert werden. Im Wahlkampf setzt der CSU-Chef voll auf die Strategie: Bayern gegen den Rest der Republik.
Rundschau-Debatte des TagesGeht die Strategie von Markus Söder auf?
Markus Söder will seiner CSU in Bayern zu einem fulminanten Wahlsieg verhelfen. Dafür, man ahnt es, schreckt er vor fast nichts zurück – und wirft der Ampel-Regierung eine Benachteiligung Bayerns vor. Sind die Vorwürfe berechtigt? Und kann er mit der Strategie erfolgreich sein?
Der Rest der Republik – vor allem der Norden – wird sich in den nächsten Monaten einiges anhören müssen. Bis zur Landtagswahl in Bayern am 8. Oktober wird Markus Söder keine Gelegenheit auslassen, die Bedrohung seines Freistaats durch den „Ampel-Norden“ als großes Problem zu beschreiben. Bayern muss sich also wehren gegen Annalena Baerbock aus Niedersachsen, gegen Robert Habeck aus Schleswig-Holstein – und nicht zuletzt auch gegen Olaf Scholz, den Bundeskanzler, der bekanntlich aus Hamburg stammt.
Einen vorläufigen Höhepunkt dieser Erzählung dürfte es diesen Samstag bei Söders Nominierung zum Spitzenkandidaten beim CSU-Parteitag in Nürnberg geben. Erprobt hat er das Ampel-Bashing bereits über viele Monate. Und glaubt man Experten und langjährigen CSU-Beobachtern, könnte Söder damit sehr erfolgreich sein.
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Kämpfer für die Freiheit
Der bayerische Ministerpräsident hat sich als Freiheitskämpfer gegen Berliner Wokeness und Gender-„Irrsinn“ in den vergangenen Monaten neu erfunden. Dass er vor gar nicht langer Zeit noch als Anführer des „Teams Vorsicht“ der Corona-Pandemie galt? Längst vergessen. Jetzt ist er „Team Freiheit“, und es gilt, den „bavarian way of life“, die bayerische Art zu leben also, vor grünen Vegetariern und Klimaklebern zu schützen. „Wir Bayern essen lieber Schweinsbraten statt Insekten- und Madenmüsli“, ließ Söder unlängst wissen. Dass der Norden der Republik und Öko-Radikalismus keinesfalls das Gleiche sind – egal.
„Wir stehen einem Gefühl norddeutscher Dominanz gegenüber, wie wir es in ganz unterschiedlicher Gestalt seit der Reichsgründung von 1871 erleben“, sagte der frühere CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler kürzlich in der „Neuen Zürcher Zeitung“.
Wahlrecht und Energiepolitik
Wie ein Geschenk für seinen Bayern-gegen-den-Rest-der-Republik-Wahlkampf kam da die jüngste Änderung des Wahlrechts durch die Ampel-Koalition daher. Dass die CSU fortan wegen der geänderten Grundmandatsklausel bei bundesweit unter fünf Prozent nicht mehr dem Bundestag angehören könnte, empfindet man im Süden als Angriff auf das Existenzrecht der CSU. Braucht es weitere Belege dafür, dass die Ampel-Koalition Bayern kleinkriegen will? Auch in der Energiepolitik fühlt man sich wegen der Abschaltung des Kernkraftwerks Isar II und der vermeintlich eher schleppenden Befüllung der Gasspeicher im Süden von Scholz und Co. vernachlässigt. Dass im Kabinett der Ampel – sieht man mal ab von Kulturstaatssekretärin Claudia Roth von den Grünen – kein einziger Bayer mitmischt, ist da noch eine Kleinigkeit.
Söders Strategie könnte aufgehen, deuten aktuellen Umfrage bereits an. Bei 41 Prozent steht die CSU derzeit, die Freien Wähler, mit denen Söder eine Wiederauflage der „Bayern-Koalition“ anstrebt, kommen auf 9 Prozent. Weil Bayern das inzwischen einzige Bundesland ist, in dem keine der Ampel-Parteien mitregiert, ist die Erzählung vom „freien Süden“ so naheliegend.
Experten: Söders Strategie verfängt
Für den Parteienforscher und CSU-Kenner Heinrich Oberreuter sind die aktuellen Werte ein Beleg dafür, dass die Erzählung vom Norden gegen Bayern bei der potenziellen Wählerschaft gut ankommt. „Allerdings haben wir das in dieser Zuspitzung in der Geschichte der CSU noch nicht erlebt“, sagt Oberreuter. Die Zuspitzung würde allerdings nicht verfangen, wenn nicht auch etwas dran sei. „Die Ampel-Koalition ist ja tatsächlich nicht von einer besonderen Affinität für den Süden gekennzeichnet“, meint er. Man müsse allerdings zur Kenntnis nehmen, dass Söder bei seinen Attacken nicht auf die Menschen im Norden abziele, sondern allein auf seine politischen Repräsentanten. So viel Raffinesse müsse man ihm schon zugestehen. Auch die Politikwissenschaftlerin von der Akademie für Politische Bildung Tutzing Ursula Münch bezeichnet die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung in Bayern als „besonders ausgeprägt“. „Der Strom wird wegen der Ampel teurer, der Norden macht Kasse auf Kosten des Südens. Dieser Eindruck drängt sich geradezu auf“, sagt Münch. Söder setze auf einen Wettbewerb: Das erfolgreiche Bayern werde durch die Bundespolitik aus ideologischen Gründen ausgebremst. Er, Söder, werde das verhindern. „Es geht ihm darum, die CSU-nahe Mitte in Bayern zu mobilisieren. Und dort verfängt es auch“, meint Münch.
Neuer Höhenflug?
Ein Wahlergebnis über 40 Prozent für die CSU hält sie deshalb in diesem Jahr nicht für unwahrscheinlich. Für Söder, der bei der letzten Landtagswahl nur 37,2 Prozent einfuhr, wäre das sensationell. Je nach politischer Großwetterlage hält Münch es dann für möglich, dass Söder noch einmal nach der Kanzlerkandidatur der Union greift, auch wenn Söder das in dieser Woche ausgeschlossen hat (siehe Kasten). Aber seine Ansichten können sich ja bekanntlich auch wieder ändern.
Mit einer Mischung aus Genie und Größenwahn, deren Faszination man sich im Rest der Repubik kaum verschließen kann, hat die Regionalpartei CSU sich in den vergangenen Jahrzehnten schließlich immer wieder erfolgreich in Szene gesetzt. Die Süddeutsche Zeitung erinnerte neulich daran, dass die Münchner Staatskanzlei in den 90er-Jahren die Bitte des Gouverneurs des US-Bundesstaats Arkansas um einen Termin ausschlug, weil man den Mann für zu unbedeutend befand. Es handelte sich um den späteren US-Präsidenten Bill Clinton.
Über Markus Söder selbst schreibt die Süddeutsche: „Die Aufmerksamkeit, die Söder im Netz zuteilwird, weil er Kamala Harris am Münchner Flughafen eine weiße Rose überreicht, bekäme Daniel Günther nicht, wenn er in Kiel in der Holstenstraße nackt Krabben pulen wurde.“ Und da ist wohl etwas dran.