Rheinenergie-Chef Andreas Feicht spricht im Rundschau-Interview über die Folgen der Haushaltsbeschlüsse – Versorger und Kunden wissen nicht, wie es nach 2024 weitergeht.
Rheinenergie-Chef im InterviewGefährdet der Bund die Wärmewende, Herr Feicht?
Was bedeutet die Berliner Etat-Einigung für Energieversorger und ihre Kunden? Rheinenergie-Chef Andreas Feicht übt scharfe Kritik am Vorgehen der Regierungskoalition. Die Rundschau hat mit ihm unter anderem über die Zukunft von Fernwärmeprojekten und die Planungssicherheit für Unternehmen und Hausbesitzer, über den Kohlausstieg 2030 und die Entwicklung der Strom- und Gaspreise gesprochen.
Die Berliner Ampelkoalition hat sich geeinigt, wie sie ihr Haushaltsloch schließen will, unter anderem durch Kürzungen im Klima- und Transformationsfonds. Was bedeutet das für Ihr Unternehmen?
Es gibt noch keinen Gesetzentwurf. Was wir wissen, ist, dass der CO₂-Preis steigt und dass 5,5 Milliarden Euro Zuschuss für die Stromnetzbetreiber nicht fließen sollen. Also werden die Netzentgelte für Strom steigen. Und in der Tat: Der Klima- und Transformationsfonds wird bis 2027 um zehn bis elf Milliarden Euro pro Jahr reduziert.
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Auf diesen Fonds haben Sie gesetzt, um in Köln die größte Wärmepumpe Europas errichten zu können.
Wenn wir alles richtig verstanden haben, wird die Kürzung für das Jahr 2024 dadurch neutralisiert, dass zwölf Milliarden für die Bahn nicht aus dem Fonds entnommen werden. Wenn das so bleibt, dann können wir 2024 den Antrag für die Großwärmepumpe stellen und davon ausgehen, dass wir die Mittel bekommen. Wir hätten den Antrag schon am letzten Montag abschicken können, das ging aber nicht, weil der Bund des Antragsportal geschlossen hat. Es ist immer noch dicht, also verlieren wir Zeit. Das ist ärgerlich.
Über wieviel Geld reden wir?
Das Projekt hat ein Volumen von 180 bis 200 Millionen Euro. Wir brauchen 40 bis 50 Millionen als Förderung.
Wenn der Antrag dann bewilligt ist: Ende gut, alles gut?
Nein. Denn wir wissen nicht, wie es nach 2024 weitergeht. Wir sind dann ja nicht fertig, sondern wir brauchen unter anderem noch zwei weitere große Wärmepumpen. Die Haushaltskrise sorgt also weiter für Verunsicherung. Auch bei Immobilienbesitzern: Gibt es für sie die Chance auf einen Fernwärmeanschluss, oder müssen sie anders investieren? Deshalb brauchen wir Sicherheit nicht nur für 2024, sondern auch für die Jahre danach. Ohne die Bundesmittel geht die Wärmewende nicht voran.
Während mit den Wärmepumpen neue Verbraucher ans Netz kommen, sollen 2030 die letzten Braunkohlekraftwerke in der Region abgeschaltet werden. In der Winterzeit liefern die Erneuerbaren wenig Strom. Lässt sich das mit Öko-Wasserstoff ausgleichen, oder wie sonst?
Wirtschaftsminister Robert Habeck verspricht ja bis 2030 ein Kernnetz Wasserstoff. Aber wir werden noch eine ganze Weile Erdgas brauchen. Und hinsichtlich des Kohleausstiegs 2030 bin ich sehr skeptisch. Bei den Erneuerbaren kommen wir voran, aber es müsste schneller gehen, vor allem beim Wind. Beim Netzausbau hinken wir weit hinter den Zielen her. Und es fehlen Erdgaskraftwerke, die wir später auf Wasserstoff umzustellen, um die von Ihnen beschriebene Dunkelflaute auszugleichen. Wir reden da nicht über ein oder zwei Kraftwerke, sondern bundesweit über ungefähr 40 Stück mit insgesamt 20 Gigawatt. So ein Neubau dauert fünf bis sechs Jahre, in jedem Einzelfall. Bis 2030 sind es noch gut sechs Jahre, und es steht noch keins dieser neuen Kraftwerke. Es gibt nicht mal die Pläne. Deshalb fehlt mir der Glaube, dass der Kohleausstieg 2030 gelingen kann.
Was wären die Konsequenzen?
RWE hat ja zugesagt, auf Anforderung des Bundes die Braunkohlekraftwerke noch einmal drei Jahre in eine Art Sicherheitsbereitschaft zu überführen. Etwa zur Bundestagswahl 2025 wird man Farbe bekennen müssen: Schaffen wir es noch? Bevor Deutschland dunkel wird und die Preise explodieren, wird man die Kohlekraftwerke weiter betreiben müssen. Das ist für die Klimabilanz nicht gut, aber das ist halt die Folge, wenn man sich zu viel in kurzer Zeit vornimmt und die Voraussetzungen nicht schafft.
