AboAbonnieren

Rundschau-Debatte des TagesAsylbewerber sollen schneller in Arbeit kommen – was man dazu wissen muss

Lesezeit 4 Minuten
Asylbewerber und Ausländer, die über eine Duldung verfügen, sollen künftig schneller Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten.

Asylbewerber und Ausländer, die über eine Duldung verfügen, sollen künftig schneller Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten.

Angesichts von Fach- und Arbeitskräftemangel wolle die Bundesregierung „die beruflichen Potenziale und Qualifikationen der Menschen, die schon in Deutschland leben, bestmöglich nutzen“, sagt die Innenministerin.

Asylbewerber sollen nach dem Willen der Bundesregierung künftig früher und einfacher in Deutschland arbeiten können. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat den Beschluss des Kabinetts vom Mittwoch als Mittel gegen den Arbeits- und Fachkräftemangel gelobt. Er und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) versprechen sich eine schnellere Integration von der Reform. Die Devise müsse künftig lauten: „Raus aus dem Sozialsystem, rein in die Beschäftigung“, erklärte Habeck.

Was soll sich konkret an den Voraussetzungen ändern?

Asylbewerber, die in Erstaufnahmeeinrichtungen leben, sollen künftig schon nach sechs Monaten arbeiten dürfen. Das konnten bisher nur Eltern mit Kindern, für Alleinstehende galt eine Frist von neun Monaten.

Wer soll von der Änderung nicht profitieren?

„Wer aus einem sicheren Herkunftsland kommt, wessen Asylantrag offensichtlich unbegründet ist oder wer seine Identitätsklärung verweigert, darf weiterhin nicht arbeiten“, erklärte Faeser. Bei sogenannten sicheren Herkunftsstaaten gehen die deutschen Behörden davon aus, dass es dort in der Regel weder Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung gibt und den Betroffenen damit in ihrer Heimat kein ernsthafter Schaden droht.

Geduldeten soll im Regelfall eine Beschäftigungserlaubnis erteilt werden. Das sind Menschen, die zwar ausreisepflichtig sind, aber aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden können, zum Beispiel wegen Krankheit. Zudem sollen mehr Menschen bleiben, die hier arbeiten und deswegen geduldet werden („Beschäftigungsduldung“).

Was soll sich bei der Beschäftigungsduldung ändern?

Bisher kann diese Möglichkeit nur nutzen, wer vor dem 1. August 2018 in die Bundesrepublik gekommen ist. Künftig sollen alle, die bis Ende 2022 nach Deutschland eingereist sind, diese Chance auf eine langfristige Bleibeperspektive nutzen können. Eine Beschäftigungsduldung soll außerdem in Zukunft schon nach einer Beschäftigung von zwölf statt bislang 18 Monaten erteilt werden. Die erforderliche Arbeitszeit pro Woche soll von 36 auf 20 Stunden sinken.

Was sich nicht ändern soll: Wer von der Beschäftigungsduldung profitieren will, muss Deutsch sprechen, den eigenen Lebensunterhalt bestreiten können, darf keinen Bezug zu extremistischen Organisationen haben und muss straffrei sein. Der Bundestag muss noch über die Neuerungen beraten und sie am Ende beschließen.

Wie viele Menschen könnten durch die Pläne zusätzlich arbeiten?

Das ist unklar. Die Bundesregierung verfügt nach Angaben des Innenministeriums über keine entsprechenden Zahlen. Die Hilfsorganisation Pro Asyl weist darauf hin, dass statistisch nicht erfasst werde, wie viele Menschen mit Arbeitsverbot in Deutschland lebten, geht aber „mindestens von einer Zahl im hohen fünfstelligen Bereich“ aus.

Faeser verteidigte, dass die Arbeitsmöglichkeiten für Asylbewerber nicht noch weiter gelockert wurden. Die Regierung habe sich auf eine „angemessene Zeit“ verständigt, ab der die Beschäftigungsaufnahme möglich sei, sagte sie. Denn die Regelung dürfe auch „nicht zu einem Anreizsystem führen“, das mehr Menschen zur Flucht nach Deutschland bewege.

Was sagt die Wirtschaft zu den Ideen der Regierung?

Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Achim Dercks, findet die Reform mit Blick auf Arbeits- und Fachkräftemangel sinnvoll. Die rasche Arbeitsaufnahme könne aber nur erfolgen, wenn die Ausländerbehörden Aufenthaltsdokumente und Beschäftigungserlaubnisse zügig erteilten, sagte er. Dazu müsse die Verwaltung digitaler werden, und die Behörden müssten durch Verfahrensvereinfachungen entlastet werden. „Alle Beteiligten brauchen zudem schneller Klarheit darüber, wer eine Bleibeperspektive in Deutschland hat und wer nicht“, betonte Dercks. „Nur so erhalten Unternehmen die gewünschte Planungssicherheit, wenn sie Geflüchtete einstellen wollen.“

Ähnlich äußerte sich der Arbeitgeberverband BDA. Zentral sei die Geschwindigkeit von Asylverfahren, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sprach sich perspektivisch für eine weitere Ausweitung der Arbeitsmöglichkeiten aus. Vorstandsmitglied Anja Piel betonte aber, Deutschland profitiere „von jedem Baustein, der es möglich macht, die Fachkräftelücke zu schließen und dem Arbeitskräftemangel zu begegnen“.

Gibt es auch Kritik an dem Vorhaben?

Unionsfraktionschef Friedrich Merz wertete die erleichterte Arbeitsaufnahme von Geflüchteten skeptisch. Dies könne auch zusätzliche Anreize schaffen, nach Deutschland zu kommen, sagte der CDU-Vorsitzende am Donnerstag dem WDR-Hörfunk. Zudem bleibe der sogenannte Spurwechsel aus dem Asylverfahren in den Arbeitsmarkt eine Ausnahme, das zeigten die vergangenen zehn Jahre. Insgesamt habe die Regierung „einige kleine Retuschen vorgenommen am bestehenden Recht. Aber die große Zahl des Zuzugs, die wird nicht angepackt“, erklärte Merz.

Pro Asyl forderte dagegen eine generelle Aufhebung aller Arbeitsverbote für Geflüchtete. Diese seien nicht zeitgemäß, betonte der flüchtlingspolitische Sprecher der Organisation, Tareq Alaows. „Sie grenzen Menschen aus der Gesellschaft aus und sind auch angesichts des Arbeitskräftemangels in Deutschland der falsche Weg.“ Pro Asyl forderte außerdem eine Ausweitung von Sprachkursen sowie eine schnellere Anerkennung ausländischer Schul- und Bildungsabschlüsse. (dpa mit afp)