Reichenforscher im Interview„Manche haben Angst, alles zu verlieren“
Witten – Faktisch lässt die Inflation mehrfache Millionäre und Milliardäre zwar kalt, sagt Reichenforscher Thomas Druyen im Gespräch mit Corinna Clara Röttker. Trotzdem hätten viele von ihnen Angst – und greifen zu vorsorgenden Maßnahmen.
Haben Superreiche Angst vor steigenden Preisen?
Im Prinzip nicht, denn es tangiert sie kaum. Unter einem Superreichen sollten wir uns allerdings jemanden vorstellen, der bei 100 Millionen Euro beginnt. Das größte Problem bei solchen Fragen ist immer wieder, dass Reiche in einen Topf geworfen werden und dann die Antworten teilweise absurd sind. Selbst zwischen jemandem, der 150 Millionen, und jemandem, der eine Milliarde besitzt, klaffen unfassbare Gestaltungsunterschiede. In beiden Sphären spielen allerdings Preisanstiege keine Rolle.
Das heißt, ob der Sprit oder der Wocheneinkauf nun doppelt so teuer ist, lässt mehrfache Millionäre ziemlich kalt, weil sie die Preissteigerungen gar nicht so merken?
Da haben Sie faktisch recht. Aber die emotionale Wahrnehmung kann sehr unterschiedlich sein.
Inwiefern?
Sobald sich negative und bedrohliche Entwicklungen ergeben, kommt bei vielen Reichen die Angst auf, es könnte noch viel schlimmer werden, und sie könnten alles verlieren. Diese Verlustangst ist bei Millionären erheblich größer als bei Milliardären. Das ist eine emotionale Tatsache, obwohl es paradox klingt. Natürlich sind uferlose Preissteigerungen für die Mehrheit der Bevölkerung extrem gefährlich und damit am Ende auch für die gesamte Gesellschaft inklusive der Superreichen. Keine Gruppe lebt allein.
Zur Person
Thomas Druyen ist Direktor des Institutes für Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie an der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien und Professor für transgenerationales Vermögensmangement in Unternehmerfamilien an der Uni Witten/ Herdecke. Der Soziologe, Buchautor und Begründer der Vermögenskulturforschung studierte in Münster. Bis 2010 war er an der dortigen Uni Direktor des Forums für Vermögensforschung. (ccr)
Und wie reagieren die Superreichen auf die Inflation?
Erst mal spielt die Dimension der Inflation eine wesentliche Rolle. Ist sie vorübergehend, langwierig oder exponentiell? Anhand dieser drei Schweregrade orientieren sich die psychischen Auswirkungen, sprich, welche Ängste oder Befürchtungen aufkommen. Ebenso spielt die Kultur eine Rolle, also ob es sich um Amerikaner, Engländer, Schweden oder Deutsche handelt. Je nachdem, woher sie kommen, haben sie ganz unterschiedliche Reaktionsweisen. Deutsche sind ganz schnell besorgt oder verängstigt, aber wenn etwas Negatives tatsächlich eintritt, sind wir sehr belastbar. Bei den Amerikanern ist es umgekehrt. Sie reagieren erst mal wesentlich cooler, aber im Ernstfall kippt die Souveränität total.
Der Normalbürger reagiert auf die hohen Preise, indem er kürzer duscht, beim Discounter einkauft oder Rad statt Auto fährt. Machen Superreiche so was auch?
In den letzten 20 Jahren haben wir keine so komplex bedrohliche Situation erlebt. Daher würde ich jetzt schon von einem aufkommenden Ausnahmezustand sprechen. Das Maß der uneinschätzbaren Gefahr ist so groß, dass es alle Milieus trifft und extrem verunsichert. Daher greifen auch Superreiche zu vorsorgenden Maßnahmen. Dabei geht es weniger um Einschränkung oder Sparen als um Prävention und Absicherung: zusätzliche Öfen, vorbereitete Notunterkünfte mit gesicherter Versorgung, Silber- und Goldmünzen als Katastrophenwährung, aber auch alternative Reisepläne, um bei Bedarf irgendwo in einem sicheren Land zu überwintern. Oder aus Angst vor einer atomaren Eskalation verlassen einige sogar den Kontinent.
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Zusätzlich zur Inflation kommen Ukraine-Krieg, Klimawandel, Corona – wie erleben Superreiche diese Gefahren?
Unangenehm. Eine sich ausweitende und zuspitzende Gefahrenlage kennen die meisten Menschen überhaupt nicht mehr aus eigenem Erleben. Insofern handelt es sich um eine unbekannte Herausforderung, der man auch schlecht vorbeugen kann. Vor diesem Hintergrund ist Superreichtum sicherlich ein riesiger Vorteil, aber keine Garantie. Weder für Sicherheit noch für eine gut ausgehende Zukunft. An dieser Stelle verkehrt sich das materielle Vermögen bei manchen Vorsichtigen psychologisch ins Gegenteil. Es wird zur Belastung, da die Angst, es zu verlieren, größer wird. Das mögen Unvermögende als verrückt empfinden, aber es kann zu ganz unangenehmer Dauerpanik führen.