Und Erdgas? Ist die Versorgung in diesem Winter sicher?
Nach allem, was wir heute wissen, ist sie sicher. Aber sie ist fragil. Ein Anschlag auf eine Pipeline oder ein Flüssiggasschiff kann unmittelbar eine Störung herbeiführen. Und: Wenn es mal richtig kalt wird, minus fünf oder minus zehn Grad, dann steigt der Gasverbrauch exponentiell. Früher dauerte es 48 Stunden, um einen Kubikmeter Gas von Sibirien nach Deutschland zu pumpen. Flüssiggas ist von der Verflüssigung bis zur Entladung zwei bis drei Wochen unterwegs. Bei steilem Verbrauchsanstieg und langsamem Nachschub könnte es eine Situation geben, in der wir nicht genug Gas haben.
Aber wir haben doch Speicher.
Ja, und die sind immer noch zu 90 oder 88 Prozent voll. Das würde in Deutschland für zweieinhalb Monate bei sehr kalten Temperaturen reichen. Aber andere Europäer greifen auch darauf zu. Wenn dann ein Anschlag oder ein Unfall passiert, dann kann es schwierig werden.
Flüssiggas ist umstritten. Brauchen wir das in dieser Menge und mit all den Terminals, die entstehen sollen?
Derzeit ja. Klar, irgendwann, wenn wir mehr Strom aus Erneuerbaren und dem benachbarten Ausland haben und strombetriebene Großwärmepumpen die Gas-Heizkraftwerke ablösen, dann sinkt die Nachfrage. Dann würde vielleicht das Pipelinegas aus Norwegen reichen. Aber: Auch wenn Norwegen ein stabiles Land ist, allein schon die einseitige technische Abhängigkeit von den wenigen Pipelines wäre ein Risiko. Deshalb bin ich sehr für die Flüssiggasterminals. Schon aus Sicherheitsgründen.
Sie haben jetzt zweimal von möglichen Anschlägen gesprochen. Sehen Sie da auch in Ihrem Verantwortungsbereich Gefahren?
Die Rheinenergie steht als Regionalversorger nicht auf der hohen Systemebene, bei der ein Anschlag die Versorgungssicherheit Deutschlands gefährden würde. Was wir erleben, das ist eine Zunahme von Cyberangriffen mit zum Teil rein kriminellem, zum Teil aber auch politischem Hintergrund. Das ist eine starke Bedrohungslage. Und wir sehen überall Anzeichen für hybride Kriegsführung. Denken Sie an die Gaspipeline zwischen Estland und Finnland, für die man auch noch keine konkrete Schadensursache kennt – auch wenn sie möglicherweise vom Anker eines chinesischen Schiffs beschädigt wurde.
Nochmal zurück zur Haushaltseinigung. Höhere Netzentgelte, höherer CO₂-Preis – haben Sie eine Hausnummer, was kostet das uns Kunden pro Kilowattstunde?
Die Daten habe ich heute noch nicht. Wir kennen nur das, was in den Medien steht. Nächste Woche soll der Gesetzentwurf kommen, dann wissen wir wohl mehr. Es geht aber auch noch in den Bundestag, da kann es noch Änderungen geben. Im Augenblick ist unklar, um wie viele Cent die Netzentgelte auf unserer Ebene steigen. Genauso offen ist die Frage der Umsatzsteuer bei Gas und Fernwärme. Der ermäßigte Satz sollte eigentlich bis Ende Februar gelten. Auch das hat eine Wirkung auf die Preise für die Kunden.
Sie haben jetzt zweimal von möglichen Anschlägen gesprochen. Sehen Sie da auch in Ihrem Verantwortungsbereich Gefahren?
Die Rheinenergie steht als Regionalversorger nicht auf der hohen Systemebene, bei der ein Anschlag die Versorgungssicherheit Deutschlands gefährden würde. Was wir erleben, das ist eine Zunahme von Cyberangriffen mit zum Teil rein kriminellem, zum Teil aber auch politischem Hintergrund. Das ist eine starke Bedrohungslage. Und wir sehen überall Anzeichen für hybride Kriegsführung. Denken Sie an die Gaspipeline zwischen Estland und Finnland, für die man auch noch keine konkrete Schadensursache kennt – auch wenn sie möglicherweise vom Anker eines chinesischen Schiffs beschädigt wurde.
Aber was sagen Sie als Chef eines großen Unternehmens, wenn der Bund Zusagen so kurzfristig revidiert?
