Interview mit VdK-ChefinEine „gute“ Rente – gibt es die noch?
- Die Inflation steigt und damit auch die Altersarmut, sagt Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland.
- Es reicht ihrer Ansicht nach nicht, die Menschen von der Ökostromumlage zu befreien.
Die anhaltend hohe Inflation treffe Menschen mit niedrigen Renten besonders hart, kritisiert VdK-Präsidentin Verena Bentele. Auch mit Blick auf Minijobs ist sie unzufrieden mit der Ampel-Koalition. Was sollte die Bundesregierung jetzt tun – und was ist heutzutage eine „gute“ Rente?
Frau Bentele, steigende Mieten und die hohe Inflation bereiten immer mehr Menschen Sorgen. Wie ist die Situation der Rentner? Verschärft die Inflation die Altersarmut?
Ja, die Inflation verschärft die Altersarmut. Vor allem für Menschen, die geringe Renten und keine Reserven haben, sind die Preissteigerungen von teilweise bis zu 30 Prozent ein Riesenproblem, weil sie überproportional viel von ihrem Geld für den täglichen Bedarf ausgeben müssen. Für sie ist es ein Desaster, wenn Energie und Lebensmittel immer teurer werden.
Wie sieht das im Einzelfall aus?
Uns hat neulich eine Frau geschrieben, die 35 Jahre in medizinischen und sozialen Berufen gearbeitet hat und nun eine Nettorente von 616 Euro bekommt. Ihr Mann ist chronisch krank, bekommt keine hohe Rente. Aber natürlich wollen auch sie sich möglichst gesund ernähren und auch nicht in einer kalten Wohnung sitzen. Bei den aktuellen Preisen fällt das vielen Menschen aber immer schwerer. Da ist dann schon die Frage: Spare ich am Essen oder an den Heizkosten?
Was muss geschehen, um die Folgen der Inflation zu mildern?
Es ist richtig, die EEG-Umlage so schnell wie möglich zu senken. Die sinkenden Kosten müssen dann aber auch an die Kunden weitergeleitet werden. Doch das reicht nicht. Wir fordern zusätzlich eine Senkung der Mehrwertsteuer. Vor allem die Mehrwertsteuer auf frische Lebensmittel sollte sinken, außerdem die Stromsteuer, damit Menschen mit kleinen Einkommen – und damit auch Millionen von Rentnern – besser über die Runden kommen.
Mal grundsätzlich: Was ist eigentlich eine auskömmliche Rente?
Ich mag den Begriff nicht. Ich spreche lieber von der „guten Rente“. Wobei „gut“ auch immer relativ ist. Auf jeden Fall haben Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, automatisch eine Rente deutlich oberhalb des Grundsicherungsniveaus verdient. 12 Euro Mindestlohn sind da ein wichtiger Schritt, der aber nicht reicht. Es müssten dafür eigentlich mindestens 13 Euro sein. Ein großes Problem bleibt zudem, dass viele, die Anspruch auf Grundsicherung haben, diese Leistung gar nicht beantragen. Die Menschen empfinden diesen Schritt als stigmatisierend, möchten keine Bittsteller sein. Auch hier muss sich manches verbessern.
Sie fordern eine Erhöhung des Rentenniveaus auf 50, idealerweise auf 53 Prozent. Wie soll das gelingen, zumal ja auch noch die Zahl der Rentner in den kommenden Jahren rapide steigt?
Wir brauchen deutlich mehr „gute“ Einzahler. Es müssen künftig alle Erwerbstätigen in die Rentenversicherung einzahlen, auch Beamte, Selbstständige und Abgeordnete. Außerdem müssen wir die Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Frauen deutlich anheben. Zudem brauchen wir Zuwanderer, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Und es braucht mehr Geld vom Steuerzahler, um die nicht beitragsgedeckten Leistungen wie die Mütterrente zu finanzieren.
Warum schließen Sie eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters so kategorisch aus? Immerhin steigt ja auch die Lebenserwartung.
Das Problem ist: Viele Beschäftigte, die körperlich oder psychisch stark beansprucht sind, erreichen schon heute die Regelaltersgrenze nicht, müssen früher in Rente gehen und Abschläge hinnehmen. Häufig geht es dabei auch noch um Menschen, die nicht besonders gut verdient haben. Wenn man nun sagt: „Alle müssen länger arbeiten“, trifft man auch diese ohnehin schon benachteiligten Arbeitnehmer. Das ist der falsche Weg.
Und welcher ist der richtige?
Es braucht besondere Regeln für jene, die einfach nicht bis 67 oder gar noch länger arbeiten können. An dieser Stelle wird es schwierig. Denn man muss definieren: Wer sind die Härtefälle?
DIW-Chef Marcel Fratzscher fordert, Menschen, die in ihren Berufen psychisch und physisch hart belastet werden, sollten einen höheren monatlichen Rentenanspruch erwerben. Ist das die Lösung?
In der Theorie ja. Aber es bleibt die Frage: Wo zieht man bei einem differenzierten Rentenalter die Grenzen? Selbst bei Gruppen wie den Beamten müsste man differenzieren. Da gibt es Unterschiede zwischen Menschen, die in der Verwaltung arbeiten, und solchen, die als Polizisten vor dem Stadion stehen oder bei Demonstrationen im Einsatz sind.
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Die Verdienstgrenze für steuerbefreite Minijobs soll zum 1. Oktober von 450 auf 520 Euro im Monat steigen. In Midijobs sollen Beschäftigte statt 1300 künftig 1600 Euro verdienen können. Einverstanden?
Nein, mit der Anhebung der Verdienstgrenzen bei den Mini- und Midijobs macht die Ampel-Koalition einen Riesenfehler. Denn wir wissen aus Studien, dass diese Jobs noch nie ein Einstieg waren in die reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Das ist ein netter Zuverdienst, den man für Studierende und Rentner auch erhalten sollte. Aber für alle anderen sind Minijobs keine gute Lösung, unter anderem deshalb, weil die Betreffenden keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld haben. Wie wichtig das ist, haben wir ja gerade in der Pandemie gesehen.
Nicht zuletzt geht es um die Renten ...
Richtig. Insbesondere für Frauen sind Minijobs eine große Gefahr, in Altersarmut zu geraten. Denn sie sind es meist, die etwas „dazuverdienen“. Wenn sie dann später auf den Rentenbescheid schauen, kommt das böse Erwachen. Hier verstärkt die Ampel-Koalition einen Fehlanreiz. Das sollte sie schnellstens korrigieren, denn wir haben schon genug Probleme mit schlechten Renten.