Wir erleben ein Debakel. Erst sollte die Energiepreisbremse bis Ende März weiterlaufen. Jetzt doch nicht. Das lesen wir dann in der Zeitung. Unsere ganzen Systeme und die ganze Kundenkommunikation waren auf die bisherige Umsatzsteuerregelung ausgerichtet. Die 5,5 Milliarden für die Übertragungsnetzbetreiber waren eingepreist, jetzt fallen die urplötzlich weg. Wir müssen die daraus folgenden gestiegenen Preise bereits zum 1. Januar zahlen. Ich kann das aber gar nicht mehr zum 1. Januar in unsere Endkundenpreise einrechnen und weitergeben, sondern frühestens zum 1. März oder danach. Wir erleben eine massive Verunsicherung. Aber meine Aufgabe ist nicht, in Wehklagen auszubrechen, sondern zu überlegen, wie wir das Unternehmen stabil halten und was wir den Kunden sagen. Und diese Frage kann ich heute noch nicht zu 100 Prozent beantworten. Sobald wir es können, tun wir es.
Aber beim Erdgas könnten Sie doch einen Dreisatz machen. Der CO2-Preis steigt um 15 Euro je Tonne, macht 1,5 Cent je Kilo oder 0,3 Cent je Kilowattstunde. Oder?
Das kann man ausrechnen. Aber das ist ja nicht die ganze Kalkulation. Wir wollen den Gaspreis im Frühjahr in jedem Fall senken, damit die Kundinnen und Kunden noch in der Heizperiode davon profitieren können. Denn die Großhandelspreise sind gefallen, auch wenn das Niveau höher liegt als vor der Krise. Aber was passiert, wenn die Leute preissensibel auf die CO₂-Abgabe reagieren und weniger verbrauchen? Die Kalkulation ist eh schwierig, weil wir Netzentgelte je nach der Entwicklungsprognose des Gasabsatzes ja anders einpreisen müssen.
Wir dürfen immerhin festhalten, Sie haben vor, den Gaspreis zu senken.
Ja, definitiv. Ich kann nur noch nicht sagen, wie sehr genau. Ich hätte es sagen können, wenn es nicht diese neue Koalitionsentscheidung gäbe. Ich war selbst mal Staatssekretär und weiß, wieviel sich auf dem Weg zum Gesetz noch ändern kann. Ich möchte jetzt keinen Preis nennen, den ich in zehn Tagen wieder einkassieren muss, deswegen melden wir uns, wenn wir gerechnet haben. Beim Strom hatten wir dagegen schon entschieden, den Preis zum 1. Januar zu senken. Und jetzt kommen die höheren Netzentgelte. Das ist schon ein Schlag, den wir einstecken müssen.
Das höhere Preisniveau, von dem Sie sprachen, wird das bleiben?
Das wird erstmal bleiben. Die Aussicht, dass es deutlich billiger wird, dass wir auf das Niveau von Zeiten vor Ukraine-Krieg und Energiepreisturbulenzen zurückkehren, das kann ich nicht sehen.
Beobachten Sie da wirtschaftliche Effekte? Es wird ja viel von Deindustrialierung gesprochen, von Unternehmen, die sich die Preise nicht mehr leisten können.
Wir sehen jedenfalls, dass weniger Gas und Strom durch unsere Netze fließen. Das mag an höherer Effizienz liegen – oder doch an geringerer Produktion. Unsere Konzernschwester HGK stellt fest, dass weniger transportiert wird, auf der Schiene und auf Binnenschiffen. Da haben wir also offenbar eine deutliche Reduzierung bei der Produktion.
Spielt die Bundesregierung da mit dem Feuer?
Wir stehen wirklich vor einer schwierigen Weichenstellung. Natürlich musste die Bundesregierung über den Haushalt entscheiden, sie hätte keine Woche länger warten dürfen. Aber wir haben nur eine Lösung für 2024, nicht darüber hinaus. Es wirkt ein wenig wie Durchwurschteln. Dabei müssen Unternehmen für 20, 30 Jahre investieren – und haben keine Planungsgrundlage. Ich sehe keinen Durchbruch, keinen klaren längerfristigen Plan, das muss ich ehrlich sagen.
Wäre der Industrie denn geholfen, wenn der Industriestrompreis wirklich kommt?
Die Industrie, gerade die energieintensive Industrie hier in NRW, kann mit diesen hohen Stromkosten nicht auf Dauer leben. Aber ein Industriestrompreis birgt große Schwierigkeiten hinsichtlich des EU-Beihilferechts. Wir müssten in eine ganz andere Richtung gehen und fragen, welcher Teil der Stromkosten durch die Energiewende bedingt ist. Also durch den Netzausbau, durch Vorhalten und Neubau von Reservekraftwerken. Das sollte der Staat finanzieren. Wie er ja auch Autobahnen finanziert. Dann könnte der Strompreis sinken, davon würde die ganze Wirtschaft profitieren. Und dann würden Unternehmer für Energieeffizienz auch belohnt, während sie ja nicht gegen die Netzentgelte anarbeiten können. Der Industriestrompreis wird uns als Brücke verkauft, weil ja irgendwann ganz viel erneuerbare Energieträger da sein sollen und der Preis dann angeblich wieder sinkt. Das wird aber nicht passieren, denn die Netzentgelte bleiben ja. Da wäre es ehrlich, wenn der Staat das Netz zumindest mit-finanziert – und die Wirtschaft schaut, was sie optimieren kann.